Wort des Bischofs am Sonntag, 22. Juni 2008, im SWR 2
Kein Thema ist zur Zeit so in aller Munde wie die Fußball-Europameisterschaft. Viele Menschen, die sonst weniger Interesse am Sport haben, verfolgen die Spiele mit Leidenschaft. In unserem oft unterkühlten und kargen gesellschaftlichen Leben bricht für drei Wochen eine richtige hitzige Begeisterung aus. Diese Welle wird im August von den Olympischen Spielen abgelöst und zugleich fortgesetzt. Sport ist ein wichtiger Bereich unseres Lebens.
Schon sehr früh in der Geschichte der Menschheit gibt es einen Drang, die Kräfte zu messen und sich steigernde Leistungen zu erringen. In diesem Kontext spielen auch die Wettkämpfe von Gruppen, ja auch bald von Nationen eine Rolle. Dabei steht der friedensfördernde und völkerverbindende Aspekt im Vordergrund.
Es ist gut, dass sich auch heute die Völker zu einem so friedlichen Wettbewerb treffen, wenn freilich die Bedingungen sehr viel anders geworden sind. Manchmal kann man den Eindruck gewinnen, als würden regelrechte säkulare Liturgien gefeiert. Es ist freilich auch unübersehbar, dass im Schatten der Spiele Verhaltensweisen zum Vorschein kommen, die eher fragwürdig sind: Es gibt gelegentlich eine Überhöhung nationaler Gesichtspunkte, die mitunter auch zur Gewalt neigt. Nicht selten ist auch die Sprache verräterisch, wenn man vom „Hinauswerfen" oder „Wegputzen" in einem Ton redet, der regelrechter Vernichtung ähnlich wird. In der momentanen Erregtheit und Hitze sind solche Ausdrücke bei einem Einzelnen verständlich, aber wenn sie die Titelseiten großer Boulevardzeitungen beherrschen, ist nach meinem Dafürhalten die Grenze überschritten. Schnell sind Fanatismus und Chauvinismus im Spiel, nicht nur Leidenschaft und Spielfreude. Dadurch werden im Menschen ungebändigte Urinstinkte angesprochen, die man gerade im Sport, wo einem ja auch die Regeln dazu zwingen, beherrschen soll. Ich mache mir keine Illusionen über den Kontext des heutigen Sports. Er lässt sich auf vielen Ebenen nicht zuletzt auch in hohem Maß von der Verlockung des großen Geldes verführen. Für viele, die sonst eigentlich keine Sportsfreunde sind, ist es ein Laufsteg der Eitelkeiten, des Sozialprestiges und auch politischer Werbung geworden. Dies alles lässt sich nicht so leicht in den Griff bekommen.
Deshalb ist es auch schwierig, die Tugenden der Klugheit und der Gerechtigkeit, der Beherrschung und der Mäßigung zu beschwören. Aber gerade dies möchten wir ja im Sport lernen. Es geht um mehr als nur um das Einhalten von Spielregeln. Gerade im Sport wollen wir uns in einem fairen Umgang miteinander und darum auch in Selbstbeherrschung einüben.
Ein Element ist jedoch im Sport und gerade auch bei großen Wettbewerben unverzichtbar. Es ist und bleibt ein Spiel. Auch wenn Spiele noch so von anderen Interessen und Tendenzen beherrscht zu drohen werden, so sind sie doch nicht einfach verfügbar zu machen. Gott sei Dank, es bleibt eine Unberechenbarkeit, Überraschung und manchmal auch der Sieg z. B. des Außenseiters. Kleine - oder solche, die man dafür gehalten hat - werden groß, und Große, die manchmal den Mund etwas voll nehmen, werden auf niedrigere oder auch letzte Ränge verwiesen. Ein bisschen Zufall und Laune gehören gewiss zu dieser Unberechenbarkeit, die sich schon im runden Leder anzeigt, das überall hin fliegen kann. Aber das unberechenbare Spiel, das man im Letzten nicht manipulieren kann, findet sich nicht nur im Sport, sondern gehört auch zum Leben der Menschen. Und die Freude an diesem Spiel, an dem Messen der Kräfte und auch an einem lebendigen Wettbewerb wollen wir uns nicht nehmen lassen. Gerade heute nicht, in einem Europa, das immer mehr zusammenwachsen soll.
(c) Karl Kardinal Lehmann
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz