Grußwort zu der Tagung „Migration und ihre sozialen Folgen“

(Mainz, 30.06. – 2.07.2006)

Datum:
Freitag, 30. Juni 2006

(Mainz, 30.06. – 2.07.2006)

Es ist mir eine große Freude und Ehre, Ihnen allen – den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an der Tagung „Migration und ihre sozialen Folgen“ – die herzlichen Grüße der Deutschen Bischofskonferenz auszurichten. Als Bischof von Mainz freue ich mich zugleich, dass Sie den Weg in unsere Stadt gefunden haben. Ganz fremd kann ich mich in Ihrem Kreise im Übrigen schon deshalb nicht fühlen, weil nicht nur der Katholische Akademische Ausländer-Dienst (KAAD) – eine wichtige Einrichtung in der internationalen Arbeit der Katholischen Kirche – zu den Ausrichtern der Veranstaltung gehört, sondern auch das Pädagogische Institut der hiesigen Universität, an der ich selbst vor einigen Jahrzehnten als Professor für Katholische Theologie tätig sein durfte.

Die beiden genannten Einrichtungen – der KAAD und das Pädagogische Institut – veranstalten die Tagung gemeinsam mit der Shanghai Academy of Social Sciences. Dies ist gewiss eine ungewöhnliche und herausfordernde Kombination. Die Tagung gibt damit Anlass zu der Hoffnung, dass das wissenschaftliche Gespräch manche Trennungen und Grenzen politischer und kultureller Natur überwinden und über die Welt des Akademischen hinaus einen Beitrag zum besseren Verstehen von Menschen, Gesellschaften und Völkern erbringen kann. Dazu bedarf es großer Sorgfalt des Denkens und Sprechens und der Bereitschaft, auch fremde Gedanken verstehen zu wollen. Ich wünsche Ihnen allen, dass Sie eine Tagung erleben, die von diesem Geist bestimmt ist.

Die Kooperation zwischen einer Einrichtung der Katholischen Kirche und einer staatlichen Akademie aus der Volksrepublik China wird, so hoffe ich, auch dazu beitragen, dass die leider immer noch bestehenden Spannungen zwischen dem chinesischen Staat und der Katholischen Kirche in nicht allzu ferner Zukunft überwunden werden können. Papst Benedikt XVI. hat in seinem noch jungen Pontifikat bereits wichtige Anstöße für die Entwicklung eines solchen harmonischen Verhältnisses gegeben. Die Geschichte zeigt, wie der Papst immer wieder betont, dass die christliche Religion keine Gefahr für eine friedliche Ordnung darstellt, sondern sich immer neu als Grundpfeiler des gedeihlichen Zusammenlebens der Menschen bewährt.

Die Fragen der Migration, mit der sich Ihre Veranstaltung in den kommenden Tagen befassen wird, gehören zu den brennenden Herausforderungen der heutigen Weltgesellschaft. Auf unterschiedliche Weise sind auch China und Deutschland davon betroffen. Und es gibt guten Grund für die Annahme, dass wir Manches voneinander und Vieles gemeinsam lernen können.

Das Tagungsprogramm beleuchtet die vielfältigen Aspekte und Dimensionen dieses Themas. Sie sind wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und auch religiöser Natur. Die durch Migrationen erzeugten Veränderungen sind dabei umso größer, je verschiedener die Verhältnisse in der Herkunftsregion der Zuwanderer und in der Aufnahmeregion sind. Insofern spielt es dann auch keine allzu große Rolle, ob die Wanderungsbewegungen nationale Grenzen überschreiten (wie dies meist in Europa der Fall ist) oder ob es sich um eine Binnenmigration in einem so großen und vielfältigen Land wie China handelt.

Jeder einzelne Mensch, der sich auf den Weg macht, bringt seine Prägungen mit in die neue Heimat. Dort angekommen, müssen sich die Migranten – als Einzelne und als Gemeinschaften – in einem für sie oft sehr fremden Umfeld zurechtfinden. Daraus erwachsen aber auch aufseiten der Aufnahmegesellschaft manches Mal erhebliche Probleme. Auch die Einheimischen müssen sich auf neue Wirklichkeiten einstellen. Mit sprachlichen, ethnischen, kulturellen und religiösen Minderheiten konfrontiert, stehen sie vor der Herausforderung, das Zusammenleben mit zunächst einmal Fremden einzuüben. Nicht selten prallen dabei unterschiedliche Lebens- und Wertvorstellungen aufeinander. Dies muss – so möchte ich klarzustellen – durchaus nicht zu dauerhaften Spannungen oder gar Verwerfungen führen. Die großen Wanderungsbewegungen, die Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat, haben uns alle gelehrt, dass der Austausch von Menschen verschiedener Herkunft und Kultur oft fruchtbar und bereichernd ist. Unser Land kommt heute besser in der globalisierten Welt zurecht, weil es im Inneren den Umgang mit kultureller Pluralität gelernt hat. Man soll sich aber nichts vormachen: Die Prozesse der Begegnung von Fremden sind selten leicht. Und oft bleiben sie über längere Zeit hinweg störanfällig.

Um von meinen Erfahrungen als Bischof zu sprechen: 10 Prozent der in Deutschland lebenden katholischen Christen sind ausländischer Herkunft, d.h. in den letzten fünfzig Jahren eingewandert. Für die Gemeinden bringt dies manche Probleme mit sich; nicht immer funktioniert das Zusammenleben reibungslos und konfliktfrei. Aber wir haben auch erfahren, dass unsere Kirche durch die Hinzugekommenen in ihrem Horizont geweitet und kulturell wie spirituell reicher geworden ist.

Weitaus schwieriger stellt sich das Miteinander dar, wenn Menschen aufeinander treffen, die aus sehr unterschiedlichen Welten stammen. In Deutschland, einem in den vergangenen Jahrhunderten fast ausschließlich christlich geprägten Land, leben inzwischen mehr als drei Millionen Muslime. Viele von ihnen haben sich erfolgreich in unsere Gesellschaft integriert, andere haben ihren Platz noch nicht gefunden. Manche Traditionen und vormodernen Vorstellungen im Islam stellen eine beachtliche Herausforderung für die Integration von Muslimen in moderne westliche Gesellschaften dar. Die zugewanderten Muslime müssen lernen, dass die Trennung von Staat und Religion, die Akzeptanz pluraler Wertvorstellungen in der Gesellschaft und die Gleichberechtigung der Geschlechter unaufgebbare Elemente unserer Ordnung sind. Die Rechts- und Werteordnung der deutschen Verfassung bietet die Gewähr für ein friedliches Zusammenleben aller, indem sie den gemeinsamen Raum der Freiheit bestimmt, in dem jeder Einzelne und jede Gruppe die eigene Freiheit leben kann. Dies ist die Grundlage des staatlichen und gesellschaftlichen Miteinanders, die von allen – Einheimischen wie Zugewanderten – anerkannt werden muss.

Tatsächlich aber müssen Menschen, die aus fremden Kulturen in unser Land kommen, oftmals einen mehr oder weniger langen Weg gehen, um ein freiheitliches und plurales Gemeinwesen nicht als Bedrohung ihrer traditionellen Identität, sondern als Chance für gesellschaftlichen Frieden und die Freiheit aller begreifen zu können. Mahnung und Repression reichen nicht, ja sie sind oft sogar schädlich, wenn es darum geht, dass Migranten ihren Platz in unserer Gesellschaft finden. In den meisten Fällen jedenfalls bedürfen die Zuwanderer der Unterstützung und des Weggeleits in ihre neue gesellschaftliche Umwelt. Die christlichen Kirchen in Deutschland verstehen sich deshalb als Anwälte der Migranten und sind gerade gegenüber den Muslimen um einen aufrichtigen und tief greifenden Dialog bemüht.

Ich denke, in jeder Gesellschaft werden solche Brückenbauer zwischen Einheimischen und Zugewanderten gebraucht. Es lohnt darüber nachzudenken, wie solche Brücken gebaut werden können und wer – unter den ganz verschiedenen Bedingungen in Europa und in China – zu diesem Werk beitragen kann. Ich bin gewiss, dass Ihre Tagung dazu manche wichtige Erkenntnis und Anregung hervorbringen wird.

 

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort 

 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz