Gastkommentar in der Kirchenzeitung von Januar
Seit vielen Jahren mache ich bei der Predigt besonders an Hochfesten eine ziemlich eindeutige Erfahrung: Wenn in der Predigt einige brauchbare politisch orientierte Allerwelts-Aussagen vorkommen, wird man bei der Berichtserstattung offenbar gerne und schnell zitiert. Wer sich jedoch theologisch und religiös tiefer um die jeweilige Heilsbotschaft mit ihrer Bedeutung sorgt, hat das Nachsehen. Man wird nur allzu leicht auf Kompromisse hin verführt.
Manche werden denken und sagen, dies sei nichts anderes als das beinahe selbstverständliche Resultat von Religionsfreiheit und Neutralität in einer säkularen Gesellschaft. Am Ende bleibe die Klammer des Politischen im weitesten Sinne, die allein das Kriterium des Interesses bilde, von der Unterhaltung einmal abgesehen. Die Folge wird freilich weniger bedacht, wenn etwas politisch nicht relevant ist, tut es sich unendlich schwer.
Man scheut sich zunehmend vor dem Bekenntnis. Wirkliche Weihnachtsartikel treten auch in den seriösen Printmedien mehr und mehr zurück. Die Politiker-Reden an Weihnachten und zum Jahreswechsel spielen nur sehr verhüllt auf die christlichen Feste an. Leider ist auch mancher christliche Prediger den Versuchungen nicht gewachsen, sich mit Tagesaktualitäten zu begnügen, anstatt der Tiefe und Tragweite der christlichen Botschaft nachzugehen und sie auszulegen.
Gewöhnlich sieht man dahinter die persönliche Einstellung einzelner, die man so hinnehmen müsse. Bei Menschen in öffentlicher Verantwortung verlangt man dies beinahe prinzipiell als Ausdruck von Toleranz. Dagegen ist auch grundsätzlich nichts einzuwenden. Aber an Weihnachten ist die Sache doch etwas komplexer. Alle reden vom Frieden. Alle spielen – oft freilich weit entfernt – auf die Geburt des Kindes an, das zugleich der ersehnte Friedensfürst ist. Weil man aber sich nicht mehr zutraut, bleibt diese Botschaft vom Frieden auch reichlich blass und abstrakt. Für sie kann man nicht so recht leben und erst recht nicht sterben, wie wir es z.B. den sieben Soldaten beim Hubschrauber-Absturz in Afghanistan zumuten.
Es ist eine Frage der Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, die doch sonst bei der öffentlichen Rede immer wieder angefordert werden: Wenn die Friedensbotschaft, die selbstverständlich über die biblischen Religionen hinausgeht, wirklich in der radikalen Tiefe der Weihnachtsbotschaft wurzelt, dann sollte man dies auch sagen. Sonst redet man von einer Sorge um den Frieden, die eben nicht so billig eingelöst werden kann. Nur allzu leicht ist dieser Aufruf zum Frieden dann auch mit oberflächlichen Ideologien verwechselbar.
Alle, die im Verkündigungsdienst der Kirchen stehen, müssen gerade heute mit allen Mitteln sich bemühen, die unverwechselbare und eigene religiöse Tiefe der christlichen Friedensbotschaft zu entfalten. Es gibt dafür sehr viele Hilfen. Diese Botschaft ist an der Wurzel im Glauben gegründet, der aber durchaus für alle wenigstens plausible Argumente enthält. Und auch sonst kann ich mir einen anderen Umgang mit dieser weihnachtlichen Friedensbotschaft vorstellen: In einer pluralistischen Gesellschaft kann man gewiss nicht eine, noch so ausgezeichnete Position, besonders aus der Warte der politisch Verantwortlichen absolut setzen. Was man aber sagt, darf auch nicht so nivellieren, dass nur noch ein fader Geschmack oder eine sehr ferne Erinnerung übrigbleibt. Man kann in der pluralistischen Gesellschaft, auch und gerade wenn man Religionsfreiheit und Toleranz anerkennt, entschieden und bekenntnishaft seine eigene Überzeugung vertreten, und zwar ohne jeden Fanatismus und Fundamentalismus. Man muss dann die Möglichkeit und Wirklichkeit anderer Positionen aufscheinen lassen. Minderheiten verlangen mit Recht Rücksicht, aber sie können deshalb andere Überzeugungen nicht zum Schweigen bringen.
Weihnachten ist mehr und mehr ein Lehrstück, wie schwer wir es uns auf allen Seiten mit der öffentlichen Rede über Weihnachten tun.
(c) Bischof Karl Kardinal Lehmann
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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