„Freiheit fühlen – Verantwortung wagen“

Festvortrag beim Stiftungstag Rheinland-Pfalz am 9. Juli im Hambacher Schloss / Neustadt a.d.W.

Datum:
Montag, 9. Juli 2007

Festvortrag beim Stiftungstag Rheinland-Pfalz am 9. Juli im Hambacher Schloss / Neustadt a.d.W.

I.

Seit langer Zeit gibt es verschiedene Stiftungen, die von vermögenden Menschen im Sinne eines Vermächtnisses mit einer bestimmten Zielsetzung zum Nutzen des Gemeinwohls oder bestimmter Adressaten errichtet werden. Was nicht direkt an die Erben weitergegeben wird, kann in eine Stiftung eingebracht werden, die ein bestimmtes Vermögen für immer einem konkreten Zweck widmet und dadurch einem willkürlichen Zugriff entzieht. Die Stifter können sicher sein, dass auch nach ihrem Tod ihre Zweckbestimmung eingehalten wird. Darum ist auch die Aufsicht über Stiftungen wichtig.

Solche Stiftungen gibt es seit der Antike. Vor allem der Totenkult ist für lange Zeit noch ein Anknüpfungs- und Haftpunkt für die Schaffung von Stiftungen. Das geltende Recht entwickelte sich aus dem Recht der christlichen Kaiserzeit. Nach den Regelungen im so genannten Codex Justinians konnten Güter durch Verfügung von Todes wegen für kirchlich-soziale Zwecke hinterlassen werden, um so für das Heil der eigenen unsterblichen Seele zu sorgen. Solche Verfügungen wurden „piae causae“ genannt. Ursprünglich wurde das Vermögen meist einem Treuhänder, nicht selten der Kirche oder einem Kloster, anvertraut, der die Erträge des Vermögens dem vom Stifter festgelegten Zweck zuführte.

Ab der Mitte des 13. Jahrhunderts begann eine „Verweltlichung“ des Stiftungswesens durch das aufkommende Spitalwesen, welches nicht mehr so eindeutig innerhalb der Kirche stand und auch oft z.B. einer städtischen Aufsicht unterlag. In der Reformationszeit wurden zahlreiche kirchliche Stiftungen umgewidmet. Das Stiftungsrecht wechselte aus dem kirchlichen in das weltliche Recht. Es entstand eine staatliche Stiftungsaufsicht. Mit der Aufklärung traten weltliche Zwecke noch stärker in den Vordergrund. Außerdem bedurfte die Errichtung selbstständiger Stiftungen einer staatlichen Genehmigung. In der ehemaligen DDR wurden viele Stiftungen enteignet.

Es besteht heute ein Anspruch auf Genehmigung, wenn die nachhaltige Erfüllung des Stiftungszwecks gesichert erscheint und der Stiftungszweck keine Rechtswidrigkeit enthält und das Gemeinwohl nicht gefährdet. Der Stiftungszweck kann, wie man sagt, „privatnützig“ sein, z.B. einer Familie oder Betriebsangehörigen zukommen oder gemeinnützig. Die gemeinnützigen Stiftungen dienen nicht zuletzt Religion, Wissenschaft, sozialen Aufgaben, Erziehung und Bildung, Kunst. Dies zeigt in welchem Maß Stiftungen zu unserem Gemeinwesen gehören und wie sie grundlegend geschützt sind. Gemeinnützige Stiftungen werden steuerlich begünstigt.

Deutschland erlebt schon seit einiger Zeit einen regelrechten Stiftungsboom. Die Zahl der Stiftungen ist nach Auskunft des Bundesverbandes deutscher Stiftungen in den letzten zehn Jahren um das Doppelte gestiegen, von ca. 7.200 auf 14.400. Ähnliches gilt für die Zeit zwischen 1990 und 2000, in der die Zahl der Stiftungen um rund 40 Prozent auf über 10.000 stieg. Dabei sind die so genannten treuhänderischen oder nichtselbstständigen Stiftungen nicht mitgezählt, wie sie oft auf lokaler oder regionaler Ebene gegründet werden. Dies ist eine sehr positive Entwicklung, die freilich auch notwendig war, denn Deutschland war längere Zeit fast eine Art Entwicklungsland im Blick auf die Stiftungen. Man muss sich freilich auch klar sein, dass es hier einen beträchtlichen geschichtlichen Wandel gibt.

Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gab es wohl etwa 100.000 Stiftungen. So sind also bis zum Jahr 1998, wofür 8.000 angegeben werden, ungeheuer viele Stiftungen zusammengebrochen, nicht zuletzt bedingt durch die beiden Weltkriege und die entsprechenden Geldentwertungen. Immer wieder ist darum in den letzten Jahrzehnten die Forderung erhoben worden, das Stiftungsrecht, das in hohem Maß Ländersache ist, neu zu gestalten und dadurch neue Anreize zu geben für die Schaffung von Stiftungen. Nach der Wiedervereinigung 1990 erlebte das Stiftungswesen in den neuen Bundesländern einen erneuten Aufschwung. Schließlich wurden im Jahr 2001 das Stiftungssteuerrecht und 2002 die Vorschriften der §§ 80–88 im Bürgerlichen Gesetzbuch modernisiert. Durch die neuere Entwicklung wurde auch die staatliche Dominanz im Stiftungswesen zurückgeschnitten. So stehen kirchliche Stiftungen unter dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen (Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung). Im Bereich der katholischen Kirche sind Rahmenvorschriften in den cann. 1299 ff. CIC/1983 zusammengefasst. Im evangelischen Bereich gibt es in einzelnen Landeskirchen auch kirchliche Stiftungsgesetze.

II.

Viele früheren Stiftungen entstammen, wie erwähnt, einem kirchlichen Hintergrund. Dabei gab es auch so genannte gemischte Stiftungen aus einer gewissen Einheit von Bürgergemeinde und Pfarrgemeinde, besonders wenn es sich um frühe Stiftungen handelt. Später war es aber ganz besonders neben dem Adel das Bürgertum, das die Blütezeit des Stiftungswesens hervorgerufen hat. Dahinter steckten viele Motive. Unschwer ist ein Moment von öffentlicher Selbstdarstellung zu erkennen. Man wollte im Gemeinwesen sichtbar bleiben und etwas Neues und Bleibendes schaffen, das mit dem eigenen Namen und der eigenen Lebensleistung verbunden war. Nicht selten stecken hinter bürgerlichen Stiftungen aber auch Gegenbewegungen zum Feudalismus. Dies gilt besonders für die europäischen Städte, wo der bürgerliche Gestaltungswille sich einen eigenen Ausdruck schaffen wollte.

Man kann dies auch noch an der großen Zahl der Stifter aus dem jüdischen Bürgertum erkennen. Stiftungen waren eine Möglichkeit, die wachsende Bedeutung der jüdischen Bürger für das Gemeinwesen erkennbar und sichtbar zu machen. Es war auch die Chance, eine größere öffentliche Anerkennung zu erhalten. Die Schaffung und Erhaltung von Stiftungen zeigen so auch manchmal einen Willen zur Emanzipation in der offenen bürgerlichen Gesellschaft.

So ist es auch zu erklären, warum es in den Zeiten des Nationalsozialismus einen großen Verlust an Stifterpersönlichkeiten und an Stiftungen gegeben hat. Der Nationalsozialismus war immer auch antibürgerlich. Auch der Sozialismus der Staatsdiktaturen lehnte nicht minder jede demonstrative und selbstbewusste Selbstdarstellung ab und teilte das antibürgerliche Ressentiment.

In der Bundesrepublik Deutschland gab es gewiss nach dem Zweiten Weltkrieg eine Kontinuität in der Gesetzgebung. Doch ähnlich wie im Bereich des Sozialstaates gab es auch hier eine Überlastung des Staates mit kulturellen und sozialen Aufgaben. Für alles, was kulturell und sozial wichtig ist, sollte der Staat einstehen und sorgen. Diese Einstellung wurde in der sozial-liberalen Ära noch verstärkt. So ist auch zu erklären, dass der Versuch einer umfassenden Reform des Stiftungswesens lange Zeit scheiterte. Man muss auch soweit gehen zu sagen, dass Stiftungen manchmal auch geradezu lächerlich gemacht worden sind. Einzelne Stifter wurden nicht selten öffentlich diffamiert. Um so notwendiger wurde eine neue Stiftungskultur.

Freilich gibt es hier beträchtliche Unterschiede. Es ist nicht zufällig, dass die großen Stiftungen in den Städten, näherhin in den Handelsstädten, entstanden sind. Hier war ein selbstbewusstes und auch vermögendes Bürgertum entstanden. So gibt es auch heute noch z.B. in Hamburg und Frankfurt viele bürgerliche Stiftungen. Die Entwicklung ist auch ganz anders verlaufen im Blick auf einen Vergleich mit den USA. In Amerika hat der Staat eigentlich noch kaum existiert in einer Zeit, als die Gesellschaft schon bestand. Man denke an die kleinen Trupps, die nach Westen zogen. Das Gemeinwesen in den USA ist darum viel stärker von unten aufgebaut worden. Die Notwendigkeiten sind darum auch viel stärker von unten wahrgenommen und finanziert worden. So beziehen sich auch heute noch die Maßnahmen im Sozialwesen sehr stark auf gesetzgeberische Vorgaben, dass z.B. für die Behinderten behindertengemäße Zugänge geschaffen werden. Bei uns ist das Sozialwesen mehr von oben nach unten entstanden. Daran waren auch die sozial empfindenden Feudalherren und gewiss auch Aktivitäten im kirchlichen Raum beteiligt – bis hin zur Entstehung der Sozialpolitik Bismarcks.

III.

Man muss dies wissen, um unsere Situation und auch die Probleme verstehen zu können, die eine Erneuerung der Stiftungskultur erschweren. Denn in der Tat hat sich im Blick auf diese gesellschaftlichen Voraussetzungen, die ja auch eine Mentalität ausgebildet haben, sehr viel verändert. Aber die Wandlungen allein schaffen noch keine neue Einstellung. Es sind manchmal auch harte Erfahrungen und schmerzliche Einsichten, die uns vielleicht weiterbringen.

Wir sehen viel deutlicher, dass wir den Staat nicht zusätzlich und immer mehr überladen dürfen. Wir können manche kulturelle, erzieherische und soziale Vorsorge vom Staat nicht mehr in der bisherigen Form erwarten. Diese „Armut des Staates“ muss auf vielfältige Weise behoben werden. Insofern ist eine Kompensation durch neue Hilfen notwendig. Die Stiftungskultur muss aber auch noch bei einem anderen Punkt ansetzen. Wir haben bei uns ein starkes Misstrauen der Bürger, wenn sich Private für die öffentlichen Belange verantwortlich fühlen. Man wirft ihnen rasch vor, dass sie z.B. nur ihre Eitelkeit befriedigen wollen. Wir müssen stärker erkennen, dass die Verantwortung für öffentliche Belange nicht einfach beim Staat und seinen Organisationen liegt. Es ist ja ein Aberglaube zu denken, sobald die Verantwortung für die öffentlichen Belange staatlich verwaltet würde, sei sie besser wahrgenommen. Hier muss es in Zukunft stärkere Arbeitsteilungen geben.

Damit wird auch deutlich, dass das neuere bürgerliche Engagement, das in dem eingangs erwähnten Stiftungsboom zum Ausdruck kommt, neue Dimensionen enthält. Es geht nicht mehr darum, sich selbst günstig darzustellen oder um sich durch die öffentliche Bekanntmachung großherziger Spenden das Ansehen zu verbessern. Im Vordergrund steht sehr viel mehr die Verantwortung derer, die auch größere Lasten übernehmen können. Die in unserem Grundgesetz zum Ausdruck kommende Verpflichtung des Eigentums, soziale gesellschaftliche Aufgaben zu übernehmen, ist in unserer Gesellschaft wenig bewusst. Es wird wohl auch zu wenig erzogen zur Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft oder der Gesellschaft. Wir reden viel von Rechten, aber weniger von Pflichten. Eigennutz geht in hohem Maße vor Gemeinnutz. Eine neue Stiftungskultur braucht gerade hier einen Wandel und muss die Eigenverantwortung mehr fordern, aber auch mehr fördern. Dabei darf man in diesem Zusammenhang nicht nur auf die Vermögenden allein schauen. Jeder Staatsbürger muss auf seine Weise hier umdenken. Man muss ja nicht immer nur Geld zur Verfügung stellen. Man kann auch Zeit hergeben, um soziale Aufgaben zu erfüllen. Wir müssen auch in ganz anderer Weise begrüßen und anerkennen, wenn privates Engagement steigt und sozialen und kulturellen Notwendigkeiten entgegenkommt. Es geht um die Anerkennung von ehrenamtlicher und freiwilliger Arbeit überhaupt. Wir müssen übrigens auch die „unbekannten Reichen“ entdecken.

Die Leistungsfähigkeit des Staates stößt unübersehbar an ihre Grenzen, sodass er sich in seiner Rolle als Vollkasko-Versicherer gegen alle Fairnesse des Lebens eher zurückhalten muss. Die öffentliche Hand muss sich stärker auf ihre Kernaufgaben konzentrieren. Zentrale Steuerungsmechanismen können in unserer komplexen Lebenswelt vielfach auch nicht mehr rechtzeitig und sicher greifen. Wir dürfen eine gewisse Entpersonalisierung von Verantwortung durch die Delegation an den Staat nicht fördern. Viele wichtige soziale und kulturelle Aufgaben müssen an die Gesellschaft zurückgegeben werden. Bürgerschaftliches Engagement kann nicht von oben verordnet werden, es wächst von unten. Darum ist auch der Gedanke der Subsidiarität so wichtig geworden. Der vielzitierte mündige Bürger wird so ein Stück wirklichkeitsnäher. Diese große Aufgabe in unserer Gesellschaft können wahrhaftig nur viele Maßnahmen, die sehr plural sind, übernehmen. Aber die Stiftungen sind ein wesentliches Mittel dazu. Im Unterschied zu Sponsoring und zu allen Spendenformen zielen die Stiftungen nicht auf kurz- bis mittelfristige Hilfen ab, sondern sie wirken nachhaltig. Dies heißt auch, Verantwortung zu übernehmen über Generationen hinaus. Denn es ist ja gerade auch das Merkmal einer Stiftung, dass sie gleichsam für die Ewigkeit konstruiert ist, da das Stiftungsvermögen unangetastet bleibt und nur die Erträge (Zinsen, Miete usw.) dem Stiftungszweck zufließen.

IV.

Damit kommen wir ein Stück weit unabhängig von der gesellschaftlichen Situation und von der heutigen Mentalität auf die tieferen Wurzeln, warum es Stiftungen geben kann und soll. Es geht um die anthropologische und ethische Grundlage der Stiftungskultur. Hier bekommt das Wort „stiften“ eine besondere Bedeutung. Die Stiftung greift nicht einfach auf Vorhandenes zurück. Sie baut auch Vorgegebenes nicht einfach um. In jeder Stiftung liegt ein ganz elementares kreatives Moment. Darum ist der Willensakt zu einer Stiftung so wichtig. Irgendwie hat jede Stiftung auch das Element eines Geschenkes. Es muss jemand bereit sein, aus freien Stücken und ungezwungen für andere eine Leistung zu vollbringen. In gewisser Weise kommt jede Stiftung aus dem Nichts. Durch den Stiftungsakt erfolgt wirklich eine Grundlegung. Stiften ist in diesem Sinne Gründen. Damit wird ein verbindlicher Anfang gesetzt. Ein solcher Anfang ist immer auch ein Sprung in die Wirklichkeit. Der Anfang ist auch mehr als nur der Beginn. In der Stärke des Anfangs liegt auch eine Vorzeichnung dessen, was länger gewollt ist.

In diesem Sinne hat die Stiftung auch nochmals eine besondere Zuspitzung. Eine Stiftung entzieht finanzielle und andere Mittel dem beliebigen Gebrauch. Es muss ein fester Wille dahinterstehen diese Widmung der entsprechenden Mittel entschieden durchzuführen. Dafür gibt es eben auch die rechtliche Verbindlichkeit einer Stiftung. Jede Stiftung ist in diesem Sinn ein Kampf gegen die Beliebigkeit und Willkür derer, die sie nach Lust und Laune wieder aufheben und beseitigen möchten. Hier geht es dabei auch um die heute so oft erwähnte Nachhaltigkeit. Es geht nicht nur um eine kurzfristige Hilfe, sondern um eine langfristige, ja im Grundsatz eigentlich „ewige“ Gewährleistung für die Unterstützung eines bestimmten Zwecks, der nicht anderswohin verschoben oder ausgehöhlt werden darf. Dafür haben wir oft zu wenig Verständnis, weil wir bis in die parlamentarische Demokratie hinein zu kurzsichtig, oft nur in Wahlperioden denken. Deshalb haben wir uns aber oft auch an diese Kurzfristigkeit zu sehr gewöhnt. Wir müssen bis in die Medien hinein diese Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit von Stiftungen wieder neu erlernen.

Dahinter steckt aber eine tiefere Weisheit. Der Mensch ist nämlich gleichsam notorisch ein Stifter. Die Wirkungen unserer Handlungen überschreiten immer unser eigenes Leben. So stiften wir uns mit unseren Werken ständig in die menschliche Gemeinschaft und den Lauf der Geschichte ein. Nicht immer allerdings sind die menschlichen Stiftungen positiver Art. Der Mensch ist oft ein Brandstifter, er stiftet Zank, Hader und Streit. Er ist aber auch Friedensstifter und vermag Verständigung, Versöhnung und Freundschaft zu stiften. So kann auch über den eigenen Tod hinaus eine Aufgabe, die einem Menschen besonders am Herzen gelegen hatte, dauerhaft wahrgenommen und erfüllt werden. In diesem Sinne muss auch der Charakter des Vermächtnisses und des Testamentarischen neu verstanden und gewürdigt werden.

Es muss noch von einem wichtigen Missverständnis die Rede sein, gerade wenn wir heute die Notwendigkeit von Stiftungen auch wegen der „Armut“ des Staates erkennen. Die Stiftungen sind nämlich nicht zuerst „Lückenbüßer“ für heute ausfallende öffentliche Leistungen, sondern sie wollen – wie meist bisher in der Geschichte – wagemutige und innovative Instrumente der Förderung mit echten Zukunftsperspektiven sein. Stiftungen wollen nicht nur reparieren und sanieren, sondern Neues fördern und gestalten, aber auch Bewährtes bewahren helfen. Besonders private Stiftungen waren immer schon auch lebendiger Ausdruck der Sinnsuche und der Mitverantwortung von Menschen, die ihre Anliegen wirksam und dauernd in die Gesellschaft einbringen wollten. Viele Stifterpersönlichkeiten haben schon früh, als noch keine andere Hilfen existierten, Nöte wahrgenommen. Auf diese Weise kann man durch Stiften kreativ die Zukunft mitgestalten. Ich denke z.B. an den Sinn einer Hospiz-Stiftung angesichts unserer Diskussionen über einen Beistand beim würdigen Sterben.

Dadurch wird die eigene Struktur und die besondere Bedeutung des Stiftens und von Stiftungen deutlicher. Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir darum auch unsere Einstellung und Mentalität zu den Stiftungen nicht verbessern können, weil wir nicht in diese anthropologische und ethische Tiefe gelangen, wo Stiftungen elementar keimen und fruchtbar werden können. Mich hat z.B. immer fasziniert, mit welcher unwiderstehlichen Überzeugungskraft Karl Kübel die von ihm ins Leben gerufene Stiftung mit größter Entschiedenheit der Hilfe für die Familien widmete. Man muss schon von einer Stiftung ein Stück weit besessen sein. Darum haben es auch gemischte Stiftungen nicht so einfach, wenn sie immer auf einen anderen Partner warten müssen, ob er auch wirklich mitgeht. Manchmal kann dies zündend wirken und helfen, aber vieles verzögert sich und verliert sich auch.

Zur Erneuerung der Stiftungskultur gehört auch eine gute Aufklärung. Es ist zweifellos wichtig, mehr zu wissen über die verschiedenen Arten von Stiftungen, ihre recht verschiedenen Bedingungen und auch die juristischen Feinheiten. Manche haben Angst vor einer Stiftung, weil sie sich wegen dieser Komplexität nicht entschließen können. Darum tut Information gut. Aber sie darf sich nicht damit begnügen, nur Sachinformationen zur Verfügung zu stellen. Sie muss auch Impulse geben für die Tiefenschichten des menschlichen Denkens und Wollens. Nicht zuletzt darum haben wir im Bistum Mainz ein „Zentralinstitut für kirchliche Stiftungen“ errichtet, das vor allem Stiftungswilligen mit konkreten Ratschlägen und Empfehlungen zur Seite stehen will. Wir müssen die Menschen, die in den nächsten Jahren zwei bis drei Billionen Euro vererben, konkret einladen, über die verschiedenen Möglichkeiten ihres Erbes nachzudenken. Dafür braucht es gezielte Beratung.

Verantwortung müssen wir heute neu denken, wie es uns der große deutsch-jüdische Philosoph Hans Jonas in seinem Werk gelehrt hat. Verantwortung haben wir nicht nur gegenüber dem, was wir gerne erhalten wollen. Verantwortung ist nicht nur und in erster Linie Denkmalpflege für sich allein. Verantwortung erstreckt sich auch nicht nur auf Vergangenes, wenn wir z.B. Rechenschaft ablegen müssen über Fehler und Unvollkommenheiten. Dann übernehmen wir – wie wir manchmal etwas leichtfertig sagen – die Verantwortung. Verantwortung in unserer Zeit erstreckt sich aber vor allem auch auf die Erhaltung unserer gegenwärtigen und künftigen Lebensbedingungen. Die zahlreichen Stiftungen in aller Welt z.B. für die Erforschung des Klimawandels sind eine gute Investition. Dies gilt ganz besonders im Blick auf die künftigen Generationen, deren „gutes Leben“, das wir immer wieder seit der Antike suchen, nicht grundlegend beschädigt werden darf. Auch hier haben Stiftungen einen wegweisenden und zukunftsfördernden, tiefen Sinn.

Gestatten Sie mir noch gegen Ende einen eigenen Gedanken, der freilich mit dem soeben Gesagten eng zusammenhängt. Die bedeutendste und umfassendste Stiftung hat keinen einzelnen Repräsentanten zu unserer Tagung entsandt, In gewisser Weise sind aber wir alle Mitglieder und Vertreter dieser Stiftung. Was ist unsere Welt, die Schöpfung Gottes, letztlich anderes als eine großartige Dotation und Stiftung, ausgestattet mit einer Fülle von Schätzen und von Ressourcen? Der Mensch ist allerdings nicht nur Nutznießer dieser Stiftung, vielmehr ist er auch zu ihrem Treuhänder bestimmt worden. Er hat sie zu hegen und dafür zu sorgen, dass das Stiftungsvermögen nicht kurzsichtig geplündert und aufgebraucht wird. Er hat darauf zu achten, dass das Daseinsrecht der Vielfalt von Gattungen und Arten geschützt ist, dass alle Mitmenschen sich gemäß dem Stifterwillen entfalten können und dass die geschaffenen Kulturgüter bewahrt werden. Alle unsere kleinen und größeren menschlichen Stiftungen haben so Anteil an dieser großen Stiftung der Welt und dienen ihr, mögen sie nun Kultur, Wissenschaft und Lehre, medizinische Versorgung, Krankenpflege und Unterstützung für Hilfsbedürftige, Umweltschutz, Entwicklungshilfe oder die Pflege des religiösen Lebens betreffen.

Ich bin gerne zu diesem Stiftungstag gekommen. Ich tue dies auch als ein Mann der Kirche. Da das stiftende Handeln so ursprünglich zum Wesen des Menschen gehört, erstaunt es nicht, dass die Einrichtung von Stiftungen schon in der Antike und in vielen Kulturen sowie Religionen begegnet, besonders auch im Islam. Im christlichen Abendland erhielt der Stiftungsgedanke einst großen Auftrieb. Dies ist in gewisser Weise folgerichtig, denn auch die Kirche selbst versteht sich als eine Stiftung, die dem Willen ihres Gründers zum Heil der Menschen stets verpflichtet ist. Jesus Christus hat die Kirche gestiftet. Im Mittelalter war das Stiftungswesen eine Domäne der Kirche. Die Vermögenswidmungen der Gläubigen und die unzähligen rechtlich geschützten kirchlichen Stiftungen spielten eine tragende Rolle im öffentlichen Leben; ich erinnere an die Spitalstiftungen, die Kirchenfabriken und das Benefizien- und Pfründewesen.

Wir haben im Bistum Mainz eine Spitalstiftung, die bis in das frühe Hochmittelalter zurückgeht. Wir haben aber gerade auch in den letzten Jahren mehrere große Stiftungen ganz neu gegründet. Das Wort Stiftung hat aber noch einen anderen Beiklang. Wir reden im Blick auf die Geschichte der Kirche, die Klöster und die Kirchen von einem „Stift“. Auch die Mainzer Domkirche ist ein Stift, und die Mitglieder des Mainzer Domkapitels versammeln sich noch heute an jedem Sonntag zum „Stiftsamt“. Ähnlich wurde die Mainzer Kirche St. Stephan, die über 900 Jahre alt ist, als Stiftskirche errichtet. Die Kirche ist eine in langer Zeit bewährte Trägerin von Stiftungen und wacht sorgfältig über das Vermächtnis von Menschen, deren letzter Wille immer heilig sein muss. Darum haben viele Menschen auch Vertrauen in kirchlichen Stiftungen. Dabei geht es ja nicht um eine Vermehrung des eigenen Besitzes, sondern Stiftungen haben früher, heute und auch künftig ein eigenes Leben, das unsere Kultur und Gesellschaft, ja die konkreten Menschen vieler Zeiten bereichert.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz