Der erste Januar brachte mit der europaweiten, endgültigen Einführung des EURO einen wichtigen Einschnitt in der Entwicklung des engeren Zusammenwirkens vieler Länder auf unserem Kontinent. Es ist eine erstaunliche Leistung, dass gleichsam über Nacht mehr als 300 Mio. Menschen ihre bisherigen Währungen tauschen und gültiges neues Geld am anderen Tag in der Tasche hatten. Dies ist im allgemeinen, besonders in unserem Land, gut geglückt. Dafür schulden wir vielen Behörden, den Geldinstituten und vor allem zahlreichen Menschen Dank für einen erstaunlich reibungslosen Übergang. Ähnliches konnte man in den vergangenen 14 Tagen in vielen europäischen Nachbarstaaten beobachten.
Manchem ist diese Umstellung nicht leicht gefallen. Sie mussten auf eine nicht bloß vertraute, sondern eben auch erfolgreiche Währung verzichten, der sie selbst durch ihre Arbeit und ihren hohen Einsatz vor allem in den Jahren nach 1948 zu Ansehen und Wert verholfen hatten. Und doch war es erstaunlich, dass auch viele ältere Menschen diesen Wechsel überraschend gelassen, ja manchmal auch regelrecht mutig vollzogen haben.
Sieht man von einigen guten Ausnahmen ab, ist dieser Währungswechsel in der Politik längst nicht so genützt worden, um dem Europagedanken neuen Auftrieb zu geben, wie man dies erwarten konnte. Partys waren für viele, gewiss im Zusammenhang mit dem Jahreswechsel, willkommene Formen zur Feier der Ausgabe des neuen Geldes. Sonst sind die Nachrichten über Europa in diesen Tagen eher weniger günstig. Ein angesehener parteiloser italienischer Außenminister, der die zahlreichen Europa-Skeptiker in Schranken wies, wurde vom italienischen Regierungschef gefeuert, der nun selbst diese Aufgabe übernehmen will, obgleich er gerade im Blick auf ein gemeinsames Europa eher bremsend wirkt. In Frankreich ist wegen der im April und Mai stattfindenden Wahlen ohnehin viel blockiert. Von England aus nimmt man zwar die Segnungen der Europäischen Union gerne in Anspruch, aber man bleibt trotz allem abwartend und auch misstrauisch in einer gewissen Distanz. In den Ansprachen deutscher Politiker zu Weihnachten und Neujahr kam zwar der EURO vor, aber hat man wirklich die Chance genützt, um einen neuen Aufschwung der Europa-Idee anzukurbeln? In Brüssel stößt man auf einen riesigen Betrieb und hektische Emsigkeit – ich war kurz vor Weihnachten zu einem Empfang für die deutschen Europa-Parlamentarier und die europäischen Beamten dort -, aber etwas habe ich überall vermisst: einen neuen, frischen Elan für ein gemeinsames Haus Europa.
Gewiss, die anfängliche Begeisterung der großen Pioniere lässt sich nicht einfach wiederholen oder bloß verlängern. Dennoch bleiben die Väter Europas von Alcide de Gasperi über Konrad Adenauer bis zu Francois Mitterand und Helmut Kohl Vorbilder im Einsatz für den Zusammenschluss der Nationalstaaten zur Europäischen Union. Wir brauchen jedoch neue, unverbrauchte und glaubwürdige Pioniere einer zweiten und bald schon dritten Generation für die Intensivierung. Europa darf nicht nur – so wichtig dies ist – von Beamten aufgebaut werden, sondern wir brauchen eine neue politische Klasse, die sich grundlegend und neu dieses Anliegens annimmt. Könnte vielleicht ein neuer Europäischer Senat helfen?
Die Demokratie in Europa braucht längere Zeit, als wir alle dachten. Es geht nicht um Jahre, und Jahrzehnte, sondern eher um Generationen. Man darf auch nicht alles von der politischen Klasse erwarten. Wir brauchen auch in unseren Ländern, die oft genug zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind, eine neue Europa-Begeisterung. Leider wirken hier auch die Christen und die Kirchen, denen Europa in seiner Geschichte und auch in der Gegenwart viel verdankt, eher müde und wenig einfallsreich. Darum brauchen wir auch hier unter den Christen eine erneuerte Einsatzbereitschaft und den Mut, sich für dieses Europa bis in den Kleinkrieg der Auseinandersetzungen um Verordnungen und Gesetzesinitiativen abzurackern. Wir müssen vor allem auch in den Fragen, die im Europäischen Parlament und in den Kommissionen verhandelt werden, wie z.B. die Bioethik, viel stärker interessiert, engagiert und auch streitlustig werden. Es geschieht schon zu viel, ohne dass wir es recht merken.
(c) Karl Kardinal Lehmann
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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