Erneuerung der Aussöhnung

Zum Verhältnis zwischen Deutschen und Polen

Datum:
Dienstag, 11. Oktober 2005

Zum Verhältnis zwischen Deutschen und Polen

Gastkommentar für die Kirchenzeitung Glaube und Leben - Oktober 2005

Nachbarschaften sind immer besonders sensibel. Dies gilt für die Menschen in den Dörfern, erst recht in großen Wohnblöcken, aber auch unter den Völkern. So hatten wir nach dem Zweiten Weltkrieg viel Mühe, mit unseren unmittelbaren Nachbarn wieder zu einem „normalen“ Verhältnis zu kommen, nicht zuletzt mit Frankreich und Polen, den Niederlanden und Dänemark, aber auch mit den Tschechen und Slowaken. Österreich und die Schweiz sind jeweils eigene Kapitel.

Kein Land hat wohl vom 1. September 1939 an so unter dem Krieg und den Verbrechen der Nazis gelitten wie Polen. Hitler plante regelrecht die Vernichtung und Ausrottung. Zugleich war Polen, wie immer wieder in der Geschichte, auch vom östlichen Nachbarn her in die Enge getrieben und angegriffen worden. Der Aufstand im Warschauer Getto zeigte den verzweifelten Mut. Die Polen konnten sich nicht ausreichend wehren, als viele Konzentrationslager auf ihrem Boden entstanden und Millionen von Menschen zu Tode kamen.

Dies alles erzeugte für viele Jahre eine große Sprachlosigkeit. Da auch wiederum Millionen von Deutschen aus ihrer angestammten Heimat vertrieben wurden und auch dabei viele Grausamkeiten geschahen, entstand rasch ein großes gegenseitiges Aufrechnen. Schließlich gab es für Polen – im Unterschied zur Bundesrepublik Deutschland (West) – nach 1945 keine echte Befreiung, sondern nach der braunen kam für Jahrzehnte die rote Diktatur in dieses freiheitsliebende Land.

Man kann verstehen, dass es länger dauerte, bis hier Schritt für Schritt eine Aussöhnung stattfand. Einen Höhepunkt erreichte sie im berühmten Versöhnungsbriefwechsel zwischen den polnischen und deutschen Bischöfen im November/Dezember 1965, als das Zweite Vatikanische Konzil zu Ende ging. In ihrer einmaligen Botschaft, die wirklich von der Kraft des Glaubens zeugt, lesen wir die Worte: Wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung. Die deutschen Bischöfe haben diese ausgestreckte Hand dankbar angenommen. Der kommunistische Staat in Polen war wütend und ließ es die Kirche spüren. Diese stand jedoch trotz der Attacken zu ihrer Versöhnungsbitte. Anfang Mai 1966 hat eine halbe Millionen Menschen in Tschenstochau dem Primas von Polen, Kardinal Stefan Wyszynski, bestätigend geantwortet: Wir vergeben.

Der Zahn der Zeit nagt auch an großen Ereignissen. Immer wieder besteht die Gefahr, dass sie der Vergessenheit anheim fallen. Wenigstens haben sie keine Kraft mehr im Leben der Menschen. Um dies zu verhindern, ist viel an Kontakten und Hilfen unternommen worden. Es waren mutige Laien auf beiden Seiten, aber auch ihrer Verantwortung bewusste Priester und Bischöfe. Beide Bischofskonferenzen haben 1995 und nun 2005 jeweils – zum ersten Mal – Gemeinsame Erklärungen verfasst und verabschiedet, um die Erinnerung an diese Aussöhnung am Ende des Konzils lebendig zu erhalten.

Am 21. September kam eine polnische Delegation zu unserer Herbst-Bischofskonferenz nach Fulda, eine deutsche Abordnung war am 24. September in Breslau. Am Grab des hl. Bonifatius und in dankbarer Erinnerung an die hl. Hedwig haben wir unseren Willen zur Aussöhnung bekräftigt und erneuert. Denn leider gibt es auch heute immer wieder von beiden Seiten Irritationen und Störmanöver, über die wir freilich heute offen reden können.

Wir brauchten lange Zeit, um besonders zu unseren östlichen Nachbarn wieder ein „normales“ Verhältnis zu gewinnen. Ganz vergessen können wir das, was geschehen ist, ohnehin nie. Darum brauchen wir die Kraft der Versöhnung aus christlichem Geist. Hier ist vieles geschehen. Gerade auch die Heimatvertriebenen haben durch den frühen Verzicht auf Rache viel zur Aussöhnung beigetragen.

In dieser neuen Atmosphäre dürfen wir dann auch über die deutsch-polnischen Beziehungen hinausgehen und gemeinsam für ein neues Europa eintreten, das seine christliche Herkunft nicht verleugnen darf. Gerade darum dürfen wir das gemeinsame Licht der Versöhnung, auf das wir nun dankbar seit 1965 zurückblicken, nicht erlöschen lassen. Die Erinnerung an den großen Papst aus Polen, Johannes Paul II., und die Gegenwart eines Papstes aus Deutschland, Benedikt XVI., der gerade in Polen viel verehrt wird, helfen uns dabei.

© Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz