(In Kooperation mit dem Institut für Geschichtliche Landeskunde Mainz und der FH Mainz)
Wir haben in den letzten Jahren den Erbauer des Mainzer Domes und des Stiftes St. Stephan, nämlich Erzbischof Willigis, gebührend gefeiert, zumal wir am 23. Februar 2011 den 1000. Todestag begehen konnten. So haben wir auch noch einmal über ihn zusammengetragen, was wir aus dieser fernen Zeit überhaupt wissen. Es ist mehr, als man zuerst denkt. Ein evangelischer Kirchenhistoriker schrieb schon Ende des 19. Jahrhunderts: „Man könnte Willigis den idealen Typus eines deutschen Bischofs des zehnten Jahrhunderts nennen. Er fühlte sich ... als Theologe, handelte als Pastor und wirkte wie ein Fürst." (A. Hauck).
Was war denn besonders in seinem Leben? 36 Jahre stand er an der Spitze des Erzbistums und der Kirchenprovinz Mainz. Kein Bischof hat bis heute so lange die geistliche Verantwortung ausgeübt wie er. Mit Bonifatius, Lullus und Hrabanus Maurus gehört er zu den großen heiligen Erzbischöfen der frühen mittelalterlichen Geschichte. Willigis blieb bei dieser exponierten Stellung freilich nicht unangefochten. Dies fängt bei seiner Herkunft aus einfachen Verhältnissen an, denn gewöhnlich konnte nur ein Adliger eine solche hohe Stelle erreichen. Unmittelbar nach dem Tod von Erzbischof Rupert berief Kaiser Otto II. Willigis, der schon früh Leiter der Hofkapelle geworden war, als Erzbischof von Mainz. Wegen seiner Fähigkeiten hatte Willigis beim Kaiser und seiner Gemahlin Theophanu ein hohes Ansehen. Zugleich erhielt er sehr rasch, nämlich schon im März 975, von Papst Benedikt VII. ein Bestätigungsschreiben, in welchem Erzbischof Willigis vom Papst das Amt eines Vikars erhielt, der nämlich den Papst in allen wichtigen Angelegenheiten nördlich der Alpen vertrat. Dies galt besonders für die Krönung und Salbung der Könige und für die Einberufung von Synoden. Damit erhielt Willigis neben Papst und Kaiser das höchste geistliche und weltliche Amt, das es damals gab.
In diesem Zusammenhang hat Willigis viele Verdienste: Er erweiterte das Territorium des Erzbistums. Dies gilt für die Stärkung vor allem des rechtsrheinischen Anteils, der immer etwas schwach und räumlich zusammenhanglos gewesen war, ein eher loses Bündel von Besitzungen; es gilt aber auch für die 13 Diözesen, die damals zur Mainzer Metropolie gehörten. Es gab wertvolle Erweiterungen zu beiden Seiten des Rheines. Wir hören auch von wichtigen neuen Bauwerken, z. B. von den steinernen Brücken über die Nahe und den Main, die den Handel und Verkehr erleichtert haben.
Als Kaiser Otto II. überraschend starb, war Willigis einer der Hauptratgeber für die Kaiserinwitwe Theophanu. Ihm kam auch die Führung der Regierungsgeschäfte im Reich für einige Jahre zu. Als der junge Kaiser (994) die Regierung übernahm, überließ Willigis die politischen Geschäfte anderen und wandte sich stärker seinen kirchlichen Aufgaben zu. Als Otto III. ebenfalls unerwartet früh starb (1002), war Willigis noch einmal neu gefordert. Eng war er mit Kaiser Heinrich II. verbunden. Mit ihm zusammen wurde auf der Frankfurter Synode (1007) die Gründung des Bistums Bamberg beschlossen, was für die künftige weitere Missionierung des osteuropäischen Raumes von großer Bedeutung war.
Man darf aber nicht denken, dass Willigis in diesen weltlichen Aufgaben gleichsam aufging. „Denn obwohl der Erzbischof wie wenige Kirchenfürsten seiner Zeit dem Reich in allen Nöten zu dienen bereit war, stand dennoch immer für ihn die Fülle der kirchlichen Aufgaben im Vordergrund." (W. Goez). „Wie keiner seiner Vorgänger sammelte Willigis immer wieder die Bischöfe der Kirchenprovinz, ja des ganzen Reiches, um sich, um zu reformieren oder Streit zu schlichten, Einheit zu stiften und gemeinsame kirchenpolitische Wege zu finden." (W. Goez) So wissen wir von mindestens 15 Synoden, die in seiner Zeit einberufen worden sind.
In diesen Perspektiven möchte ich einige Dinge hervorheben, die mir besonders wichtig erscheinen. Entgegen früheren Meinungen wissen wir heute, dass Erzbischof Willigis sich sehr um die Klöster und ihr religiöses Leben kümmerte. Er wusste, dass sie Leuchttürme für das religiöse Leben waren. Aber er hat ihnen nicht die ganze Seelsorge anvertraut. Dafür hat er die Stifte gegründet, besonders das Stift St. Stephan auf der höchsten Hügelgruppe des Stadtbildes und das Stift St. Viktor, auch auf einer Höhe südlich von Mainz. Mit der Schaffung der Stifte hat Willigis ganz bewusst die Seelsorge strukturell und organisatorisch ausgebaut. Er hat sich sehr um die Förderung derjenigen Priester gekümmert, die wir heute als Weltklerus bezeichnen. Sie wohnten gemeinsam in den Stiften. So hat er die Aufgaben der Klöster - er gilt heute als ein Freund der Mönche - und der Stifte klug unterschieden. „Ihm (Willigis) ging es anscheinend vor allem um die Hebung des religiösen Lebens der Weltgeistlichkeit. Das bedeutet keine Geringschätzung monastischer Lebensform, vielmehr eine Annäherung beider Bereiche. Denn mit seinen Stiftsgründungen gab Willigis seinen Geistlichen das gemeinsame Leben als Richtschnur, wie es den Idealen von Kanonikern und Mönchen entsprach." (E.-D. Hehl) Willigis hat sich aber auch sehr intensiv um die Kultur seiner Zeit gekümmert. „So ist von Willigis bezeugt, dass er sich intensiv um die Sicherung literarischer Traditionen, die Pflege der Wissenschaften und die Heranbildung des Priesternachwuchses kümmerte. Die Mainzer Domschule blühte auf; der Erzbischof nahm persönlich Anteil daran, und es ist sogar überliefert, dass er gelegentlich mit den Alumnen Augustins De civitate Dei las und sie lehrte, Überlieferungsfehler zu emendieren." (W. Goez)
So gilt Willigis vielen Historikern als ein Höhepunkt der Mainzer Geschichte im Mittelalter. „Kein anderer Erzbischof hat im zehnten und elften Jahrhundert und auch danach die Mainzer Kirche länger geleitet als Willigis, kein Erzbischof hat so viele Thronwechsel und die damit verbundenen Umschwünge erlebt, wie dieser ... Dass mit Willigis eine Person von besonderer Qualität den erzbischöflichen Stuhl von Mainz innehatte, war den Zeitgenossen bewusst. Von den Mainzer Erzbischöfen des zehnten und elften Jahrhunderts ist er der einzige, dessen Geburt mit Erzählungen ausgeschmückt wurde, die auf seine künftige Bedeutung in Kirche und Reich hinwies." (E.-D. Hehl)
Sein Leben und seine Bedeutung möchte ich zusammenfassen mit einem Zeugnis aus dem berühmten Katalog des Jakob Wimpfeling zur Geschichte der Mainzer Erzbischöfe (1515), wo es im Zusammenhang mit Willigis heißt: „Selig die Bischöfe, die statt des Helms die Mitra, statt des Harnischs die Kasel, statt des Schwertes den Hirtenstab lieben, die statt auf die Jagd zu gehen, Kirchen visitieren, statt zu tanzen, Weihen spenden, die statt in Spielkarten in den Hl. Schriften und in den päpstlichen Erlassen lesen, die statt eines liederlichen, verrufenen und in Verruf bringenden Weibes unsere reinste Herrin und Mutter Gottes lieben, sie verehren und ihr huldigen, die statt gelockte Männer, Jäger oder Lanzenturnierer um sich zu versammeln hochheilige Synoden abhalten, Statuten erlassen, Laster ausmerzen, die über das Volk und den Klerus Burggrafen, Richter, Sittenrichter zu setzen pflegen, die streng, untadelig, ehrwürdig, unbestechlich und charakterfest sind, unzugänglich für Speichelleckerei, nicht habgierig ... ." (Übersetzung von S. von der Gönna, 199f.)
Damit wollte ich Ihnen eine kleine Hinführung zur Hauptperson geben, die uns vor allem in St. Stephan, aber eben auch im Dom begegnet. In unseren großen, alten Kirchen befinden sich viele Inschriften, hier in St. Stephan vor allem auch im Kreuzgang. Andere sind uns in Archiven aufbewahrt. Oft beachten wir diese Inschriften nur oberflächlich. Durch das Internet haben wir eine neue Möglichkeit, diese Inschriften jeweils einzeln und auch in ihrem Zusammenhang besser kennenzulernen und tiefer zu verstehen. Wir haben an diesem Abend die Chance, die heutigen Errungenschaften im Projekt „St. Stephan virtuell" in einem Panorama-Rundgang durch St. Stephan, einschließlich seiner Kapellen, besser kennenzulernen. Wir danken der „Digitalen Akademie" und der Forschungsstelle „Die Deutschen Inschriften" an der Akademie sowie des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz und des Instituts für raumbezogene Informations- und Messtechnik der FH-Mainz. Besonders danken möchte ich aber auch Herrn Stefan Schmitz, der mit seiner Kulturstiftung dieses Projekt mitermöglicht hat. Ich möchte ihm auch sonst für manche Spende zugunsten von St. Stephan danken. Ihnen, verehrte Frau Präsidentin, und der Akademie herzlichen Dank für die Einladung zu diesem Abend.
(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz
www.st-stephan-virtuell.de
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz