I.
Diese Reihe von Domvorträgen hat ihren Namen „Von heiligen Zeichen“ nach dem berühmten Buch von Romano Guardini, das zuerst im Jahr 1922 erschien und früher in einzelnen Artikeln vorbereitet wurde. Diese erschienen z.B. in der Mädchenzeitschrift „Der Ring“. Im Jahr 1929 erschien mit diesen zusätzlichen Veröffentlichungen eine neue erweiterte Ausgabe. Im Jahre 1933 gab es noch einmal eine erweiterte Auflage. Es ist heute kaum vorstellbar, welchen unglaublichen Einfluss das kleine Buch von gerade 48 Seiten hatte. Bis heute sind wohl weit über 200.000 Exemplare verbreitet.
Mit den Epoche machenden Büchern „Vom Geist der Liturgie“ und „Liturgie und liturgische Bildung“ zählt dieses schmale, aber inhaltsreiche Buch zu den Grund-Bausteinen der Liturgischen Bewegung. Soweit ich sehe, sind die Texte wenig verändert worden. Es ist jedoch aufschlussreich, die verschiedenen Geleitworte und Vorbemerkungen Guardinis zu betrachten. Freilich gibt es einige Umarbeitungen. So ist das frühere Stück „Die Schale“ ersatzlos entfallen. Es ist auffällig, dass sowohl die Erforschung Romano Guardinis als auch die Rekonstruktion der Liturgischen Bewegung noch keinen genauen Vergleich mit einer Editions- und Übersetzungsgeschichte dieses kleinen Buches vorgelegt hat.
Bedenkt man den Ursprung in kurzen Meditationen, die sogar in einer Mädchenzeitschrift erschienen sind, kann man die einfache Sprache gut verstehen. Aber man darf sie nicht in ihrem Tiefgang unterschätzen. Darum ist es immer gut, wenn man auch die anderen genannten Schriften und überhaupt das Gesamtwerk Guardinis vor Augen hat. Dann erst kommt auch die volle Bedeutung dieser einfachen Besinnungen voll an den Tag. Im Rahmen dieses Vortrags möchte ich dies freilich nur in wenigen Auszügen versuchen.
Freilich geht es in der Reihe der Domvorträge nicht nur oder in erster Linie um eine Wiederholung dessen, was Romano Guardini in dem kleinen Werk „Von heiligen Zeichen“ hinterlassen hat. Ich will jedoch auch keinen Zweifel daran lassen, dass sich auch heute noch eine unbefangene Lektüre lohnt. Sie wird reich belohnt. Aber wir nehmen die Gelegenheit der Domvorträge auch wahr, um so etwas wie eine „relecture“ zu versuchen, die eine solche Veröffentlichung immer auch mit den Augen unserer eigenen Zeit neu zur Kenntnis nimmt. Für diesen Vortrag sind mir besonders die Stichworte Haus – Pforte – Stufe – Kreuz aufgegeben. Die Stichworte Stufen und Pforte sind auch in Guardinis „Von heiligen Zeichen“ zu finden.
Nun geht einer Behandlung dieser Symbole und Handlungen zunächst einmal die Überschrift voraus „Einladung ins Heilige“. Darum müssen wir uns zuerst dem Sinn dieses Haupttitels zuwenden.
II.
Es geht nicht um die Heiligen im Sinne von verehrungswürdigen Gestalten des christlichen Lebens, die auch eine öffentlich-amtliche Anerkennung für den Gottesdienst der Kirche gefunden haben. Es geht um das Heilige. Im ersten Augenblick kann dies einem etwas fremd vorkommen. Wir müssen heute überhaupt den grundlegenden Sinn des Wortes „Gott“ durchbuchstabieren. Durch die Religionsphänomenologie vor allem des 20. Jahrhunderts ist dabei die Kategorie des Heiligen fundamental hinzugekommen. Was ist damit gemeint?
Der Mensch kann Gott nicht voll von sich aus erkennen. Die Erkenntnis Gottes wird uns vor allem durch seine eigene Manifestation zuteil.
Es gibt ein solches Sich-Zeigen Gottes, nicht nur im Sinne der geschichtlichen Offenbarung des Alten und Neuen Testaments, sondern Gott selbst macht sich gleichsam auf den Weg zum Menschen, damit wir ihn überhaupt verstehen. Sonst würden uns tatsächlich vielleicht Furcht und Schrecken überwältigen.
Wenn dies so ist, dann erhebt sich jedoch erst recht die Frage, wie Gott sich uns zeigt und auf welche Weise er sich uns kundgibt. Wir dürfen ihn ja nicht unter die uns bekannten Gegenwartsweisen endlicher Dinge einordnen, so wie wir etwa einen Stein vorfinden oder auch Pflanzen wahrnehmen und Tiere sehen. Gott kommt auf seine eigene Weise. Dafür gibt es nun eine besondere Kategorie, die in diesem Jahrhundert in vielfältiger Weise erforscht worden ist, ohne dass schon ein allgemein gültiger Abschluss erkennbar wäre. Dabei geht es um das Denken des Heiligen.
