Gegen den Schönheitswahn

Gastkommentar des Bischofs in der Bistumszeitung, November 2004

Datum:
Donnerstag, 11. November 2004

Gastkommentar des Bischofs in der Bistumszeitung, November 2004

Immer wieder wird man darauf aufmerksam gemacht, dass es besonders bei Jugendlichen und Heranwachsenden einen steigenden Trend zu so genannten Schönheitsoperationen gibt.

Schon jetzt werden zehn Prozent aller ästhetisch-plastischen Operationen an unter 20-Jährigen vorgenommen. Selbst in der Altersgruppe von 9-14 Jahren spricht man über das Thema. Dieser Trend wird durch einzelne TV-Sendungen verstärkt. So entsteht bei Zuschauern die Vorstellung, jeder könne sich nach Wunsch Nase, Kinn, Brust, Bauch oder Beine durch einen chirurgischen Eingriff „verschönern“ lassen. Ein Viertel der 14-19-Jährigen empfindet diese so genannten Fernsehformate als gute Anregung für sich selbst.

Aufklärung tut Not. Es ist wirklich ein unterstützenswerter Fortschritt, wenn kompetente Fachärzte Menschen, die zum Beispiel durch einen Unfall verunstaltet sind, diskret durch entsprechende chirurgische Eingriffe wieder ansehnlicher erscheinen lassen können. Auch wer nachgewiesenermaßen schwerwiegend unter einer Missbildung leidet, kann hier Hilfe erfahren. Bei diesem neuesten Trend wird die Verschönerung jedoch schnell zu einem Konsumgut. Hier wird zunächst unterschätzt, dass jeder chirurgische Eingriff immer schwerwiegende, manchmal sogar lebensbedrohliche Folgen haben kann. Auch bei dem harmlos erscheinenden Fettabsaugen gibt es gelegentlich Komplikationen. So genannten „Schönheits“-Operationen können Menschen dann auch in ihrem Aussehen verschlechtern. Seriöse plastische Chirurgen haben viel damit zu tun, missglückte Eingriffe nach Möglichkeit wieder in Ordnung zu bringen. Selbstverständlich ist bei den schönheitschirurgischen Eingriffen nach allen Seiten viel Geld mit im Spiel.

Fast noch schlimmer ist jedoch die Verzerrung des Menschenbildes, die hinter diesem Schönheitswahn steht. „Persönlichkeit ist keine Frage der Chirurgie“, mit diesem Satz hat der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, die Sache auf den Punkt gebracht. Gerade junge Menschen sollten kein Minderwertigkeitsgefühl aufkommen lassen, wenn sie nicht wie bestimmte Stars und Sternchen aussehen. Wir müssen alle lernen, uns in der jeweiligen einmaligen Individualität anzunehmen. Wir sind nicht defizitär, nur weil wir keine von anderen definierten Idealmaße haben. So muss jeder Mensch auch lernen, sich selbst mit einer richtigen Balance zwischen Vernachlässigung seines Äußeren und einer übersteigerten Sorge allein um die leibliche Erscheinung anzunehmen. „Annahme seiner selbst“ heißt eine wichtige kleine Schrift von Romano Guardini. Dazu gehört natürlich auch, dass wir uns untereinander so annehmen, wie wir sind. Jede und jeder hat seine Reize. Zunächst muss man es selbst und dann müssen es die anderen entdecken. Man kann auch mit einem Stupsnäschen schön sein. Besonders liebende Menschen müssen immer wieder zueinander sagen: Es ist gut, dass es dich so gibt, wie du bist. Gerade auch Gesichter alter Menschen sagen sehr viel. Ich kenne Künstler, die durch das Zeichnen der Gesichter von Alten den Menschen und sein Antlitz wieder entdeckt haben.

Der Gang zu einem schönheitschirurgischen Eingriff ist nicht so einfach wie der Besuch des Friseurs. Deshalb fordere ich die Medien und alle beteiligten Institutionen auf, nicht länger Kinder und Jugendliche als potenzielle Zielgruppe anzulocken. Es geht nicht darum, Fernsehaufnahmen von ästhetisch plastischen Eingriffen grundsätzlich zu verbieten. Aber man soll sie verantwortungsbewusst darstellen, auf Risiken aufmerksam machen und schon gar nicht mit Kandidaten-Suchanzeigen, die mit Geldzusagen verbunden sind, junge Leute verführen.

Die Bundesärztekammer sollte in ihrem Kampf gegen den Schönheitswahn nachhaltige Unterstützung finden: im Interesse betroffener Kinder und Jugendlicher, im Interesse des Ansehens der Ärzte und auch im Interesse eines positiven „Stils“ von TV-Sendungen. Wenn im äußersten Fall rechtliche und gesetzliche Mittel nicht ausreichen, dürfen die politisch Verantwortlichen die für den guten Ruf der Ärzte Zuständigen und auch die Landesmedienanstalten, die gerade bei den „Privaten“ eine Kontrolle ausüben, nicht im Regen stehen lassen. Die Kirchen sind gerne zur Mithilfe bereit. Es ist noch Zeit.

 

© Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz