Gastkommentar für die Mainzer Kirchenzeitung "Glaube und Leben" im Dezember 2006
Im Vatikan hat man genügend Erfahrungen, um nicht leichtfertige Abenteuer einzugehen, besonders wenn es um Reisen des Papstes und überhaupt um sein Wohl geht. Dies heißt aber nicht, dass man nicht bereit ist, Risiken einzugehen, die man immer auch dann nüchtern einkalkulieren muss, wenn der Partner bzw. das Partnerland nicht so leicht in den Reaktionen berechenbar ist.
Es ist auch nicht so, wie es manchmal in einigen Medien anklingt, dass Papst Benedikt XVI. mit seinem Besuch in der Türkei völliges Neuland betritt. Der spätere Papst Johannes XXIII. war von 1935 bis 1944 als Päpstlicher Diplomat für Griechenland und die Türkei zuständig. Er selbst sagt, dass ihm durch diese Verantwortung besonders für die Türkei eine zu starke Zentrierung auch der Kirche auf Europa und seine Kultur aufgegangen sei. Er hat auch manche Folgen des „Laizismus“ in der Türkei beschrieben. Schließlich darf man hier den epochemachenden Besuch von Papst Paul VI. im Jahr 1967, also vor fast 40 Jahren, beim Ökumenischen Patriarchen Athenagoras in Istanbul nicht vergessen. Bald nach dem Konzil war diese Begegnung von übergroßer Bedeutung für die Beziehungen zu der Orthodoxie. Dabei standen natürlich immer auch die Lage der Christen in der Türkei und das Gespräch mit dem Islam auf der Tagesordnung.
Papst Benedikt XVI. darf sicher damit rechnen, dass er auch auf eine etwas entspanntere Atmosphäre trifft. Auch im Islam ist die anstößige Regensburger Vorlesung vom 12. September, vor allem im Brief der 38 gelehrten Muslime vom 12. Oktober, inzwischen differenzierter verstanden worden. Es kam nach Ankunft des Papstes doch zu einem Gespräch mit Ministerpräsident Erdogan. Der Papst selbst hat am vergangenen Sonntag im Voraus schon das türkische Volk gegrüßt. Die Protestmärsche, die manche bei einer Million Teilnehmern erwartet haben, sind zum Teil nur auf zehn bis fünfzehntausend Menschen gekommen. Vielleicht ist das Volk manchmal – nicht immer – auch weiter als gewisse Autoritäten im Land. Der Papst seinerseits spricht natürlich auch mit Vertretern des Islam, vor allem aber besucht er neben der Hagia Sophia, der berühmten byzantinischen Kirche in Konstantinopel/Istanbul, und den christlichen Heiligtümern in Ephesus und Umgebung auch die berühmte Blaue Moschee, die eine wichtige Stätte für die Muslime ist.
Im Zusammenhang der Reise wird man immer wieder nach der Haltung der Kirche zu einem Beitritt der Türkei zur EU gefragt, zumal der Papst in seinen früheren Äußerungen sehr skeptisch war. Er wird gewiss in dieser Frage etwas zurückhaltend bleiben, denn entscheidend, wie es auch die mühsamen Verhandlungen besonders im Blick auf die Zypernfrage zeigen, ist eigentlich die Annäherung der Türkei an die Standards der allermeisten Länder in der Europäischen Union, besonders im Blick auf die Gewährung der Menschenrechte, zu denen eben auch nicht nur eine passive Toleranz, sondern auch eine positive Religionsfreiheit gehört. Wenn hier im Gefolge des Besuches manches fortentwickelt wird, kann die Reise indirekt vielleicht sogar manche mühsame Prozesse anstoßen oder beschleunigen.
Der Papst weiß um dieses Wagnis mit seinen Grenzen und seinen Chancen. Wir wollen ihm für dieses Wagnis von Herzen danken und für das Gelingen der Reise beten.
(c) Karl Kardinal Lehmann
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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