Diese Frage nach der besonderen Erscheinungsweise Gottes, die vor allem von R. Otto im Anschluss an Jes 6,1 ff. entfaltet worden ist, sieht im Heiligen eine spannungsvolle Gegensätzlichkeit und Einheit aus einem furchterregenden und eher abstoßenden, Distanz schaffenden Moment („mysterium tremendum“) und – im Kontrast dazu, aber auch in Einheit – einem faszinierend-anziehenden Moment des Heiligen („fascinosum“), das auf seine Weise Nähe und Ermutigung schafft. Man kann in diesem Grundphänomen des Heiligen leicht auch Gericht und Gnade entdecken. Man hat das Heilige auch das Numinose genannt, das freilich nicht als irrational bezeichnet werden darf.
Wenn der Mensch sich dem Heiligen nähert, muss er sein Denken wandeln. Es kann dabei nicht um einen unmittelbaren Zugriff gehen, der nichts „heilig“ sein lassen kann und der alles hinterfragen möchte. Nicht das Denken hat Bedingungen an das Heilige zu stellen, sondern das Heilige stellt sie an das Denken. Das Denken muss sich lösen vom Verfügen und vom Fassen, es muss zuerst „sein lassen“, freigeben. Es geht nicht um die eigene Verfügungsmacht, die dem neuzeitlichen Vernunftbegriff zutiefst innewohnt, sondern es muss auch ein empfangendes, hinnehmendes, in diesem Sinne vernehmendes Verstehen geben. Nur dieses sein lassende Denken ist fähig, den Aufgang des Heiligen zu entdecken. Ein solches Denken weiß immer auch, dass es das, was es erblickt, einem anderen verdankt. Wenn man sich Gott zuwendet, muss man ihn zuerst in seiner eigenen Herrlichkeit wahrnehmen. Darum sind die Unmittelbarkeit der Begegnung, die freilassende Annäherung, die Dankbarkeit und das hörende Verstehen in diesem neuen Denkstil notwendig. Damit ist die Erkenntnis des Heiligen immer auch eng verbunden mit der Notwendigkeit der Umkehr. Der klassische Schlüsseltext von Jes 6 zeigt wiederum, dass es hier immer zuerst einer Erneuerung und Reinigung der Augen bedarf.
Dabei ist nicht nur gleichsam die Objektseite wichtig, sondern auch die Art und Weise des Vernehmens. Wir sind gewohnt zu sagen, dass wir alles aufnehmen entsprechend der Kapazität und der Art des Empfangenden („omne, quod recipitur in aliquo, est in eo per modum recipientis“ ). Aber dies allein genügt nicht, denn der Empfangende muss die eigene Hoheit und unableitbare Souveränität, die Bibel spricht in allen Sprachen von der „Herrlichkeit“ (kabod, doxa, gloria), respektieren. Ohne ein solches Freilassen und Seinlassen gibt es kein wirkliches Verstehen des Heiligen. Die Phänomenologie spricht hier auch von einer Entsprechung zwischen dem „Noema“ und der „Noesis“. Wir können uns dies leicht in der Wechselbezogenheit von göttlicher Epiphanie und menschlichem Auge, von göttlichem Wort und menschlichem Ohr näher bringen. Nur von Gott erleuchtete Augen („Augen des Glaubens“) können die Wirklichkeit Gottes erfassen. Es gibt kein noetisches Moment ohne ein ihm spezifisch zugehöriges noematisches Moment. Dieses Entsprechungsverhältnis ist gegenseitig. Beide sind in ursprünglicher Weise gegeben und aufeinander zugeordnet. In diesem Sinne hat besonders die Phänomenologie, die etwas zur Anschauung bringt, wie es von sich selbst her ist (ohne dass wir es mit unseren Begriffen überfallen), einen wesentlichen Beitrag zur Entdeckung und Ausgestaltung des Heiligen als einer besonderen Sphäre geführt, in der der göttliche Gott erst zugänglich wird.
III.
Freilich hat die Phänomenologie über wenigstens den frühen Husserl hinaus dieses Verständnis des Heiligen viel stärker mit grundlegenden anthropologischen Rahmenbedingungen verbunden. Romano Guardini steht ohne Zweifel hier in dieser philosophischen Linie. Es ist aber nicht nur der Einfluss z.B. Max Schelers und Husserls selbst, sondern Romano Guardini hat eine eigene phänomenologische Ader, die sich schon von den ersten Arbeiten her zeigt. Gerade in „Von Heiligen Zeichen“ möchte Guardini Liturgie und Gottesdienst nicht von äußeren Lehrgedanken her verstehen: „Sondern indem man hilft, an der leibhaftigen Gestalt das Innere abzulesen: am Leib die Seele; am irdischen Vorgang das Geistlich-Verborgene. Die Liturgie ist eine Welt heilig-verborgenen, aber immerfort Gestalt werdenden und darin sich offenbarenden Geschehens: sie ist sakramental. Es gilt also vor allem, jenen lebendigen Akt zu lernen, mit dem der glaubende Mensch die ‚sichtbaren Zeichen unsichtbarer Gnade’ auffaßt, empfängt, vollzieht. Um ‚liturgische Bildung’ handelt es sich in erster Linie, nicht um – davon natürlich nicht zu trennende – ‚liturgische Belehrung’. Um eine Anweisung, eine Anregung, wenigstens zu lebendigem Schauen und Vollziehen ‚heiliger Zeichen’.“
Damit kommt sehr viel stärker die konkrete Lebenswelt mit ins Spiel. Bei Guardini ist dies nicht nur die große Bedeutung der realen Welt , sondern auch eine Fülle religiöser Symbole und Handlungen, die zur Alltäglichkeit des Menschen gehören, aber irgendwie auch in ihrer Selbstverständlichkeit verloren gegangen sind. Guardini besitzt die Kunst, sie wieder neu zum Bewusstsein zu bringen. Es ist aber noch mehr: Guardini hat zugleich auch sehr grundsätzlich auf den Zusammenhang von Leib und Seele reflektiert. „Die Hand, das Kreuzzeichen, das Knien, das Weihwasser, die Flamme, die Kerze, die Pforte, die Stufen, die Glocken, der Name Gottes – es gelang Guardini, unerwartet Elementares darüber zu sagen, und zwar deswegen so anrührend neu, weil er an die Leiblichkeit anknüpfte ... Die denkbar einfache Grundlegung liturgischen Vollzugs lautet: das Durchscheinen der seelischen Haltung im Leib, Liturgie als Transparenz von Innen und Außen, von Göttlichem und Menschlichem, von Unsichtbarem und Sichtbarem.“ Guardini hat regelrecht die Bedeutung der Leiblichkeit in der Liturgie wiederentdeckt. Eine Kursbesucherin der Zwanzigerjahre schreibt in diesem Zusammenhang in ihrem Tagebuch: „Zwei Gefahren: eine zu starke Betonung des Körperlichen, ein Herrwerden des Körpers über den Geist, eine Gegensätzlichkeit zum Reich Christ. Ein tiefer Riss klafft zwischen dem Reich Christi und dem Reich des Schönen, in dem etwas Heidnisches liegt. – Guardini: Wir sollen schlicht und einfach Gymnastik üben. Doch dürfen wir denen, denen Rhythmik mehr ist, nicht misstrauen. Ebenso müssen diese den anderen ihr Recht lassen, sie nicht als Spießer verachten.“
Romano Guardini hat diese Leiblichkeit gerade in der Liturgie gegen alle bloß vergeistigte oder spirituell-introvertierte Sicht verteidigt. Er hat auch dafür gesorgt, dass in der Jugendbewegung dieser Gewinn der Leiblichkeit nicht in einen falschen Körperkult ausartete, sondern im Dienst des symbolischen Ausdrucks stand. Guardini ging es um so etwas wie trainierte Sinnlichkeit. Es war für Guardini elementar – und damit knüpft er an das aristotelisch-scholastische Denken an –, dass nichts in die Erkenntnis gelange, was nicht zuvor durch die Sinne gegangen sei. Romano Guardini hatte eine große Möglichkeit, diese Gedanken in der Begegnung mit aufgeschlossenen jungen Menschen auf der Burg Rothenfels jahrelang gleichsam zu testen. Er sah es als eine besondere Aufgabe, die Liturgische Bewegung mit dem Schatz der großen Traditionen nicht nur in den Klöstern zu lassen, sondern sie gleichsam in die konkrete Lebenswelt der Menschen hinein zu holen. So sprengte er auch den Kreis der Adressaten. Es ging nicht nur um das benediktinische Mönchtum. „Nicht nur das, sondern eine sachgerechte Geschichte der liturgischen Bestrebungen würde zeigen, dass deren erste, tiefer gehende Wellen sich in Deutschland – abgesehen von einigen Benediktiner-Abteien - vor allem in der Jugendbewegung ausgewirkt haben; diese selbst aber bildete einen eigenen Lebenskreis. So war es nicht anders möglich, als dass das Buch mit den Anschauungen und Gefühlsweisen dieser Jugendwelt verwuchs und auch ihren sprachlichen Charakter annahm.“ Man spürt die Leidenschaft, mit der Romano Guardini die Tiefe dieser religiösen Symbolik und Handlungen neu zum Bewusstsein bringen will: „Der Weg zu liturgischem Leben führt nicht durch bloße Belehrung, sondern entscheidenderweise durch Schauen und Tun; das sind die Grundkräfte. Gewiss erleuchtet durch klare Lehre; in den Zusammenhang der katholischen Tradition verwurzelt durch geschichtliche Unterweisung. Aber schauen und tun muss es sein; das gewiss. Aber ein Tun muss es sein – und, nicht wahr, etwas wirklich ‚tun’ ist mehr, als bloß es ‚üben’ damit es richtig gekonnt werde. Tun ist etwas elementares, in dem der ganze Mensch stehen muss, mit seinen schaffenden Kräften; ein lebendiges Vollziehen muss es sein; ein lebendiges Erfahren, Auffassen, Schauen. Wenn einmal solche Erzieher aus ihrer Erfahrung heraus von ‚heiligen Zeichen’ reden, dann wird dieses Büchlein verschwinden dürfen. Bis dahin hat es das Recht und auch die Pflicht, sein Wort zu sprechen, so gut es eben kann.“
Dies ist der anthropologische und phänomenologische Hintergrund, vor allem auch genährt durch die lebendige Liturgie auf Burg Rothenfels , der die Stärke und die Dynamik der Grundüberzeugungen Guardinis und ihre außerordentliche Wirkung erklärt.
IV.
Damit sind wir in der Lage, die „Einladung ins Heilige“ an konkreten Beispielen etwas näher zu betrachten. Die Skizzen dafür werden knapp sein, wie sie auch in „Von Heiligen Zeichen“ gerade auch durch ihre Einfachheit bestechen.
Zuerst geht es um das „Haus“. In diesem Zusammenhang geht es natürlich um das Haus Gottes. Es ist ein elementares Zeichen, dass es ein solches Haus inmitten der Wohnwelt der Menschen gibt. Das Wohnen ist eine anthropologische Grundkategorie zum Verständnis des Menschen, wenn er wirklich ein Wesen in Raum und Zeit ist. So wie er gegen die Stürme von Wind und Wetter, aber auch gegen andere Widrigkeiten Schutz braucht, ist sein Aufenthalt auf dieser Erde von dem bergenden und schützenden Haus geprägt. Hier vollbringt er die meiste Zeit seines Lebens. Hier sind auch die positiven und negativen Mächte versammelt: Tod und Leben, Gesundheit und Krankheit, Hass und Liebe. Hier zeichnen sich auch die Formen ab, in denen der Mensch mit seinesgleichen umgeht: Arme mit Reichen, Hütten neben Palästen, die Zerstörungswut der Naturgewalten, die dem Menschen seine Behausung nehmen. Dann spürt er in besonderer Weise, dass er in letzter Hinsicht unbehaust ist und keine Ruhe findet in dieser Zeit.
Es ist von fundamentaler Bedeutung, wenn der Mensch in dieser seiner Wohnwelt in ganz verschiedener Weise dem Heiligen einen Platz einräumt. Dies kann sehr verschiedene Formen haben: ein Hausaltärchen im Wohnraum, Schutzengel über den Kinderbetten, ein Kreuz. Es zeigt, dass jedes Haus von sich aus auf die Mächte über unseren Köpfen weist. Einen besonderen Ausdruck findet aber diese Gegenwart Gottes im Leben des Menschen, wenn ihm eigens ein solches Haus gebaut wird.
Dabei ist es fast selbstverständlich, dass dieses Haus Gottes sehr verschiedene Verwirklichungsformen und Gestalten aufweist. Dies reicht von einem einfachen Zelt Gottes, das an die Beweglichkeit und Lebendigkeit, aber auch die Vorläufigkeit des Kircheseins in dieser Zeit erinnert, über regelrechte Trutzburgen, die auch die Existenz der Kirche gegen alle Feinde darstellen, bis zu der überreichen Architektur des Kirchenbaus durch die Jahrhunderte hindurch. Es ist kein Zufall, dass gerade auch Romano Guardini durch die Liturgie eine Vision des neuen Bauens und gerade auch der Architektur des Kirchenbaus angestoßen hat, und zwar in enger Zusammenarbeit mit Rudolf Schwarz (1897-1961) . Niemand kann sich der Einheit eines solchen Gotteshauses in lebendiger Vielfalt entziehen, der z.B. in Rom die Kirche San Clemente kennt, die in drei Ebenen übereinander vom Wohnhaus des ersten / zweiten Jahrhunderts mit dem Abhalten des Gottesdienstes in ihm über einen Saal aus dem 5. Jahrhundert bis zum 12. Jahrhundert reicht.
Dazu gehört aber auch, dass das Haus Gottes nicht auf die noch so kostbaren Materialien reduziert werden darf, aus denen es besteht; Gottesdienst und Nächstenliebe, Frömmigkeit und Sendung in die Welt gehören eng zusammen. Aber noch mehr: Das Haus aus Steinen ist letztlich nur ein Sinnbild für eine Kirche aus lebendigen, glaubensstarken und zeugnisbereiten Menschen. Sonst muss man mit der scharfen Kultkritik der Propheten des Alten Testaments rechnen, die die Abspaltung des Kultes von den Konsequenzen für das Leben massiv kritisierten. Diese Mahnung bleibt hinter allen Häusern Gottes stehen.
Ich will nur noch auf die gewiss recht verschiedenen Türme unserer Gotteshäuser hinweisen. Sie zeigen in die Höhe, wo Gott wohnt. Sie spielt auch eine große Rolle bei Romano Guardini . Der Turm ist aber ein Hinweis, dass unsere Welt sich nicht leicht mit unseren irdischen Erfahrungen deckt. Wir dürfen die Welt nicht einfach über unseren Köpfen schließen. Der Turm ist dafür ein Fingerzeig in die Transzendenz, die den Menschen mit seiner unendlichen Sehnsucht einer Erfüllung entgegenbringt . Er ist aber auch zugleich eine Mahnung, dass wir nicht den innerweltlichen Versuchungen und Süchten verfallen. Wir nehmen sonst dem Menschen seine tiefste Sehnsucht und degradieren ihn dadurch.
Ein Haus Gottes hat zweifellos auch nochmals eine andere Bedeutung. Immer wieder trifft man auf Menschen, die erklären, Gott könne man genauso in der freien Natur und in der schönen Schöpfung Gottes finden. Man brauche dafür keine Kirche. Nun gibt es gewiss eine sehr vielfältige Gegenwart Gottes, gerade auch in der Schönheit seiner Kreaturen. Aber jeder weiß auch, dass dies sich in einem diffusen, manchmal auch dumpfen, unbestimmten „Naturgefühl“ erschöpfen kann. Gott hat einen Namen und ist in unserem Glauben eine Person. Er erreicht damit auch eine Bestimmtheit, zu der es gehört, dass man ihn konkret anruft, zu ihm betet, immer wieder bei ihm einkehrt und auch in vieler Hinsicht feiert: gemeinsam mit anderen, in der Stille des einsamen Gebetes, im Sitzen, Knien und Stehen. Dazu gehört auch z.B. der Altar, über den eigens zu sprechen wäre. Er ist ein lebendiges, reales Symbol für Jesus Christus, wie jede Altarweihe zeigt. Ich denke aber auch an die Statuen und Bilder, die insgesamt erst ein Haus zu einem Haus Gottes machen.
Dies wird nun auch noch deutlicher, wenn wir am Beispiel von Pforte und Stufe diesen lebendigen Zugang zu einem Haus Gottes näher betrachten.
V.
Es ist nicht schwer zu erraten, dass zunächst einmal zwischen dem Haus und der Pforte ein enger Zusammenhang besteht. Wenn ein Haus Schutz und Geborgenheit verleihen soll, dann muss die Frage des Zugangs geregelt sein. Ein völlig geschlossenes Haus ohne Tür und Tor ist sinnlos. Nun gibt es gewiss Unterschiede zwischen unseren deutschen Wörtern Tür und Tor sowie den aus dem Lateinischen kommenden Wort Pforte (porta). Diese Differenz wollen wir aber kurz zurückstellen.
Ein Haus hat, wie gesagt, mit seiner bestimmten, darum auch abgeschlossenen Funktion nur Sinn, wenn jemand den Schlüssel dazu hat. Darum ist die so genannte Schlüsselgewalt, die ja in vieler Hinsicht auch religiösen und theologischen Rang bekommen hat, eine Grundgestalt von Macht und Vollmacht. Schließlich aber kommt fast alles auf den Gehalt und Sinn eines Hauses an, zu dem man ungehinderten und freien Zutritt braucht. Was im Haus selbst ist und lebt, braucht auch für den, der es nutzt, einen gewissen Schutz, der anderen den Zugang verwehrt. Jedes Haus hat so auch den Sinn, für die Gemeinschaft oder auch den einzelnen Menschen, die jeweils Eigentümer sind, eine gewisse Sicherheit zu bieten. Dies gilt nicht nur für Feinde von außen, sondern gilt auch für die Art und Weise, wie die Insassen selbst miteinander umgehen, und für das, was sie miteinander verbindet. Insofern birgt jedes Haus auch das Geheimnis der Menschen, die zu ihm gehören. Indem es dieses Geheimnis wahrt, kann es auf der einen Seite zu einem undurchschaubaren Leben der Bewohner führen, das im Einzelnen auch gegenüber diesem selbst Gewalt nicht ausschließt, auf der anderen Seite rettet es auch die notwendige Intimität, die besonders zum Leben zwischen Mann und Frau, in der Ehe und in der Familie gehört.
Hier gibt es gewisse Unterschiede im Sprachgebrauch. Ein allgemeiner Zutritt wird eher mit dem Wort Tür/Türe bezeichnet. Damit ist überhaupt einmal gewährleistet, dass ein Zugang besteht. Damit ist auch eine gewisse, wenn auch beschränkte Öffentlichkeit gegeben. Man kann einen Besuch machen, man kann Leute einladen. Es braucht natürlich ein gewisses Vertrauen, wenn man jemandem zum eigenen Haus Zutritt gewährt. Deswegen lässt man auch nicht jeden in sein Haus oder in sein Inneres. Wenn man jemand das Haus verbietet, sind auch andere Wege der Kommunikation gestört („Hausverbot“). Ein Tor sagt vielleicht noch etwas mehr, dass nämlich der gewöhnliche Zutritt, gleichsam durch eine normale Tür, eher erschwert wird. Das Tor hat fast schon eine öffentliche Bedeutung des Zugangs und unterstreicht den gewährten Schutz noch stärker. Dies sieht man am besten bei Begriffen wie Stadttor, das früher nachts oft geschlossen wurde. Das Wort „Pforte“ leitet vielleicht noch etwas stärker in den Innenraum eines Hauses hinein. Wenn man durch die Pforte eines Hauses schreitet, ist es eine gewisse Gunst, den Zutritt zu erhalten; zugleich ist damit auch gegeben, dass man an der Atmosphäre eines Hauses Anteil erhält. Die Pforte hütet das inwendige Leben eines Hauses und gewährt nur kontrollierten und privilegierten Zutritt.
So ist es auch mit Tür, Tor und Pforte im Hause Gottes. Hier ist der Zugang elementar wichtig. Er muss groß und weit sein. Gott ruft sein Volk in seinem Haus zusammen. Freilich, nicht jeder hat ein volles Zugangsrecht. Dies galt in der Alten Kirche z.B. für die Mitfeier der Eucharistie, wo die so genannte Arkandisziplin vorherrschte (vgl. Mt 7,6). Es besteht kein Zweifel, dass gerade Tür und Tor in den Gotteshäusern eine besondere Bedeutung haben, wie aus den vielen kunstgeschichtlich bedeutsamen Portalen hervorgeht. Dies wäre Thema eines eigenen Beitrags.
VI.
Jeder Zugang muss den Eintritt in ein Haus erleichtern. Man braucht Wege und Zufahrten zu ihm. Dazu gehören auch Stufen. Diese haben eine außerordentlich verschiedene Bedeutung. Auf jeden Fall führen sie hinauf oder hinab. Im Allgemeinen betrachten wir eher die Stufen als Mittel zum Aufstieg. Dies kann Verschiedenes bedeuten. Man legt ein Haus oder einen Ort höher, weil man ihn z.B. gegenüber Wasser und Überschwemmungen schützen will. Ein wenig deuten Stufen auch an, dass man sich über die gewohnte Ebene des Lebens hinausbegibt. Der Ort, zu dem die Stufen führen, ist erhöht, gibt einen besseren Überblick und ist besonders auch für die Verteidigung nicht unwichtig (Schlösser, Burgen, Festungen). Die Menschen hatten im Übrigen immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Stufen in eine Höhe führen, wo man das Niedrige verlässt, sich eher zum Großen und Guten hinwendet. In der Höhe wohnen auch die Götter, die über den menschlichen Händeln thronen.
So rückt das Wort von den Stufen auch in die Nähe des Aufstiegs im Sinne des Weges zum Vollkommeneren. Es ist nicht zufällig, dass die „Stufen des Aufstiegs“ zu einem Höchsten oder Vollkommenen - gerade auch bei Platon und im Anschluss an sein Denken - eine große Rolle spielen. Dies wird dann rasch auch in Zusammenhang gebracht mit einer Klassifikation der Wirklichkeit. Es gibt eine Abstufung des Seins, sodass Thomas von Aquin aus dem Stufenbau der Wirklichkeit geradezu einen Gottesbeweis führt („Quarta via sumitur ex gradibus“). In diesem Zusammenhang kann das Wort Stufen ein wichtiges Grundelement für eine „Hierarchie“ werden; es kann aber auch einfach nur Orientierung und Ordnung erleichtern.
Im Denken um den spirituellen Bereich hat das Wort Stufen regelrechte Grundbedeutung gewonnen, die auch verbunden ist mit den Vorstellungen eines Fortschreitens zu einem Höheren und Besseren. Insofern geht es hier auch um den Ursprung des Fortschritts. Es kann aber auch sein, dass dieses Fortschreiten stärker in organischen Kategorien vor allem des Wachsens gedacht wird. Es ist dann ein Weg zur immer größeren Einsicht, ein Weg der Läuterung und Reinigung zum Höheren. Es wird geradezu ein Stufenweg zur Vollkommenheit, der durch einzelne Stationen führt. Dies kann eine moralische Läuterung bedeuten. Es kann sich aber auch um eine Himmelsreise handeln, die durch verschiedene Äonen führt.
So ist es auch ganz verständlich, dass „Stufen“ im religiösen Leben und in der theologischen Deutung eine große Rolle spielen. Man wächst stufenmäßig in den Glauben und die Kirche hinein (Katechumenat). Man sucht einen Weg zur immer größeren Vollkommenheit. Man soll auch nicht vergessen, dass die Lebensalter des Menschen eine gewisse Stufung mit sich bringen. Überhaupt soll der Mensch in der Erkenntnis und in der Liebe stufenförmig wachsen. Weniger Anwendung findet der Gedanke der Stufen für den Abstieg, den Verlust eines bestimmten Status und für den Verfall.
So legt es sich nahe, dass die Stufen auch eine große Bedeutung haben im Leben des Glaubens. Dies fängt schon bei einer Kirche an, zu der man hinaufsteigt. Es ist nicht zufällig, dass viele Kirchen auf den Höhen gebaut worden sind. Das Emporsteigen hat hier einen vielfältigen Sinn. Man tritt in die Kirche hinein. Stufen führen einen zum Altar. Wenn man dies bedenkt, nimmt man auch das Steigen mit Hilfe von Stufen ganz anders wahr. Stufen machen bewusst, dass alles Leben von sich aus nach oben, in die Höhe strebt. Sie sind darin zugleich auch eine Mahnung, dass wir nach einem Gewinn z.B. geistlicher Einsicht oder moralischer Läuterung nicht wieder zurückfallen.
Wir haben heute manchmal eine innere Abwehr gegen die Rede von „Stufen“. Wir wollen nicht so viel wissen von einem Weg zum Vollkommeneren. Die Dynamik der Stufen auf ein Ziel hin erscheint uns manchmal geradezu unheimlich. Stufen scheinen auch ein hierarchisches Welt- und Gesellschaftsbild zu unterstützen, sodass die Ebenbürtigkeit und gleiche Würde aller mit denselben Chancen für alle gefährdet werden. Dennoch wird man sagen müssen, dass wir bei allem Wissen um diese Gefahren ohne diese Rede uns selber nicht verstehen. Hierzu sagt Romano Guardini an einer bestimmten Stelle seiner Besinnung über die Stufen: „Das Unten ist nun einmal vom Wesen her Gleichnis für das Geringe, Schlechte; das Droben Gleichnis für das Edle, Gute, und jedes Emporsteigen spricht vom Aufstieg unseres Wesens zum ‚Allerhöchsten’, zu Gott ...“. Freilich muss man vielleicht stärker als Guardini bedenken, dass jede Stufe andere Stufen voraussetzt und in sich begreift, sodass man auch die niederen Stufen in ihrer Bedeutung beachten muss. Dies ist ein weites Thema.
VII.
Wir sprachen früher von der Ausstattung einer Kirche. Es sind heilige Zeichen in besonderer Weise. Ich denke dabei an die Statuen großer Heiliger, aber ganz besonders an das Kreuz Jesu Christi. Es ist nicht möglich, in diesem Zusammenhang auch nur die Grundlinien einer Theologie und Spiritualität des Kreuzes zu umreißen. Einige wenige Hinweise müssen genügen. Dabei möchte ich zuerst eine kleine Skizze einer Theologie des Kreuzes versuchen, mich aber vor allem auf ein heiliges Zeichen konzentrieren, nämlich das Kreuzzeichen.
Beim Kreuz dürfen wir nie vergessen, was es im Kern zunächst bedeutet. Es ist ein grausames Zeichen für den schlimmsten Tod, den die Menschen in der alten Welt einander antun konnten: „mors turpissima“, die schändlichste Art der Hinrichtung, die man nur Verbrechern, auf keinen Fall Staatsbürgern, antun konnte. Darum ist das Kreuz in einem hohen Maß Ärgernis und Anstoß. Für die Weisen dieser Welt ist es Torheit. Darum ist verständlich, dass man im frühen Christentum daran nicht leicht zu tragen hatte. Der Stifter dieser neuen Religion schien eher zum Abschaum der Menschheit zu zählen. Darum hat man auch lange Zeit das Kreuz nicht dargestellt oder gar verehrt. Es war ja der Inbegriff der Schmach und der Deklassierung. Auch passte das reale Bild eines so schändlichen Todes ganz und gar nicht in die klassische Ästhetik, die sich vor allem dem Wahren und Guten widmete. Es brauchte lange Zeit, bis hier ein Wandel eintrat. Mehr und mehr wurde entdeckt, in welchem Maß das Kreuz für die Christen und die ganze Welt zum Holz des Lebens geworden war. An ihm hing das Heil der Welt. Jesus hat alle Gewalt mit ihrer Macht ein für alle Mal aus den Angeln gehoben, indem er aus Liebe zu den Menschen sein Leben hingab. Darüber konnte die Gewalt nur sehr äußerlich siegen. So ist das Kreuz auch bei näherem Zusehen nicht nur der Schandpfahl, sondern eben auch ein unverbrüchliches Zeichen der Hoffnung mitten in Leid, Gewalt und Tod. Dies ist der Grund, warum schließlich das Kreuz besonders nach dem Sieg Konstantins an der Milvischen Brücke im Jahr 313 als ein Zeichen der Zuversicht verstanden worden ist. Darum wurde es verehrt, darum wurde es auch mit edlen Steinen besetzt.
Dies ist kein ungefährlicher Weg, denn man darf die „theologia crucis“ gewiss nicht überformen mit einer „theologia gloriae“. Das Ärgernis des Kreuzes in dieser Zeit und Welt muss bleiben. Sonst entleert man die Passion und das Sterben Jesu Christi. Man nimmt auch nicht Gewalt und Destruktion in der Geschichte ernst. Man darf das Elend nicht vergolden. Darum haben Paulus und viele große Theologen, zu denen zweifellos auch – aber nicht allein – Martin Luther zählt, diese Spiritualität des Kreuzes immer wieder hochgehalten, und zwar gegen alle Verführungen durch Macht, Gold und Geld, Herrschaft und Prestige, die immer wieder auch in der Kirche einzogen und uns auch heute nicht weniger blenden.
Darum gibt es auch eine große Geschichte der Kreuzesdarstellungen im Lauf der Jahrhunderte. Die Menschen haben all das Leid und den Schmerz in das Kreuz und in den Gekreuzigten hineingesehen, die sie umtrieben und quälten: den blaugewordenen Leib des Gekreuzigten in Erinnerung an die so viele Menschen dahinraffende Pest, der gekrümmte Leib des Herrn am Kreuz als Mahnung an die Folter in Gefängnissen und der geschlagene, zerschundene Leib des Herrn, stellvertretend für alle Gewalt, aber auch ungestillten Hunger und Hungerstod.
In diesem Zusammenhang muss vom Kreuzzeichen die Rede sein. Romano Guardini beginnt das kleine Buch von den Heiligen Zeichen mit einer Deutung des Kreuzzeichens. Seine Betrachtung nimmt uns sofort in Beschlag, wenn er beginnt: „Du machst das Zeichen des Kreuzes, machst es richtig. Kein hastiges, verkrüppeltes, bei dem man nicht weiß, was es bedeuten soll, sondern ein richtiges Kreuzzeichen, langsam, groß, von der Stirn zur Brust, von einer Schulter zur anderen. Fühlst du, wie es dich ganz umfasst?“
Das Kreuzzeichen umfasst uns ganz und gar. Alle Gedanken, den ganzen Leib, von der Stirn zur Brust, von Schulter zu Schulter. Es umspannt Leib und Seele. Es sammelt uns über den ganzen Leib. Zugleich weist es auf die vier Himmelsgegenden. Es ist das Zeichen, das alles umfängt. Am Kreuz hat der Herr alle Menschen erlöst. „Durch das Kreuz heiligt Er den Menschen, ganz, bis in die letzte Faser seines Lebens. – Darum machen wir es vor dem Beten, damit es uns ordne und sammle, Gedanken und Herz und Willen in Gott fasse. Nach dem Gebet, damit in uns bleibe, was Gott uns geschenkt hat. In der Versuchung, dass Er uns stärke. In der Gefahr, dass Er uns schütze. Beim Segen, auf dass Gottes Lebensfülle hereingenommen werde in die Seele und alles darinnen befruchte und weihe.“
Wenn wir an den Ursprung und den tiefen Sinn des Kreuzes denken, können wir erschrecken, dass wir es wagen, über uns und über unser oft elendes Leben dieses Zeichen des Kreuzes zu setzen. Aber schon Jesus selbst hat uns einen wichtigen Hinweis gegeben. Das Kreuz steht nicht nur auf Golgotha, wir werden gemahnt, dass wir jeden Tag unser Kreuz auf uns nehmen und es tragen (vgl. Mt 10,38; Lk 14,27). Es hat mit unserem eigenen Leben zu tun. Deshalb dürfen wir es auch durch das Zeichen des Kreuzes, mit dem wir uns ganz umspannen, hineinnehmen in unser Leben. Als ich vor mehr als fünfzig Jahren zum ersten Mal das schmale Buch „Von heiligen Zeichen“ las, bin ich durch die Schlussworte dieser kleinen Besinnung zuerst erschreckend, dann aber auch erfrischend und belebend aufgerufen worden, das Kreuzzeichen zu schätzen und zu achten: „Denke daran, sooft du das Kreuzzeichen machst. Es ist das Zeichen einfachhin, das Zeichen Christi. Mache es recht: Langsam, groß, mit Bedacht. Dann umfasst es dein ganzes Wesen, Gestalt und Seele, deine Gedanken und deinen Willen, Sinn und Gemüt, Tun und Lassen, und alles wird darin gestärkt, gezeichnet, geweiht, in der Kraft Christi, im Namen des Dreieinigen Gottes.“
Dies ist die Kraft der Zeichen. Nachdenken ist gut, Besinnung tut wohl, Gesten sind notwendig, aber reale Zeichen, die eben auch mit unserem ganzen Leib zu tun haben, sprechen nochmals eine eigene Sprache. Sie dringen tiefer in uns ein, wenn wir sie nur richtig vollziehen. Darum hat auch Romano Guardini einen großen Sinn gehabt, wenn er sich um die oft verborgene Bedeutungsfülle der so genannten „Volksliturgie“ bemühte. Die Macht der Zeichen, die ja durchaus von Worten begleitet sind, durchdringt Leib und Seele, beansprucht uns ganz und gar, umfassend und durchgreifend. Darum hat sich Romano Guardini auch schon sehr früh in seinem ganzen Bemühen um diese Zeichen, gerade auch das Kreuz, bemüht. Zu den Schriften der allerersten Jahre gehört das kleine Buch „Der Kreuzweg unseres Herrn und Heilandes“ .
Die Zeichen sprechen aber nur, wenn wir sie nicht ritualistisch eingefrieren. Sonst geben sie ihre Tiefe und Weisheit nicht her, sondern versinken in gedankenloser Routine oder in Unkenntnis. Man kann die heiligen Zeichen freilich auch durch eine falsche Gelehrsamkeit in ihrer Ausstrahlungskraft ersticken. Guardini war von Anfang an hier besonders sensibel. Ja, er hatte gegenüber der allzu unbefangenen Liturgiewissenschaft eine gewisse Skepsis: „Und nicht um vergangene Wirklichkeit, sondern um gegenwärtige, die immer aufs Neue geschieht, an uns und durch uns geschieht; um Menschenwirklichkeit in Gestalt und Handlung. Die aber bringt man nicht nahe, indem man sagt: Sie ist damals entstanden, und hat sich so und so entwickelt. Auch nicht, indem man ihr irgendwelche Lehrgedanken unterlegt, sondern – wir haben es eingangs gehört – indem man hilft, an der leibhaften Gestalt das Innere abzulesen: am Leib die Seele, am irdischen Vorgang das Geistlich-Verborgene.“
(c) Karl Kardinal Lehmann
Im Original sind eine Reihe von Fußnoten und Verweisen enthalten.
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz