Eile mit Weile – Was wir vom und im Advent lernen können

Wort des Bischofs im Südwestrundfunk am Sonntag, 27. November 2005

Datum:
Sonntag, 27. November 2005

Wort des Bischofs im Südwestrundfunk am Sonntag, 27. November 2005

Alle Jahre wieder kommt nicht nur das Christuskind, sondern auch der ganze Reigen der Feste und Bräuche. Manchem erscheint dies vielleicht langweilig. Es sieht so aus wie eine simple Wiederholung des immer Gleichen. Wir Menschen von heute sind aber durch unsere Gewohnheiten des modernen Lebens auf stets Neues, auf Abwechslung und unaufhörlichen Wandel eingestellt. Da haben es in der Tat andere Ereignisse und Feste schwerer.

Vielleicht ist dies aber auch manchmal unsere Schwäche, dass wir vieles schnell wieder über Bord werfen und nach Neuem und Anderem hasten. Wir machen es nicht nur mit der Mode und mit allerhand Schnickschnack des täglichen Lebens so. Manchmal werden wir auch dazu verführt, dass wir Menschen und menschliche Beziehungen schnell auswechseln. Wir nehmen uns dann nicht die Zeit, den Anderen mit seinen – vielleicht verborgenen – Gaben und Fähigkeiten besser kennen zu lernen und die Beziehungen untereinander zu vertiefen. Für manches andere, was sich nicht so lautstark in unserem Leben aufdrängt, haben wir dann oft überhaupt keine Zeit. Dies gilt vielleicht für Kranke und Behinderte, aber auch für Gott.

Schon lange gibt es Denker und Analytiker unserer Gesellschaft, die ein wichtiges Merkmal unserer Zeit in einer stetigen Steigerung sehen: Autos werden schneller, Computer leistungsfähiger, Medien aufregender. Krisen erscheinen bloß als Durchgangsstadien zur nächsten Hochkonjunktur. Plötzlich spüren wir, dass es so nicht endlos weitergeht. Wir stecken mitten in dieser Erfahrung. Das wirtschaftliche Wachstum stockt, die Nachfrage bleibt aus, für Investitionen fehlt das Geld. Jedenfalls kommt die Vorherrschaft eines Denkens und Verhaltens mit immer größerer Steigerung und noch rascherer Beschleunigung an eine nicht mehr so leicht übersteigbare Grenze. Aber was könnte denn dieses Andere sein?

Ich glaube, dass dies mit dem heutigen Beginn des Advents zu tun hat. Es tut gerade dem so gehetzten Menschen gut, wenn er mit dem Wiederbeginn eines neuen Kirchenjahres selber wieder von vorne beginnen darf. Manches haben wir ohnehin in der Fülle unserer Aufgaben und Interessen versäumt. Vielleicht waren wir auch nicht offen genug für es. Da kann die Möglichkeit einer Wiederholung geradezu befreiend wirken. Man hat nichts endgültig verpasst. Es ist die Chance, etwas, was eigentlich schon vergangen ist, nochmals frisch kennen zu lernen. Wenn man wieder neu anfangen kann und nicht eingeschlossen ist in das, was war und vielleicht auch falsch gemacht worden ist, ist dies immer ein Stück wahrer Gnade.

Wir können nicht einfach aus dem Rhythmus unserer Zeit und unserer Aufgaben völlig aussteigen. Aber wenn wir die alles mitreißende Dynamik unseres Alltags ein wenig unterbrechen, dann sind wir schon auf einem guten Weg. Auch kleine Pausen können schon eine erholsame Oase sein. Ein altes Sprichwort, das viel Weisheit enthält, sagt uns: Eile mit Weile. Wir sollten uns im Tempo unseres Lebens immer wieder kleine Augenblicke der Ruhe und des Nachdenkens leisten. Dies gilt auch für die Zeit, die wir für jene Menschen haben sollten, die uns am nächsten stehen.

Dann könnten wir in der stetigen Beschleunigung unseres Lebens, die uns immer mehr aushöhlt und auffrisst, eine Möglichkeit haben, wenigstens in unserem Denken und Fühlen etwas langsamer, d.h. nachdenklicher und nachhaltiger zu werden. Der Advent hilft uns mit seinen vielen Gestalten unterwegs, z.B. die Propheten, Johannes der Täufer, Maria und schließlich das Kind in der Krippe. Wir lernen dann wieder das Warten. Wir nehmen uns ja alles. Aber wer in Geduld warten kann, hat auch wirklich Freude über etwas, das er dann findet und ihm geschenkt wird. Gehen wir im Advent einmal etwas langsamer und bedächtiger unsere Wege. Es gibt viele Hilfen dafür. Schauen wir z.B. einmal jeden Tag auch in den Adventskalender unserer Kinder.

© Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz