Glaubensweg zwischen Karfreitag und Ostern

Predigt von Kardinal Lehmann am Ostersonntag, 20 April 2014, im Hohen Dom zu Mainz

Datum:
Sonntag, 20. April 2014

Predigt von Kardinal Lehmann am Ostersonntag, 20 April 2014, im Hohen Dom zu Mainz

Die Zeit zwischen Karfreitag und Ostern, dem Tod Jesu und seiner Auferstehung, ist nicht so leicht zu verstehen. Auf jeden Fall können die drei Tage ganz unterschiedlich interpretiert werden. Dies gilt nicht nur für die Ereignisse selbst, die uns weitgehend in die Verborgenheit Gottes hinein entzogen sind, sondern auch und gerade für die glaubenden Menschen.

Evangelium: Joh 20,1-18

Die Auferstehung selbst, durch die Jesus vom Vater ganz der Macht des Bösen und des Todes entrissen und davor gerettet wird, ist ein Geheimnis in Gott selbst. Wir Menschen wissen vor allem durch die Verkündigung der Engel, aber auch der menschlichen Boten davon. Ihre Worte werden beglaubigt durch die Erscheinungen des Herrn, die ja alle vier Evangelien in hohem Maß bestimmen. In den Erscheinungen öffnet sich das sonst strikt verborgene Leben Gottes und das Eintreten für seinen Sohn hinein in die Geschichte. Die Erscheinungen stehen sozusagen zwischen Gott und der Geschichte, Transzendenz und Welt. Sie nehmen an beiden Wirklichkeitsbereichen teil und sind deswegen auch manchmal in einer Art von Schwebe zwischen Gott und der Geschichte.

So ist es auch mit dem Evangelium des heutigen Ostersonntags, wo es vor allem um zwei Pole geht: die Entdeckung des leeren Grabes mit dem Besuch von Petrus und dem „Jünger, den Jesus liebte" am Ostermorgen. Damit verbunden ist der Besuch der Maria von Magdala beim Grab, die ja vor allem Petrus und den Lieblingsjünger herbeiholte, weil das Grab leer war und davon ausgehend natürlich großer Schrecken entstand. Aber wichtiger fast noch ist das Erscheinen des Herrn - und dies ist der zweite Höhepunkt der Erzählung - vor Maria von Magdala. Wir verstehen diese Geschichte vor allem als einen exemplarischen Glaubensweg, den Maria von Magdala damals gehen musste, und der für alle Glaubenden der Folgezeit beispielhaft wurde. Dabei müssen wir noch auf zwei Beobachtungen aufmerksam machen: Während in der übrigen Tradition die erste Erscheinung vor allem Petrus zukommt (vgl. z.B. 1 Kor 15,5) und das Erscheinen Jesu vor den Frauen - sie hatten damals keine rechtliche Anerkennung als zuverlässige Zeugen - eher zurückgedrängt wird, erscheint hier Maria von Magdala in einer besonderen Stellung im Sinne der Adressatin einer Ersterscheinung. Aber wie unser Text zeigt, ist dies ja auch vielfach verbunden mit der Stellung des Petrus: Maria holt Petrus (mit dem Lieblingsjünger) herbei; zugleich wird sie wieder zu den Jüngern geschickt (20,16f.). Wir müssen uns - dies ist der zweite Gesichtspunkt - auch darüber klar sein, dass die Erzählung von den Erscheinungen bei den einzelnen Evangelisten unterschiedlich betont und ausgelegt wird. Dies ist kein Wunder, denn hier spiegelt sich, dass die Erscheinungen an der jenseitigen Sphäre und der Geschichte teilhaben und deshalb ihr jeweiliger Anteil unterschiedlich gewichtet werden kann. So betont z.B. Lukas, um die Realität der Auferstehung zu unterstreichen, die ganz konkrete Erscheinungsweise Jesu bei den Jüngern, vor allem am Beispiel des Essens. Dies ist, wie wir sehen werden, bei Johannes und unserer Erzählung von Maria etwas anders. Deswegen ist es wichtig, diese Erzählung auch als Glaubensweg zu verstehen: Auf diesem Weg geschieht etwas, erfolgt ein Wandel vor allem im Verstehen des Glaubens, im Verhältnis von Sehen und Glauben.

Dieser Glaubensweg beginnt bei Maria von Magdala sehr realistisch und nüchtern. Sie kommt in der Frühe des Sabbats zu einem Besuch am Grab Jesu. Es ist ein Gang der Verehrung. Aber es ist nicht nur der Uhrzeit nach „noch dunkel" (20,1). Zu ihrem Erschrecken muss Maria entdecken, dass der Stein vom Grab weggenommen war. Ja, noch schlimmer: „Sie haben den Herrn weggenommen aus dem Grab, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben." (2). Maria holt Petrus und den Lieblingsjünger - ganz bewusst wird er immer miterwähnt - nicht nur aus Angst, sondern sie weiß um die respektgebietende Stellung des Petrus, aber auch um den tiefen Glauben des Lieblingsjüngers. Wir übergehen den Wettlauf zwischen den beiden Männern und den Besuch am Grab (3-9). Maria wartete auf die Rückkehr der beiden vom Grab. Sie weinte nicht nur wegen des Todes Jesu, sondern auch wegen der offensichtlichen Schändung seines Grabes. Alles Mögliche geht ihr durch den Kopf: Man hat Jesus geraubt, ihn weggenommen, anderswo hingebracht. Dies ist ja schon in der neutestamentlichen Zeit eine Weg-Erklärung der Auferstehung von seiten mancher Juden; es ist ja auch bis heute das Verständnis „normaler" Menschen.

Aber Maria entdeckt in ihrer tiefen Trauer zugleich „zwei Engel in weißen Gewändern" (11ff.) im Inneren des Grabes. Auf die Frage „Frau, was weinst du?" wiederholt Maria ihre schon am Anfang geäußerte Vermutung, man habe ihren „Herrn" weggenommen. Die Er-scheinungserzählungen vor allem im Johannesevangelium verwenden sehr oft das Wort „Herr" (Kyrios) für Jesus. Das Wort schwankt zwischen einer Vertrautheit, so dass oft von „meinem Herrn" (13) die Rede ist, oder auch einer stärkeren Distanz, wenn vom „Herrn" gesprochen wird, denn schließlich ist dies ja auch nahe beim Gottesnamen. Auch in diesem Miteinander von Vertrautsein und Distanz zeigt sich die vielschichtige Wirklichkeit der Erscheinung.

Was folgt, ist fast kurios. Während des Gesprächs mit den Engeln wendet sich Maria um und sieht Jesus, „wusste aber nicht, dass es Jesus war" (14). Auch Jesus fragt nun, wie die Engel schon sagten: „Frau, warum weinst du? Wen suchst du?" (15). Sie hält Jesus für den Gärtner, der gleichsam den Garten pflegt, in dem Jesu Grab liegt. Sie denkt also immer noch in den alten Kategorien des hoffnungslosen Todes, des Raubes, der Verlegung des Leichnams. Kurios, dass sie dies ausgerechnet zu Jesus sagt, ohne ihn zu erkennen. Dies zeigt, wie wichtig auf diesem Glaubensweg das „Wiedererkennen" Jesu war. Er ist nicht ein Gespenst, kein phantastischer Geist. Der auferstandene Herr ist der gekreuzigte Jesus von Nazareth, kein anderer. Auch in den anderen Erscheinungserzählungen geht es immer wieder um dieses Wiedererkennen Jesu. Dies ist ja auch nicht selbstverständlich: Ist der geschundene und hingerichtete Jesus, der zwischen Verbrechern an das Kreuz genagelt wird, wirklich lebendig? Ist der Besiegte nun der Sieger? Hier sitzt ja gewiss in uns ein tiefer Zweifel.

Auf diesem Glaubensweg muss man also vieles beachten. Beim Besuch der Jünger am Grab wird uns gesagt, dass man beim sorgfältigen Lesen und Meditieren der Schrift schon eine Spur für die Deutung von Jesu Schicksal hätte finden können. So heißt es ja am Ende des Besuchs: „Denn sie [die Jünger] wussten noch nicht aus der Schrift, dass er von den Toten auferstehen musste" (9). Also auch die Schrift hätte schon wenigstens diese Deutung der Auferstehung gestützt.

Jesus kommt in der Begegnung mit Maria, der wir uns gleich noch genauer widmen, in unsere reale Welt. Es ist keine Fiktion und auch keine Märchenwelt. Er kommt jedoch - freilich anders als früher - in unsere vertraute Welt. Dies ist für unseren Glaubensweg sehr wichtig. Der Auferstandene ist und bleibt der Gekreuzigte und behält auch die Wundmale an seinem Leib. Er kennt unsere Welt und flieht nicht vor ihr, wie die vielen Himmelfahrtsgeschichten der Alten Welt von Göttern und Halbgöttern erzählen. Aber wir dürfen auch nicht einfach aufgrund eines alten Denkens, das die Dinge weitgehend nur in ihrer Sichtbarkeit und Greifbarkeit versteht, den auferstandenen Herrn zu verstehen suchen. Da können uns die Schrift und die Boten Gottes, die Engel, davor bewahren helfen.

Aber entscheidend wird etwas ganz anderes, und dies ist der Höhepunkt unserer Erzählung. Dies ist die bewusste Begegnung des Herrn mit Maria. Sie geht von Jesus aus. Jesus spricht mit ihr und redet sie an: Maria! (16) An dieser Stelle verwendet Johannes auch das aramäi-sche Wort Mirjam. Maria antwortet ebenso in ihrer gemeinsamen Sprache: Rabbuni, das heißt Meister (mein Meister). Hier können wir wirklich lernen, was Begegnung heißt. Jesus begründet das frühere Verhältnis zu Maria durch seine freundliche Anrede ganz neu. „Gerade auf dem Höhepunkt dieser Geschichte, in der Begegnung zwischen Jesus und der Maria, wird die Erzählweise von einer geradezu zärtlichen, faszinierenden Menschlichkeit, so dass die Engel ganz aus dem Blick verschwinden. Von ihnen ist dann auch keine Rede mehr. Die Anrede Jesu ‚Maria‘ und die Hinwendung der Maria zu Jesus: ‚Rabbuni‘ - man kann sich diese Hinwendung eigentlich nur ganz plötzlich, als freudig überraschte vorstellen, hat geradezu eine poetisch-erotische Färbung. So wie der Liebste sein Geliebte anruft und diese ihm antwortet, so schildert Johannes diese Begegnung; und es ist nur allzugut verständlich, wenn Maria das Bedürfnis hat, Jesus anzufassen." (J. Blank, Das Evangelium nach Johannes III, Düsseldorf 1977, 170).

Offenbar gehört dies ganz zentral zum Glaubensweg, dass man in eine wirklich persönliche Begegnung mit dem auferstandenen Herrn kommt. In unserer Erzählung ist zweimal davon die Rede, dass Maria sich „umwendet". Das erste Mal dreht sie sich nur örtlich um (14), steht aber wirklich vor Jesus, den sie allerdings nicht kennt. Ihre Augen bleiben verschlossen. Man kann sehen und doch nicht erkennen. Aber jetzt, nachdem sie sich erkannten, hat dieses neue Umdrehen zu Jesus hin (16) den Charakter auch der Umkehr und einer neuen Zuwendung zu Jesus. Es ist ein wunderbares Spiel mit diesem Wort vom Umkehren. Auch wir brauchen auf dem Glaubensweg von Karfreitag bis Ostern diese Zuwendung im Sinne der persönlichen Begegnung mit Jesus und müssen dafür offen sein.

Aber immer wieder, wie bei Maria, kommt die Versuchung, uns dem auferstanden Herrn in der Sprache und mit den Gesten unserer normalen Welt zu nähern. Dies sehen wir ja auch nochmals in der Thomas-Geschichte, wo das handgreifliche Erleben zunächst eine ganz große Rolle spielt - und plötzlich keine mehr. Deshalb sagt Jesus zu Maria „halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen." (17). Ja, wir wollen immer handfeste Beweise haben. Jesus aber weist uns wie Maria zurück. Diese seine Antwort sagt nicht nur, dass wir ihn nicht festhalten, sondern man kann auch übersetzen, dass wir ihn nicht aufhalten, ihn nämlich für uns zum Vater gehen lassen (17). Wir müssen uns darin einüben, dass Jesus nach seiner Auferstehung durchaus in unserer Welt gegenwärtig wird, aber anders. Vor allem sein Wort der Begrüßung, der Ermutigung und des Vertrauens gehört in die Auferstehungserzählungen hinein: Habt keine Angst, habt Mut; manchmal genügt wie bei Maria auch das Aussprechen eines vertrauten Namens.

Noch etwas lehrt uns - und auch dies ist ganz entscheidend - der Glaubensweg, den Maria geht und der von Jesus selbst ab einem bestimmten Augenblick gelenkt wird: Maria soll sich nicht zu allerlei Versuchen hinreißen lassen, in irgendeiner Weise Jesus nach unseren Vorstellungen festzuhalten. Er gibt uns hier den Auftrag, was wir gesehen, erkannt und geglaubt haben, weiterzugeben, seine Zeugen zu sein: „Geh aber zu meinen Brüdern, und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott." (17b). Die Ausleger sagen uns, dass hier zum ersten Mal der Jesus des Johannesevangeliums das Wort „Brüder" (und konsequent auch: Schwestern) für uns verwendet und nicht nur von „meinem Vater" redet wie bisher, sondern uns mit ihm eine neue Gemeinschaft mit dem himmlischen Vater schenkt: „Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott."

Am Ende dieses Weges, soweit er uns erzählt wird, spüren wir, warum wir Maria von Magdala - wer sie immer ist und was sie früher auch getan hat - verehren. Sie hat Jesus verstanden. Darauf kommt es an, denn am Ende heißt es: „Maria von Magdala ging zu den Jüngern und verkündete ihnen: Ich habe den Herrn gesehen. Und sie richtete aus, was er ihr gesagt hatte." (18) Nun ist es doch eine Frau, die zu den Jüngern im Sinne der Erstverkündigung geschickt wird. Bald wird man sie bei den Kirchenvätern die „Apostolin der Apostel" nennen, auch wenn der Rang des Petrus dabei nicht bestritten wird. Johannes gibt uns mit dieser Erzählung eine wichtige Lehre. Aber es ist ja Jesus, der uns dies sagt. Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz