Am heutigen Sonntag begeht die katholische Kirche den jährlich überall vorgesehenen und zu feiernden Weltmissionssonntag. Wir dürfen nicht achtlos an ihm vorbeigehen, auch wenn es zwischenzeitlich in der Kirche viele spezielle Gedenktage gibt, z.B. für die Kranken, für die Ordensangehörigen, für die Gefangenen. Dies alles sind Aufgaben, die uns ja nicht nur einmal im Jahr besonders angehen sollen. Es kann aber gut und nützlich sein, sie eigens hervorzuheben. Beim Weltmissionssonntag werden wir auch und zuerst durch das Wort Gottes aufgeweckt und herausgefordert.
So auch durch das Evangelium des heutigen Tages. Es ist der Schluss des 1. Evangeliums, im 28. Kapitel nach Matthäus (16-20):
„In jener Zeit gingen die elf Jünger nach Galiläa auf den Berg, den Jesus ihnen genannt hatte. Und als sie Jesus sahen, fielen sie vor ihm nieder. Einige aber hatten Zweifel. Da trat Jesus auf sie zu und sagte zu ihnen: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt."
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Dieses Evangelium mit dem Aufruf zur Verkündigung der Frohbotschaft Jesu Christi in aller Welt ist nur in einem sehr fragwürdigen Sinn der Schluss des Matthäusevangeliums. Denn das Evangelium wird damit nicht einfach abgeschlossen, als ob es fertig wäre. Im Gegenteil, jetzt wird die Frohbotschaft Jesu Christi erst recht zu allen Menschen gebracht. Jetzt endet die Zeit Jesu während seines irdischen Aufenthaltes bei uns. Sie öffnet sich aber hin zur Zeit der Kirche, die nun mit diesen seinen Worten und mit seinem Auftrag beginnt. Die Zeit des Wirkens Jesu in dieser Welt endigt, aber zugleich setzt sich auf andere Weise die Gegenwart des auferstandenen Herrn (Kyrios) bei uns fort. Dazu gehört der Auftrag: „Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern."
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Aber da sind natürlich viele Einwände. Sind die Religionen denn nicht immer besonders gefährlich, wenn sie Mission treiben? Neigen sie nicht da, wie auch die Geschichte der Kirche lehrt, zur Gewalt, z.B. zur Zwangstaufe? Lassen sie sich nicht, wie die Geschichte des Kolonialismus zeigt, verführen, mit den Eroberungsgelüsten staatlicher Autoritäten eine Sache zu machen? Wird da nicht die Religionsfreiheit mit Füßen getreten? Werden nicht vielleicht sehr fremde, aber authentische einheimische Religionen an den Rand gedrängt oder gar beseitigt?
Nun haben die Kirchen, vielleicht nicht selten, es auch in ihrem eigenen Bereich den Menschen schwer gemacht, Mission ernst zu nehmen. Der Negerbub hat dankend mit dem Kopf genickt, wenn man Geld in den Schlitz der Lippen hineinschob. Die Missionare und die Missionarinnen, die in fremde Länder gegangen sind, erschienen vielen als seltsame Außenseiter. Mission hat sich oft in der Sorge um die „armen Heidenkinder" erschöpft.
Aber dies sind natürlich Karikaturen von Mission, die es bis heute schwer machen, sie zu erneuern. In Wirklichkeit reicht jedoch die Mission gerade im christlichen Glauben bis tief in den Kern und die Mitte des Christentums. Jesus Christus ist nämlich - davon sind wir tief überzeugt - gekommen, um alle Menschen von den Mächten des Unheils zu befreien. Dazu gehören zunächst einfach auch Armut und Unwissenheit, Krankheiten und Ängste vor Dämonen. Wahre Religion im Sinn des christlichen Glaubens soll die Menschen von allen falschen Abhängigkeiten und Sklavereien befreien. Sie soll den Menschen einen freien Zugang zu dem wahren Gott und zu einem geschwisterlichen Leben untereinander führen. Dafür hat Jesus Christus sich in seinem ganzen Leben eingesetzt: durch sein Wort, durch seine Wunder und Zeichenhandlungen, durch seine Zuwendung zu allen Menschen am Rand der damaligen Gesellschaft: den Kranken und Aussätzigen, den Ausgeschlossenen, den Gefangenen, ja auch den Frauen und Kindern. Es ist tief in seinem Leben und Wirken verankert, dass er wirklich buchstäblich zu allen Menschen gekommen ist und sein Leben hingegeben hat „für alle".
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Jesus Christus hat sein Leben wirklich für alle Menschen hingegeben. Man kann dies unschwer auch in der wahren Geschichte der Mission erkennen. Es soll jedoch nicht geleugnet werden, dass es in dieser Geschichte verhängnisvolle Verbindungen mit den Mächtigen und auch Unterdrückern gegeben hat, manchmal Zwang ausgeübt worden ist und erst spät eine ernsthafte Begegnung mit fremden Religionen stattgefunden hat. Pauschalurteile sind jedoch nicht erlaubt. Aber die wahre Mission hat nie einfach z.B. nur die Bibel gebracht, obgleich die Botschaft Jesu Christi das Fundament und das Zentrum aller Mission ist. Aber sie hat sich immer auch um den ganzen Menschen gekümmert, hat seine Wunden und Krankheiten wahrgenommen, hat bis zum heutigen Tag Arzneien und Medikamente in das Land gebracht; hat die Menschen nicht in Unwissenheit gelassen, sondern ihnen einfache und auch schwierigere Fertigkeiten vermittelt, Schulen aller Typen gebaut und Ausbildungen gerade für junge Menschen geschaffen. Nicht zufällig haben immer wieder Kinder für Kinder in anderen Erdteilen gesammelt, bis zu dem großartigen Einsatz der Sternsinger in unserer Zeit. Und bevor es eine Frauenemanzipation in der Moderne gab, Frauenwahlrecht und Gleichberechtigung eingefordert wurden, sind viele Ordensfrauen und Ärztinnen, Lehrerinnen und Hebammen in alle Welt gezogen, um gerade den Frauen in schwierigen Situationen beizustehen. Man darf aus der Mission nicht nur eine Veranstaltung mit dem Ziel der Predigt für die Heiden machen. Das Heil der Bibel schließt die Sorge um das leibliche Wohl des Menschen ein, soweit wir es nur mit unseren Kräften verbessern und Leid mindern können.
Es gibt Religionen, die keine Mission betreiben. Dazu gehört auch in hohem Maß das Judentum. Andere verbinden die Ausbreitung von vornherein mit den Schwertern. Mission wird Eroberung. Wir nehmen als Christen eine andere Haltung ein: Wir können nicht an den Auftragsworten Jesu, wie sie z.B. auch im heutigen Evangelium verkündet werden, vorbeigehen. Das „Geht hinaus in alle Welt ..." gehört nun einmal in die Herzmitte unseres Glaubens. Jesus selbst schickt uns in alle Winkel der Welt, um das Elend zu mindern und die wirkliche Freiheit der Menschen zu stärken, um die Würde der Menschen zu retten und um ihnen jenseits des Todes den Zugang zum ewigen Heil zu eröffnen. Dies darf keine falsche Vertröstung werden, die die Wunden der Zeit und der Gesellschaft nicht zur Kenntnis nimmt, darüber hinweggeht, sie zudeckt und verkleistert. Aber es gibt mitten in den ewigen Geschichten und Rätseln der Menschheit eben auch Ereignisse, die man bei aller sozial-karitativen Hilfe nie abschaffen wird und wo Menschen neben Solidarität auch Trost brauchen, den nur Gott geben kann. Für den Glaubenden ist es bei aller Freiheit der Entscheidung jedoch gewiss auch ein Wunsch, ein Anliegen, dass er die Lebensorientierung, die ihm hilfreich ist, anderen weitergeben kann. Man darf sich ja Mission nicht in erster Linie so vorstellen, als ob es von Anfang an professionelle Missionare gibt. Der christliche Glaube ist z.B. zu uns gekommen, hauptsächlich durch Menschen, die unterwegs bei uns waren und ihren Glauben bezeugt haben, so z.B in der römischen Zeit Soldaten und Kaufleute. Durch sie haben wir vom christlichen Glauben erfahren. Dann gab es später gewiss Missionare, die wegen der Ausbreitung des Glaubens eigens zu uns gekommen sind, z.B. aus Irland und England, darunter auch der hl. Bonifatius im 8. Jahrhundert.
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Mission ist im christlichen Bereich aber zweifellos auch deshalb leichter möglich, weil die Botschaft des christlichen Glaubens nicht an eine einzige Kultur oder an eine bestimmte Sprache gebunden ist. Das Christentum ist bei aller bleibenden und grundsätzlichen Bezogenheit auf die Bibel keine Buchreligion. Es gibt immer einen Überschuss des Wortes Gottes im Menschenmund über den Buchstaben hinaus, der stets auch der Deutung und Anwendung bedarf. Dies geschieht vor allem auch im Hl. Geist. Dies ist wohl mit ein wichtiger Grund, warum es in der Tat leichter ein Zeugnis dieser Botschaft in anderen Kulturen und Ländern geben kann und gibt.
In den letzten Jahrzehnten ist das Bewusstsein von der Mission als einer Hauptaufgabe des Christen und der Kirche eher etwas verdunkelt worden. Religion wurde in unseren westlichen Gesellschaften in einem hohen Maße streng individualisiert und privatisiert. Man scheute sich, gleichsam in die Religionsfreiheit anderer einzugreifen, hielt sich auch im Gespräch über die letzten Dinge sehr zurück. Dies hat zweifellos auch zu einer Minderung der Stellung des christlichen Glaubens geführt. Und dies galt in doppelter Hinsicht: Das Bewusstsein fehlte nicht nur in den hochzivilisierten Ländern, wo man bereits während des Zweiten Weltkrieges (in Frankreich und Deutschland) jeweils von einem „Missionsland" sprach, das wir geworden sind, sondern es gab auch einen großen Schwund im Bewusstsein um die Notwendigkeit von Mission für die Kirche überhaupt. Nicht zuletzt aus diesem Grund haben die deutschen Bischöfe im Jahr 2004 ein größeres Dokument erstellt „... Allen Völkern Sein Heil" (Verlautbarungen der deutschen Bischöfe, Nr. 76, Bonn 2004). So haben wir seit ca. 2000 in unserer Bischofskonferenz, aber nicht nur bei uns, die missionarische Dimension des christlichen Glaubens wieder viel stärker zur Geltung zu bringen versucht.
Obwohl die Zahl der Frauen und Männer, die als Missionare oft Jahrzehnte oder ihr ganzes Leben in andere Länder und Kontinente gingen, drastisch zurückgegangen ist, sind auch heute noch viele Missionare aus unseren Bistümern in der ganzen Welt. Sie erzählen uns Jahr für Jahr von ihrem Erfolg und dem Misserfolg. Wenn man Gelegenheit hat, die Kirche in Missionsgebieten zu besuchen, bekommt man rasch einen Einblick in die Freude und Begeisterung, die durch den christlichen Glauben ermutigend und befreiend in viele Länder der Erde gekommen ist. Oft können wir mit geringen finanziellen Mitteln große Freude bereiten. Wir selbst können auch von anderen Lebensauffassungen lernen. Mission ist die Gelegenheit zu einem fruchtbaren Austausch, wo es keine Einbahnstraße der Reichen für die Armen gibt, sondern wo wir uns manchmal wegen des menschlichen und religiösen Reichtums arm vorkommen.
In einer globalisierten Welt ist Mission besonders notwendig und hat auch eine große Aufgabe. Mission gehört zum Glauben wie die Luft zum Atmen und das Wasser zum Schwimmen. Obgleich die Sendung buchstäblich in alle Welt, konkret bis in die letzten Winkel, erschrecken kann, so sind die Boten Gottes nicht einfach der Verlassenheit und Einsamkeit preisgegeben. Ihnen ist am Schluss des Evangeliums die wohl größte Unterstützung versprochen: „Seid gewiss: ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt."
Musik am Schluss
(c) Karl Kardinal Lehmann
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz