Die Wohltat des leichten Spiels

Zum Ursprung und Sinn der Fastnacht

Datum:
Sonntag, 6. Februar 2005

Zum Ursprung und Sinn der Fastnacht

Wort des Bischofs im Südwestrundfunk am Sonntag, 6. Februar 2005

Diese Tage sind vom närrischen Treiben bestimmt, so verschiedenartig dies auch von der alemannisch-schweizerischen Grenze bis in das Rheinland gefeiert wird. Wenigstens für einige Tage möchten viele Menschen den Trott und die Monotonie des Alltags verlassen, um ab Aschermittwoch wieder ermutigt und zuversichtlich in ihn zurückzukehren. Unterbrechung tut Not und ist gut.

Die Fastnacht ist gar nicht so leicht in ihrem Ursprung und ihrer Herkunft zu erklären. Ihre Wurzeln reichen in verschiedene historische und soziale Schichten. In ihr spiegeln sich nichtchristliche, kirchliche, höfische, bäuerliche, bürgerliche und moderne Elemente. Der jeweilige Anteil der einzelnen Elemente ist recht verschieden und auch umstritten. Man kann Reste germanischer Kulturen feststellen, wenn man z.B. an das Austreiben des Winters und die Abwehr der Dämonen denkt. Das Tragen einer Maske erlaubt einen vorübergehenden Rollentausch und erweitert die individuelle Identität. Wir spielen mit uns selbst und machen uns etwas lustig über unsere Rolle oder die Rollen, die wir im Alltag spielen. Zweifellos gibt es auch spätere italienische Einflüsse, die vor allem die Gestalt des „Spaßmachers“ (Harlekin) betreffen. In letzter Zeit hat man immer wieder auch die Gestalt des Narren auf biblische Lesungen im Alten und im Neuen Testament zurückführen wollen (vgl. Ps 53,2; 1 Kor 13,1). Bei der rheinischen Fastnacht, die mehr mit dem alten italienischen Wort „Karneval“ bezeichnet wird, zeigt sich die Narrenfreiheit besonders in der Möglichkeit, sich durch die Schelte und Rüge der Autoritäten Luft zu machen. Besonders die Besatzungszeit unter Napoleon hat hier große Wirkung erzielt.

Es spricht für sich und erklärt ein wenig die Beliebtheit der Fastnacht, wenn so viele Elemente aus Geschichte und Gegenwart die Fastnacht tragen und sie auch immer im Wandel halten. Aber sie ist damit noch nicht wirklich erklärt. Man darf gewiss nicht verkennen, dass sie vor der so genannten Fastenzeit, die von Aschermittwoch bis Ostern dauert, Gelegenheit zu dem gibt, was in der Fastenzeit eingeschränkt oder gar nicht erlaubt ist: üppige und fette Speisen, reichlich Getränke, Tänze, Wettkämpfe und Spiele. In diesem Zusammenhang werden dann auch die menschlichen Laster, nicht selten in der Gestalt von Masken, beim Namen genannt. Vieles wird in diesen Tagen zweideutig, neckisch und anspielend zur Sprache gebracht, was man sonst eher verbirgt.

Fastnacht ist so in vielem auch eine richtig Entlarvung. Die Masken unseres Alltagsverhaltens werden heruntergerissen. Dabei geht es jedoch nicht um die kleinen Versteckspiele in den vielen Rollen unseres Lebens, sondern Fastnacht deckt auch den „tierischen Ernst“ in unserem Leben auf. Wir sind oft in kleinen Dingen unnachgiebig, todernst bei Dingen, die dies nicht verdienen, und auch deswegen unbeweglich, weil wir uns in bestimmte Ziele und Vorstellungen verkrampft haben. Fastnacht entspannt und befreit. Aber im Licht des Glaubens können wir auch entdecken, dass wir viele endliche, vorletzte Dinge verabsolutieren, Götzen daraus machen, keine möglichen Alternativen mehr sehen, Mittel und Ziele verwechseln. Dies macht unseren Alltag oft so stur und unbeweglich. Da bringt die Fastnacht Bewegung und Auflockerung hinein. Jetzt kann man über manches lachen, wo uns sonst das Lachen eher vergeht. Ja, es gibt eine Heiterkeit des Geistes, die vieles löst. Es gibt wirklich ein erlösendes Lachen.

So versteht man, warum die Fastnacht auch etwas mit dem christlichen Glauben zu tun hat. Die wahre Fastnacht ist darum in ihrem Witz und ihren Pointen am Ende versöhnlich und lädt zu einem neuen Miteinander ein. Man kann dabei gut ablesen, ob es der Fastnacht gelingt, spielerische Freude zu bringen oder ob sie sich in Dinge verliert, die den Menschen am Ende, genau besehen, schaden. Gerade an Fastnacht darf man den Verstand nicht ausschalten, Unterscheidung der Geister tut Not.

© Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz