Predigttext: Jes 11,2f.
Der Geist ist Gabe und Geschenk Gottes. Sein Reichtum erweist sich zuerst in der Fülle seiner Wirkungen. In der Hl. Schrift lernt man ein sehr weites Spektrum dieser Wirkungen des Geistes kennen: charismatische Worte der Weisheit, der Lehre und des Trostes; Psalmen, Hymnen und Lieder; Zeichen, Wunder und Krafterweise; Hilfeleistungen und scheinbar geringe Dienste für die Gemeinde, wie z.B. die Gaben der Leitung und des Almosenverteilens, Prophetie und ekstatische Rede. Der Vielfalt dieser Gaben entspricht ihre innere Tendenz zur Einheit, die erreicht wird durch das Kriterium der Liebe. So ist der Geist in der Fülle und in der Vielfalt seiner Gaben das Band des Friedens und der Gemeinschaft in der Kirche.
Schon sehr früh wurde ein anderes Bündel solcher Wirkungen des Geistes unter dem Stichwort "Die sieben Gaben des Geistes" zusammengefasst. In der Kirche gibt es eine lange und reiche theologische und geistliche Tradition im Verständnis dieser Gaben. Haft und Zentrum aller Überlegungen bildet ein Wort des Propheten Jesaja, mit dem dieser die Eigenschaften eines gerechten Herrschers der Zukunft, vor allem in messianischer Zeit charakterisiert. Es heißt dort: "Aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis empor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht. Der Geist des Herrn lässt sich nieder auf ihn: Der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht."
Schon der griechische und der lateinische Übersetzungstext der Bibel zählen unter Hinzufügung der Frömmigkeit sieben Gaben auf. Die Siebenzahl ist bekanntlich ein Symbol für die Fülle, Vollkommenheit und Universalität der Geistesgaben. Aus der Leiter der sieben Gaben, aus ihrer Anordnung und aus ihrem Gefüge, will man immer wieder den Stufenweg des christlichen Glaubens zu einer immer größeren Vollkommenheit finden.
Die Fülle der Gaben ruht auf Jesus Christus selbst. Die Gläubigen haben durch die Frucht der Erlösung an ihr teil. Thomas von Aquin ist dabei der Auffassung, die sieben Gaben des Geistes seien für jeden Menschen notwendig, um das Heil erlangen zu können. Man muss sie eher als bleibende Einstellungen und grundlegende Verhaltenswissen des Glaubenden verstehen, weniger als einzelne Akte. Sie sollen den Christen ansprechbar und empfänglich machen, damit dieser mit allen seinen Kräften auf die Impulse der Gnade eingehen kann. Die Gaben des Geistes befähigen den Menschen, den Anruf Gottes zu vernehmen und seinen Inspirationen zu folgen. Vorbildlich werden die Gaben des Geistes von den Heiligen gelebt.
Drei Paare von Geistesgaben sind besonders wichtig: Weisheit und Einsicht, Rat und Stärke, Erkenntnis und Gottesfurcht. Es ist leicht einsichtig zu machen, dass der Mensch, der Verantwortung übernimmt für andere, besonders auf diese Gaben angewiesen ist. Es sind gerade auch Gaben der Führung. Heute sind dies jedoch nicht mehr in erster Linie ausgewählte Herrscher, sondern im Grunde gelten diese Gaben jedem einzelnen Christen. Er muss selbst fähig sein zur Leitung nicht primär anderer, sondern er muss sich selbst in der Hand haben, beherrschen und in kluger Weise wirksam werden.
In dieser Hinsicht sollen kurz die genannten drei Paare der Geistesgaben charakterisiert werden:
Weisheit und Einsicht: Damit ist nicht in erster Linie Intelligenz und Fertigkeit des bloßen Verstandes gemeint. Es kommt im Glauben immer darauf an, dass man das Ganze der Wirklichkeit und des Lebens nicht aus dem Auge verliert. Es geht stets um den Sinn des Lebens und der ganzen Welt. Wer dies im Auge behält, kann die Dinge erst richtig einschätzen. Dazu braucht man Gelassenheit und Überblick, innere Ruhe, vor allem aber Weisheit, die nicht auf momentane Blendungen hereinfällt, sondern um den bleibenden Rang der Dinge weiß. Gerade heute spüren wir, wie wichtig für uns weise Lehrer des Lebens sind.
Rat und Stärke: Was mit "Rat" gemeint ist, versteht man am besten, wenn man von schlechten Ratgebern ausgeht, die eine verheerende Wirkung haben können. Dazu gehören auch egoistische Beeinflussungsversuche. Ja man wird auch alle Künste loser Überredung und verführerischer Werbung dazu zählen. Wer dagegen einen selbstlosen Rat erhält und solche Ratgeber hat, kann sich glücklich preisen. Wir holen uns oft den Rat der Schmeichler und schätzen das, was uns leicht eingeht. Wir dürfen dabei ruhig auch an die Planungsfähigkeit des Menschen denken, die richtig umzugehen weiß mit der Zukunft. Daraus erwachsen die Stärke und die Festigkeit im Sinne entschlossenen Handelns. Kraft dieser Art besitzt man jedoch nur, wenn man Einsicht und Weisheit, Klarheit und Festigkeit besitzt.
Erkenntnis und Gottesfurcht: Mit Erkenntnis ist zweifellos die Gotteserkenntnis gemeint. Sie ist in der Bibel immer praktisch. Es ist der Verzicht auf Götzendienst und Verehrung irdischer Güter. Alles kommt immer darauf an, den wahren Gott zu suchen und in ihm Liebe, Recht und Gerechtigkeit. Mit der Gottesfurcht tun wir uns besonders schwer. Wir setzen dies oft gleich mit der Angst vor einem übermächtigen Gott, der uns beherrscht und in die Knie zwingt Zunächst ist damit gewiss Respekt vor Gott und seinen Ordnungen gemeint. Aber es geht noch um mehr: Der Mensch muss aufmerksam bleiben, dass er nicht hochmütig wird, sich in seiner Macht überschätzt und keine Grenzen mehr kennt. Er kommt sich dann vor wie Gott selbst. Dies ist die Ursünde, dass der kreatürliche Mensch vermessen wird, die ihm zugedachten Begrenzungen nicht mehr erkennt und dabei über alle Stränge schlägt. Gerade heute sind wir in Gefahr, dass wir uns zu Herren der Welt und des Lebens aufspreizen und uns dabei übernehmen. Es fehlt uns dann der Respekt, vor allem auch die Ehrfurcht vor Gott. Wir benehmen uns wie die Herren der Welt und vergessen unsere Begrenztheit. Es ist eine besondere Gabe des Geistes, wenn wir in diesem Sinne bescheiden bleiben und eine Art kreatürlicher Demut bewahren. Wir spüren es besonders in diesen Wochen und Monaten, wenn wir über das Verhältnis des Menschen zum Leben und besonders zum Leben des ungeborenen, ohnmächtigen Kindes nachdenken, das sich selbst gegen Gewalt nicht wehren kann.
So ist auch verständlich, dass die Tradition noch einen Gesichtspunkt anfügt und so das Ganze abrundet, nämlich die "Frömmigkeit". Sie gibt allem das Maß vor, das der Mensch immer wieder weise benutzen muss, besonders wenn es um das Verhältnis zu Gott, zu den Mitmenschen und zu allen Kreaturen geht.
Die Gaben des Hl. Geistes sind heute für den Menschen besonders notwendig. Wir können sonst keinen guten Gebrauch machen von der uns anvertrauten Welt, werfen uns zu Herren auf und stellen uns über alles, das wir in Besitz nehmen und darüber verfügen wollen. Aber heute ist dies nicht mehr nur der König und der Führer des Volkes, der diese Eigenschaften braucht. Es sind die Gaben und Tugenden, die ein jeder in unserer Welt braucht, der Verantwortung übernimmt. Sie werden uns durch den Geist in unser Inneres gelegt, damit sie durch uns hindurch ein Zeugnis des Glaubens werden in der Welt. Amen.
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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