GRAZ: BESSER ALS VERMUTET

Datum:
Sonntag, 6. Juli 1997

Die Zweite Europäische Ökumenische Versammlung in Graz in der vergangenen Woche war ein Wagnis. Es hat sich gelohnt. Manches ist vielleicht anders gekommen, als viele dachten. Es war überraschend, daß sich außer den 700 Delegierten mehr als 10.000 Menschen in die Hauptstadt der Steiermark begaben.

Viele kamen unter erheblichen Opfern aus Osteuropa. Sie waren erstaunlich offen und mutig, denn trotz der relativen Fremdheit einer so großen Öffentlichkeit und auch mancher sprachlicher Probleme haben sie freimütig, bescheiden und dennoch sympathisch selbstbewußt vor allem den Kirchen des Westens gesagt, wo sie Unterschiede zu uns empfinden und warum sie gegenüber der "Ökumene" manchmal kritisch und zögerlich sind. Sie haben sich nicht gescheut zu sagen, was sie ärgerlich finden.

 

War die Versammlung durch eine große Bandbreite von Anschauungen gekennzeichnet, so hat sie es doch am letzten Tag mit einer unerwarteten Disziplin und einer großen grundsätzlichen Gemeinsamkeit geschafft, vier gewiß unterschiedliche Texte zu verabschieden. Am wichtigsten sind die "Botschaft" und die Rahmenempfehlungen für ein neues Miteinander.Keiner hat z.B. die knappe Redezeit überschritten. Man hat bei allen Unterschieden aufeinander gehört und Rücksicht genommen.

 

Graz war eine fromme Versammlung. Die zahlreichen Gottesdienste vom Morgengebet bis zum Abendgebet waren außerordentlich gut besucht. Viele hatten am frühen Morgen schon einen langen Weg hinter sich zu bringen, um anwesend zu sein. Fast alle Gottesdienste waren ausgezeichnet vorbereitet und haben die anwesenden Christen wohl mehr miteinander verbunden als irgend etwas anderes. Der Geist Gottes in Besinnung, Lied und Gebet, aber auch in den zum Teil eindrucksvollen Bibelarbeiten war am Werk. Diese Gottesdienste haben zugleich gezeigt, wie viele schöpferische Formen und Gestalten des gemeinsamen Betens und Feierns es diesseits einer gemeinsamen Eucharistiefeier gibt. Große geistliche Gestalten unserer Zeit fanden ein großes Echo: Chiara Lubich, Roger Schutz, Kardinal Martini.

 

Natürlich kann man manches auch kritisch betrachten. Es gab besonders in den ersten Tagen zu lange und zu monologische Reden. Das Dialog-Forum war mit zu vielen kurzen Reden vollgestopft. Das Gespräch kam zu kurz Die Abstimmungen am Ende haben gezeigt, daß man früher in das Gespräch über Texte eintreten und die Verfahrensweisen bei der Meinungsbildung und Abstimmung präzisieren muß. Die Letztverantwortung für den Beschluß der Texte, also den letzten Wortlaut, muß eindeutiger bei der Versammlung liegen.

 

Man wird auch bald darüber diskutieren müssen, ob und wie man sich eine Fortsetzung dieser Versammlungen von Basel (1989) und von Graz denkt. Vieles kam mir wie ein großer europäischer ökumenischer Kirchentag vor, der manchmal schon etwas von einem Markt der tausend Möglichkeiten an sich hatte. Was Einheit heißt, muß noch verbindlicher werden, ohne die bunte Vielfalt zu ersticken. Wenn ein Delegiertentreffen so etwas leisten soll, muß es wohl mehr ein Arbeitstreffen werden. Damit sind nicht nur Experten gemeint.

 

Dies ist alles viel wichtiger als die Nachrichten über abgesagte Besuche und verschobene Treffen der kirchlichen Oberhäupter. Gerade weil ich mit vielen orthodoxen Kollegen gesprochen habe, stehe ich zu einer solchen Beurteilung. Es wird sich manches besonders zwischen Rom und Istanbul wieder einrenken lassen. Ich wünsche mir hier von orthodoxer Seite mehr öffentliche Aufklärung. Es gibt überall noch zu viel Hof- und geheime Kabinettspolitik, die bald überwunden werden sollte. Der Schaden an Glaubwürdigkeit ist jedoch in der Medienwelt größer als in der zwischenkirchlichen Realität.

 

Das liebenswürdige, von österreichischem Charme, von Kunst und Kultur sowie von großer Menschenfreundlichkeit geprägte Graz, das immer mehr von dieser Versammlung geprägt wurde und ihr auch wieder zu ihrem Geist verhalf, hat manches Unmögliche möglich gemacht.

 

Graz war auf dieser Ebene ein guter Neuanfang der ökumenischen Beziehungen in Europa nach der "Wende" - aber irgendwie auch ein in dieser Konstellation einmaliges Ereignis, das nicht einfach nachgeahmt werden kann.

 

 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz