Wort des Bischofs auf SWR 2 - am 30. Juni 2002
Seit Monaten und Wochen beherrscht die Diskussion um die internationale Vergleichsstudie der Schul- und Bildungssituation in vielen Ländern die öffentliche Meinung. Dies ist gut so, denn was wäre wichtiger als die Chancen für Erziehung und Bildung zu Gunsten der kommenden Generationen?
Aber ein Blick in das vielfältige Stimmengewirr vor allem der Politiker in den Medien enttäuscht. Die meisten können nicht widerstehen, die Ergebnisse in Wahlkampfmunition umzusetzen. Es ist beschämend, wie man solche weittragenden Ergebnisse, mag man sie auch im Einzelnen differenzierter beurteilen, zum Schlagabtausch und Grabenkampf vernutzt. Natürlich gibt es nach der Studie dabei eine Rangfolge unter den Ländern. Es ist eine elende Augenwischerei zu behaupten, es gäbe keinen Sieger und keine Verlierer. Aber man muss gute Noten, die ohnedies weitgehend andere verdienen, nicht auskosten. Auch die Sieger haben manche Schwächen. Auch wer gut abgeschnitten hat, weiß ja insgeheim selbst, dass er noch vor seiner eigenen Haustüre kehren kann. Es wäre jedoch verlogen, wenn man die Misere in den Schulen einiger Länder leugnen oder gar schönreden würde. Da gibt es nur ein Heilmittel: Schwächen eingestehen und von Irrtümern umkehren.
Erschrecken kann man auch vor kurzsichtigen Rezepten, die man wohlfeil, vermutlich auch hier nicht ohne Einfluss der Wahlkampfstimmung, nun als Heilmittel anbietet. Zunächst muss man sich meist fragen, warum dies alles bisher trotz vieler vorliegender Warnungen nicht eingeräumt und nachhaltig geändert worden ist. Es sind zum Teil auch unüberlegte Vorschläge, die den Leuten nur Sand in die Augen streuen. Es ist im Ernst doch nicht zu glauben, dass Zweidrittel der Länder gerade angesichts dieser Ergebnisse bereit wären, durch eine Grundgesetzänderung dem Bund mehr zentrale Bildungs- und Schulkompetenz einzuräumen und den Föderalismus gerade an einem der wichtigsten Qualitätsmerkmale zu schwächen. Dies soll nicht heißen, dass der Bund nicht stärker auf gemeinsame Standards hinarbeitet. Die Kultusministerkonferenz, deren Aufgabe dies wäre, muss sich fragen, wie weit sie an dem Auseinanderdriften der Schul- und Bildungspolitik in den letzten Jahren und Jahrzehnten mitschuldig ist. Es zeugt auch nicht von dem nötigen Verantwortungsbewusstsein, wenn man glaubt, mit einem Milliarden-Angebot an die Länder könne man die entstandenen Löcher und Defekte stopfen. Andere verengen die entstandenen Probleme auf die Ganztagsschule, als ob ihre Ausweitung aus der Misere herausführen könnte. Wer das ganze Ausmaß der Schul- und Bildungsmängel kennt, kann darüber nur lachen, auch wenn er bereit ist, die Ganztagsschule zu fördern. Die Kirchen haben hier wegweisende Erfahrungen, z.B. mit dem Theresianum in Mainz.
Statt dieser Irrwege im Verarbeiten der Ergebnisse der PISA-Studie muss das Steuer gründlich herumgerissen werden. Eine Politik, die sich verantwortlich mit diesen Fragen beschäftigt, muss ein Denken nur im Vierjahrestakt der Legislaturperioden überwinden. Für Schule und Bildung kann man nur langfristig investieren. Wer hier über lange Zeit falsch spart, untergräbt die eigenen Fundamente. Erst eine solide Bildung und Ausbildung der Kinder und Jugendlichen und eine gute Weiterbildung aller Mitglieder einer Gesellschaft versetzt uns in die Lage, auf neue Herausforderungen einzugehen und die Veränderungsprozesse, die mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt und der Globalisierung verbunden sind, schöpferisch zu nutzen und zu gestalten.
Eine weitschauende Politik weiß gerade hier auch um die Notwendigkeit der Wertorientierung. Der Staat muss die Erfüllung dieser Aufgabe auch mit anderen gesellschaftlichen Kräften teilen. Zu diesen freien Kräften gehören die Kirchen wegen ihrer langen Erfahrung mit Erziehung und Bildung. Für alle gilt: Wir kommen nur gemeinsam aus der Misere heraus. Die Kinder und jungen Menschen von heute und morgen verdienen alle Anstrengungen. Daran werden wir alle einmal gemessen.
(c) Karl Kardinal Lehmann
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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