Gastkommentar für die Mainzer Kirchenzeitung "Glaube und Leben" (Januar 2006)
In den letzten Wochen und Monaten ist durch verschiedene Pressemeldungen immer wieder der Eindruck entstanden, die Kirchen würden viele Gotteshäuser der religiösen Nutzung entziehen, verkaufen oder abreißen. Dabei ist gelegentlich sogar der Eindruck erweckt worden, die katholische Kirche sei davon sehr viel stärker betroffen als andere Konfessionen.
Um diesen Eindrücken zu begegnen und die ganze Sache auf eine solide Basis zu stellen, hat das Liturgische Institut Trier im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz schon im Frühjahr 2005 die wahren Verhältnisse untersucht und kam zu ganz anderen Ergebnissen: Fast 99 Prozent der katholischen Kirchengebäude werden für Gottesdienste genutzt, nur etwa 1,3 Prozent der 24.500 Kirchengebäude in unserem Land werden nicht für die Feier von Gottesdiensten verwendet. In fast 15 Jahren, nämlich von 1990 bis 2004, wurden in ca. 1,7 Prozent der Kirchengebäude keine Gottesdienste mehr abgehalten und die Kirchen anders verwendet. 1,3 Prozent der Kirchengebäude sind dabei Eigentum der Kirche geblieben. Der Rest (0,4 Prozent) ist verkauft oder abgerissen worden. Von den veräußerten Gebäuden wird im Übrigen ein Drittel durch andere Glaubensgemeinschaften genutzt; der sakrale Charakter ist also erhalten geblieben.
Diese Zahlen sind längst bekannt, aber die Sache selbst ist nicht selten fehlinterpretiert worden. Wenn man manche Agenturmeldungen und Kommentare näher betrachtet, stellt sich heraus, dass nicht wenige Interpreten die Tatsache einer Schließung oder gar eines Abbruchs einer Kirche etwas voreilig als Ausdruck einer rückläufigen Entwicklung des christlichen Glaubens und seiner institutionellen Möglichkeiten gewertet haben.
Es ist nicht zu leugnen, dass einige Kirchen aufgegeben werden müssen. Dies hängt auch mit den demografischen Folgen zusammen, die die ganze Gesellschaft treffen. Früher haben Schließungen und Umnutzungen wenig oder kein öffentliches Interesse hervorgerufen. Dies ist aus verschiedenen Gründen anders geworden.
Aber es besteht kein Grund zu irgendeiner kulturkritischen Panik, als ob die „Sakralität“ grundlegend aus dem Inneren der Kirche selbst bedroht wäre - und dies besonders in der katholischen Kirche. Die schon zitierte Umfrage hatte auch zum Ergebnis, dass in den kommenden zehn Jahren weniger als drei Prozent der Kirchengebäude nicht mehr der Feier der Liturgie dienen werden. Wenn man diese Zahl von 700 betroffenen Kirchengebäuden isoliert und nicht zu den übrigen Angaben in Beziehung setzt, dann klingt eine solche Zahl wie eine Katastrophe, ist es aber in Wirklichkeit nicht.
Freilich will ich keinen Zweifel daran lassen, dass man mit jeder Schließung, Umnutzung und jedem Abbruch sehr sensibel umgehen muss. Die Bischofskonferenz hat dafür eine Arbeitshilfe „Umnutzung von Kirchen. Beurteilungskriterien und Entscheidungshilfen“ (Bonn 2003) veröffentlicht. Vielleicht ist man da oder dort etwas zu sorglos mit der Umwidmung umgegangen. Manche eigene Pressemitteilung klang wie eine Erfolgsmeldung. Man muss gewiss innerhalb und außerhalb der Kirchen sorgfältig aufklären, dass die Kirche an einzelnen Immobilien, die nicht gebraucht werden und nicht selten einen hohen Sanierungsbedarf haben – auch einzelne Pfarrhäuser, Pfarrheime und andere Gebäude-, nicht festhalten kann, und zwar im Interesse und in der Verantwortung für die große Zahl gebrauchter Kirchen sowie vor allem im Blick auf die pastorale Handlungsfähigkeit auch in der Zukunft.
Die Umnutzung relativ weniger Kirchen ist also nicht der Kulturschock oder die von der Kirche selbst provozierte „Gegenbotschaft“ gegen die Sakralität. Alles spricht für einen verantwortlichen, Achtung gebietenden Umgang mit unseren Kirchen. Am meisten nutzt man sie freilich dann, wenn man in ihnen betet und Gottesdienste mitfeiert. Auch das sollte man klar beim Namen nennen.
© Karl Kardinal Lehmann
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz