Vor Jahrzehnten gab es angesichts der wachsenden Bedeutung der Medien und ihrer Möglichkeiten immer mehr die Forderung nach einer Verstärkung der Medienethik in Bildung und Fortbildung. Gerade die Kirchen haben auch in ihren Medienabteilungen viel dafür getan. In der Zwischenzeit ist freilich das Interesse bis auf akademische Bemühungen ziemlich zurückgegangen. Aber ich glaube, dass eine ethische Betrachtung vor allem politischer Äußerungen in den Medien an Dringlichkeit nichts verloren hat.
Mir fällt dies in den jetzigen Wochen besonders auf in verschiedenen Äußerungen zur Bundeskanzlerin. Wenn ich meine Bedenken gerade daran knüpfe, treibe ich weder Parteipolitik noch Personenkult. Aber in diesem Bereich ist wirklich einiges auch einmal konkret zu benennen.
Ich setze dabei voraus, dass wir in einer Demokratie leben, wo unterschiedliche Positionen und Stellungnahmen zur Atmosphäre gehören. Und dies steigert sich noch in Wahlkampfzeiten.
Seit Wochen wird in vielen Blättern und digitalen Medien die schwierige politische Lage immer wieder in einer problematischen Weise personalisiert: Wie lange hält sie durch? Ist sie noch zu retten? Wird sie bald abstürzen? Es ist nicht nur die Sprache der politisch Andersdenkenden. Politik ist nun einmal mit dem Wettbewerb verbunden, aber in diesen wochenlang ständig wiederholten Slogans ist immer auch ein Stück Häme offenkundig oder verborgen. Irgendwo scheint die Schadenfreude durch, dass die bald zehn Jahre regierende Bundeskanzlerin in eine Krise gekommen ist oder vielleicht auch stürzen könnte, von wem dies immer angezettelt wird.
Ich vermisse wenigstens in einem gewissen Grad die Einsicht, dass in diesen schwierigen Schicksalsfragen unseres Landes jemand einen Auftrag erfüllt, dessen Gelingen nicht nur persönlich eingeschätzt werden darf. Etwas genüsslich bringt auch die Bild-Zeitung die Politiker in Europa zur Sprache, die der Bundeskanzlerin nur Böses wünschen. Sie hat nicht nötig, sich persönlich beschimpfen zu lassen. Aber wir sollten doch etwas mehr nachdenken, was schon ein römisches Sprichwort sagt: Tua res agitur! Deine Angelegenheit steht auf dem Spiel, nicht nur das persönliche Wohlergehen und das Prestige eines politisch tätigen Menschen.
Es ist ja nicht so, dass wir uns diese äußerst schwierige Situation einfach aussuchen könnten und als ob diese viele Lösungen anböte. Wo kann man etwas spüren von der Solidarität mit dem Menschen, der so in einem oft unauflösbaren ethischen Dilemma steckt: lebensgefährdete Menschen, oft noch mit Kindern, vor allem in einer Notsituation, für die es keine Spielregeln mehr gibt, über die Grenze zu lassen oder sie rücksichtslos zugrunde gehen zu lassen.
Wenn wir auch wissen, dass die Beantwortung dieser Herausforderungen letztlich nur auf der europäischen Ebene erfolgt und nicht nationalstaatlich beantwortet werden kann, dann ist dieses Warten-Müssen, ob die europäische Idee auch hier real zum Tragen kommt, von bitterem Ernst und verdient nicht die süffisanten Kommentare. Wir können doch im Ernst auch nicht hinnehmen, dass ganze Staaten eine europäische Gesinnung bezeugen, wenn und solange sie die finanziell Begünstigten sind. Wundert es uns auch, dass manche dies der deutschen Bundeskanzlerin heimzahlen, dass sie in den letzten Jahren von allen eine strenge Sparpolitik einforderte?
Hier wäre es bei aller Meinungsverschiedenheit und aller politischen Polyphonie, die zu den demokratischen Spielregeln unseres Landes gehört, angezeigt, dass bei allen Spannungen und Konflikten Fairness geübt wird, so wie sie auch noch bei einem scharfen Boxkampf mit Recht verlangt wird. Man kann vielleicht tiefe Meinungsverschiedenheiten nicht überbrücken. Man braucht auch keine falschen Kompromisse zu schmieden, wenn man unversöhnliche Ansichten vertritt. Deshalb gibt es als Minimallösung - vor allem aus dem sauberen Sport - das Gebot der Fairness.
Man wird antworten, unsere Welt sei eben so. Man müsse sie hinnehmen. Alles andere sei Illusion. Ich will mich damit nicht abfinden. Daran erinnert mich auch die Bibel, wenn sie in einem weiteren Zusammenhang sagt: „Vor allem fordere ich zu Bitte und Gebeten, zu Fürbitte und Danksagung auf, und zwar für alle Menschen, für die Herrscher und für alle, die Macht ausüben, damit wir in aller Frömmigkeit und Rechtschaffenheit ungestört und ruhig leben können." (1 Tim 2,1-2)
(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz
Diese Gastkolumne lesen Sie auch in der aktuellen Ausgabe der Mainzer Kirchenzeitung "Glaube und Leben" vom 7. Februar 2016.
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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