„Geht hinaus in alle Welt“

Wort des Bischofs in der Oktober-Ausgabe von "Glaube und Leben"

Datum:
Montag, 11. Oktober 2004

Wort des Bischofs in der Oktober-Ausgabe von "Glaube und Leben"

Der Ertrag des Bonifatius-Gedenkjahres 2004

Große Jubiläen haben die Chance, dass sie auch in ihrer eigenen Bedeutung dem künftigen Gedächtnis überliefert werden. Dies gilt für die Geburts- und Todestage großer Menschen in Politik und Kultur, aber auch im Leben der Kirche. So ist es mit Martin Luther, aber auch mit dem hl. Augustinus und dem hl. Bonifatius, derer wir in diesem Jahr vor allem gedenken. Besonders das Bonifatius-Gedenkjahr geht langsam zu Ende. Was ist der Ertrag?

Dies lässt sich natürlich nicht immer schon im Augenblick, da die Feiern zu Ende gehen, endgültig festlegen. Aber für das Bonifatius-Jubiläum vor 50 Jahren lässt sich dies z.B. deutlich belegen. Man hat in den damaligen Anfängen der Bemühungen um ein neues, gemeinsames Europa vor allem die Rolle des hl. Bonifatius eben für die geistige Grundlegung Europas wiederentdeckt. Das heute noch wichtige Bonifatius-Buch von Theodor Schieffer ist ein wichtiges Zeugnis dafür.

Was ist aber der Ertrag für 2004, 1250 Jahre nach dem Tod des Heiligen? Es gibt gewiss wertvolle Hinweise auf die Erforschung von Leben und Wirken des hl. Bonifatius. Es ist auch zu hoffen, dass die Einrichtung einer Bonifatius-Route von Mainz nach Fulda, einigermaßen entlang dem Leichenzug im Jahr 754, nicht so schnell wieder vergessen wird. Vielleicht wird es wirklich ein moderner Pilgerweg.

Ich sehe den Hauptertrag dieses Jubiläums von 2004 jedoch in der Erneuerung des missionarischen Grundgedankens im Leben und Wirken der Kirche. Bonifatius war mit Leib und Seele Missionar. Deswegen hat er mit 40 Jahren seine angelsächsische Heimat verlassen und hat auch eine verheißungsvolle Laufbahn aufgegeben. Ihn bedrängte – ähnlich wie beim hl. Paulus – die leidenschaftliche Aufgabe, ja es ist wie ein „Zwang“ von innen, das Evangelium Jesu Christi vielen, möglichst allen Menschen zu bringen. Im Vergleich zu seiner englischen Heimat kam er dabei östlich des Rheins in eine manchmal barbarische, jedenfalls wenig kultivierte Gegend. Das kümmerliche Christentum, das gewiss schon streckenweise existierte, hat er erneuert. Vor allem aber hat er es stabilisiert und ihm auch für die Zukunft feste und zuverlässige Strukturen gegeben. Manches, wie z.B. die Bekehrung der Sachsen, war ihm nicht vergönnt.

Er hatte jedoch in einzigartiger Weise das Bewusstsein missionarischer Verantwortung. Dabei stand die Bibel mit Abstand an erster Stelle der dafür nötigen Mittel. Er war sich nicht zu schade, den damaligen Dialekt in unserem Land für die Verkündigung zu lernen. Den Auftrag und die Sendung, das Evangelium unter die Leute zu bringen, hat er unermüdlich bis in das 81. Lebensjahr hinein verwirklicht. Für ihn war dies ganz eng verknüpft mit der Erneuerung der ziemlich am Boden liegenden Kirche im Frankenland.

Wir brauchen auch heute eine solche fundamentale Erneuerung einer im Kern missionarischen Kirche. Von Anfang an ist mit der Kirche auch Mission gegeben. Was uns selbst etwas wert ist, wollen wir auch anderen sagen und es ihnen als Hilfe zum Leben übergeben. Das Christentum ist vor allem durch viele Laien in die ganze Welt gekommen, die als Reisende, Kaufleute, Soldaten und vieles andere durch ihr Leben und durch ihr Wort bezeugten, wie kostbar ihnen der Glaube geworden war. Die offizielle Mission, die planmäßiger und institutioneller ist, nämlich durch amtliche Dienste, nicht zuletzt auch der Ordensgemeinschaften, kam hinzu. Aber entscheidend ist es, dass jeder Christ selbst andere ansteckt und neue Mitglieder gewinnt, wenigstens bei ihnen Interesse weckt.

Schon seit über 60 Jahren – der aus dem Bistum Mainz stammende Jesuitenpater Alfred Delp war einer der ersten – sagt man, wir seien Missionsland geworden, ähnlich wie man es von Frankreich sagt. Ich glaube nicht, dass wir deswegen viele Sonderaktionen beginnen müssen. Wenn wir den christlichen Glauben anziehend und überzeugend leben, gewinnen andere auch Interesse daran. Darum geht es. Christsein heißt Zeuge sein. Dieses missionarische Zeugnis vollzieht sich vor allem im Alltag unseres Lebens. Es beginnt in Ehe und Familie, in unseren Freundeskreisen, Verbänden und Vereinen, nicht zuletzt aber auch durch Kontakte am Arbeitsplatz und im Beruf. Wenn wir hier wirklich missionarisch denken und empfinden, dann fällt es uns auch nicht schwer, über unsere Grenzen hinauszugehen. Mission hat keine Grenzen. Der auferstandene Herr schickt uns in die ganze Welt. Mission ist darum eben auch Weltmission.

Das Bonifatius-Jubiläum ist also eine hervorragende Gelegenheit, um diesen grundlegenden missionarischen Charakter des Christentums wieder neu zu entdecken. Für das Christentum von morgen ist dies auf allen Ebenen eine Überlebensfrage. Darum hat sich die Herbst-Vollversamm-lung der Deutschen Bischofskonferenz in diesen Tagen am Grab des hl. Bonifatius intensiv und auf vielen Wegen mit dieser missionarischen Erneuerung befasst. Dazu gehören vor allem ein Hirtenbrief, der zum Missionssonntag am 24. Oktober verlesen wird. Dies alles wird vertieft durch ein umfangreicheres Dokument „Allen Völkern Sein Heil“. Ich lade alle herzlich zur Lektüre und Umsetzung ein!

 


© Karl Kardinal Lehmann

 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz