Die brennenden Gebäude in New York und Washington sind auch nach einem Jahr für Menschen in aller Welt Symbole für die Sprache des Todes und der Vernichtung geblieben. Wohl selten haben die Menschen Ereignisse so lebendig im Gedächtnis behalten. Was denken wir aber? Pures Entsetzen allein lähmt.
Es war nicht falsch, wenn viele damals feststellten: Das Böse hat sein Gesicht gezeigt. Es war ein Werk des Teufels. Ein GAU gegen die Humanität. Dennoch dürfen wir – auch in unserem Denken nicht – mit der selben Münze heimzahlen. Auch gegenüber dieser furchtbaren Tat dürfen uns nicht Gefühle der Rache überwältigen. Es bleibt dabei: Gewalt beseitigt keine Gewalt. Dies kann und darf nicht heißen, in falscher Beruhigung die Hände in den Schoß zu legen. Äußerste Wachsamkeit ist gefragt.
Immer noch droht die Gefahr von Pauschalurteilen vor allem gegenüber dem Islam. Die ganz überwiegende Zahl von Muslimen hat einer solchen Gewalt ernsthaft und überzeugend abgeschworen. Es würde das Vertrauen unter den Menschen nicht fördern, wenn wir dies nicht wirklich ernst nehmen. Aber wir erwarten besonders auch von den Sprechern des Islam aus dem Nahen Osten und anderen Regionen der Welt, dass sie ausnahmslos und unzweideutig solche Gewalttaten verurteilen, verbrecherischen Organisationen nicht den geringsten Unterschlupf oder irgendeine Unterstützung gewähren und sich entschieden zur Religionsfreiheit für alle Menschen bekennen.
Diese entsetzlichen Gewalttaten haben uns nicht nur durch das Ausmaß ihrer Wirkung, die Kaltschnäuzigkeit ihrer brutalen Planung, den feigen Missbrauch der Gastfreundlichkeit vieler Länder und die geradezu frivole Verachtung jeder Menschlichkeit getroffen, sondern auch deshalb weil wir uns offenbar auch in einer falschen Vorstellung absoluter Sicherheit wähnten. Unsere Sicherheits- und Überwachungssysteme schienen unüberwindlich zu sein. Nun kam alles anders. Wir müssen nüchtern erkennen, wie verletzlich alles ist und dass wir den perfekten Sicherheitswahn aufgeben müssen. Dies muss unsere Anstrengungen für eine noch größere Sicherheit verstärken. Vor allem aber müssen wir vorbeugend alles tun, um solche Wahnsinnstaten möglichst schon im Denken und erst recht in der Planung und Ausführung zu verhindern. Dies ist gewiss eine Frage von Bildung und Aufklärung in der „Dritten Welt". Dazu gehört auch, dass wir dort Ängste und Aggressionen abzubauen versuchen müssen, die nicht zuletzt wegen der Globalisierung in der Dritten Welt existieren. Es ist gut, dass z.B. auch im Internationalen Währungsfonds hier neue Wege gesucht werden. Der Dialog zwischen den Religionen und Kulturen wird dabei eine wichtige Stütze sein.
Wird die Nachdenklichkeit bleiben und am Ende alle ein Stück vorwärtsbringen – hin zu mehr Frieden in der Welt?
(c) Karl Kardinal Lehmann
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz