Heil für alle

Der missionarische Impuls als durchlaufende Perspektive des II. Vaticanum

Datum:
Sonntag, 29. November 2015

Der missionarische Impuls als durchlaufende Perspektive des II. Vaticanum

I. 

In einer guten Woche werden es 50 Jahre sein, dass das Zweite Vatikanische Konzil nach fünfjährigen Beratungen abgeschlossen worden ist. Wir haben uns jetzt ganz bewusst fünf Jahre Zeit nehmen können, um die Texte im Lichte unseres heutigen Auftrags wieder neu zu lesen und zu verstehen. Wir haben dafür immer auch neben vielen Tagungen in der Akademie des Bistums, dem Erbacher Hof, die Gelegenheit der Adventspredigten und der Predigten zur österlichen Bußzeit, der „Fastenpredigten", genommen, um vor allem hier im Dom den bleibenden spirituellen und pastoralen Impulsen nachzugehen.

Nun kommen wir, wie gesagt, an das Ende dieser langen Möglichkeit zur Besinnung. Wir können uns fragen, was wir vielleicht auch vergessen haben. Es war ja nicht möglich, auf alles - auch wenn es wichtig ist - einzugehen. Das Konzil hat immerhin 16 kleine und große Dokumente verabschiedet. Wir haben versucht, die wichtigsten Aussagen und Anregungen genauer nachzuvollziehen. Aber wir haben z.B. das kurz vor Konzilsende verabschiedete Dokument über die Mission nicht mehr besprochen. Dieses Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche, das nach den Anfangswörtern „Ad gentes" heißt, ist am vorletzten Tag des Konzils, also am 07.12.1965, mit imponierender Mehrheit, nämlich 2.394 Ja- gegen 5 Nein-Stimmen verabschiedet und am selben Tag von Papst Paul VI. feierlich verkündet worden. Dieser Text liegt bis heute etwas im Schatten der anderen Verlautbarungen des Konzils. Es ist eben erst am Schluss auch viel stärker in die Diskussion gekommen. Auch war es um seine Erarbeitung stiller. Man konnte auch die Früchte des bisherigen Konzilsgeschehens und seiner Texte relativ leicht in das Gesamtanliegen und in einen entsprechenden Text einbeziehen. Vor allem die Konstitution über die Kirche „Lumen gentium" stellte für dieses Thema wichtige Einsichten bereit. So ist dieser Text in gewisser Weise geradezu ein Sammelbecken vieler Einsichten des Konzils geworden. Es lohnt sich, diesem Text näher nachzugehen.

Immerhin kann man in mindestens zehn Dokumenten Aussagen finden über die Mission. Sie ist also nicht nur, wie mancher denken könnte, eine Randerscheinung oder ein Anhängsel der Kirche. Schon die Überschrift „Über die Missionstätigkeit der Kirche" zeigt die enge Verbindung mit dem, was Kirche überhaupt ist. Der erste Satz nimmt dabei eine Grundaussage des Konzils auf, wenn es dort heißt: „Zur Völkerwelt von Gott gesandt, soll die Kirche ‚das allumfassende Sakrament des Heils‘ sein." (Art. 1, vgl. LG 48) Dabei dürfen wir nicht das Verständnis von Mission verengen, wie es z.B. über lange Zeit üblich war. Oft sah man das Interesse von Kindern für fremde Kulturen und Länder und die Hilfe für arme Menschen in diesen Regionen als besonders wichtig an. Das Negerlein am Opferkasten hat aber bei allem Anreiz für die Kinder das, was Mission ist, verkürzt. Aber schließlich wusste man überall in unseren Gemeinden, wie viele Frauen und Männer sich weltweit in der Mission für die Ausweitung des Evangeliums ein Leben lang zur Verfügung stellten. Als ich vor über dreißig Jahren in das Bistum Mainz kam, waren es noch ungefähr 80 Leute, die uns als Missionare in aller Welt vertreten haben. Heute sind es viel weniger.

Die Zuwendung zu den Völkern, die das Christentum nicht kannten, ist ein großartiges Werk. Auch zu einer Zeit, wo uns viele Länder der Erde fremd waren, ist die Missionsgeschichte wirklich aufregend. Es ist nicht zuletzt die „Mission", die uns in alle Welt geführt hat. Die Bibel ist das Buch, das in fast alle Kulturen und Sprachen der Welt übersetzt worden ist.

II.

Es ist freilich auch nicht so, wie man es oft vermutet, dass die Mission nur eine Art der Strategie des Christentums war, um sich - gelegentlich auch mit Gewalt - als große Kraft des christlichen Glaubens in aller Welt durchzusetzen und andere Religionen zu verdrängen oder gar auszumerzen. Ganz gewiss hat es, oft auch unter staatlicher Beteiligung (ob in Kooperation oder nicht), in der Missionstätigkeit der Kirche auch Gewalt gegeben. Es gab aber immer wieder viele Missionare, die auch in sehr frühen und dunklen Zeiten darum wussten und dafür kämpften, dass der Glaube Freiheit braucht und nicht durch Druck vielfältiger Art zur Annahme gebracht werden darf. Der Hl. Bonifatius ist ein sehr eindrückliches Beispiel dafür in einer Zeit, da Kaiser Karl der Große mit den Sachsen nicht zimperlich umging. Bonifatius hat ja selbst bei seinen Missionsversuchen einen gewaltsamen Tod erlitten. Dies muss man alles zusammensehen, wenn man dem Phänomen Mission gerecht werden will.

Wenn man dies versucht, dann muss man sagen, dass man die missionarische Erstverkündigung nicht isolieren darf von den anderen, oft gleichzeitigen und gleichursprünglichen Hauptwirkungen der Mission. Man wollte z.B. die Menschen vor Angst und Dämonenfurcht schützen und auch befreien. Man wollte sie aus der vielfachen Unwissenheit herausführen. Darum gehören zur Mission von Anfang an auch der Bau von Schulen und die Verbesserung der Bildung der Menschen, und dies bis zum heutigen Tage. Die Mission hat sich aber auch um das leibliche Leben der Menschen gekümmert. Man hat ihren Hunger zu mildern gesucht, auch dadurch, dass sie einen besseren Ertrag ihrer Landwirtschaft lernten. Dies gilt auch für die Sorge um die Kranken. Von Anfang an ging es auch der Mission um die Befreiung von Seuchen, chronischen Krankheiten und gesundheitlichen Gefahren. Ich erinnere mich noch an einen Besuch im Norden von Ghana, wo die Menschen Jahrhunderte oder Jahrtausende lang an Augenkrankheiten litten, die für viele zur Blindheit führten. Ein deutscher Arzt hat mehr und mehr zur Aufklärung geführt (Bilharziose). Schließlich sollte die Verkündigung des Glaubens im Zentrum die Menschen zur Selbständigkeit im Denken und Wollen führen. Aus der Erfahrung von Menschlichkeit und Freiheit erwuchs auch ein neues Empfinden für die Würde der Menschen. Man darf also die Geschichte der Mission nicht vereinfachen und gar einseitig darstellen. Hier ist immer noch ein großer Nachholbedarf.

So muss das, was „missionarisch" heißt, wirklich auf den zentralen Kern zurückgeführt werden. Im Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche heißt es in den ersten Zeilen, dass die Kirche dabei nur den Auftrag ihres Stifters erfüllt, nämlich „das Evangelium allen Menschen zu verkünden". (Art. 1) Das Dekret entfaltet von hier aus das, was Mission in allen Dimensionen ist und leistet. Es heißt schon im Text über die Kirche an einer wichtigen Stelle, wo von dieser Einladung Gottes an alle Menschen die Rede ist: „Was sich nämlich an Gutem und Wahrem an ihnen findet, wird von der Kirche als Vorbereitung für die Frohe Botschaft und als Gabe dessen geschätzt, der jeden Menschen erleuchtet, damit er schließlich das Leben habe. Vom Bösen getäuscht wurden freilich die Menschen oft eitel in ihren Gedanken, vertauschten die Wahrheit Gottes mit der Lüge und dienten der Schöpfung mehr als dem Schöpfer (vgl. Röm 1,21 und 1,25) oder sind, ohne Gott in dieser Welt lebend und sterbend, der äußersten Verzweiflung ausgesetzt. Daher ist die Kirche eifrig bestrebt, zur Ehre Gottes und zum Nutzen des Heils all dieser Menschen die Missionen zu fördern, eingedenk des Befehls des Herrn, der gesagt hat: ‚Predigt das Evangelium der ganzen Schöpfung‘ (Mk 16,16)." (LG 16, dazu auch LG 17)

Damit ist deutlich geworden, wie grundlegend die „Mission" für das Wesen und Leben der Kirche ist. Wer die Kirche nicht immer in dieser universalen Sendung zu allen Völkern und allen Menschen sieht, und zwar uneigennützig im Dienst an den Menschen, der verkennt Kirche ganz grundlegend. Wir begehen oft selber den Fehler, dass wir jede „missionarische" Betätigung an den Rand schieben.

III.

Ich bin der Überzeugung, dass das ursprüngliche missionarische Bewusstsein nicht nur zum Grundbestand des christlichen Glaubens gehört, sondern dass die Sendung, mit der Jesus Christus uns selbst in die Welt schickt, ganz grundlegend ist für unser heutiges Leben als Christen. Schließlich endet das Matthäus-Evangelium mit den Worten: „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt." (Mt 28, 19-20) Fünfmal wird alles, die ganze Welt und alle Menschen, davon umspannt und getragen.

Dies ist nicht nur die Grundbotschaft, mit der uns Jesus in die Welt schickt, damit wir seinen Auftrag erfüllen, sondern - davon bin ich überzeugt - es ist auch wie ein geheimer roter Faden, der die Texte und Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils leitet. Darum habe ich es auch für wichtig gehalten, wenigstens andeutend von dem Missionsdekret noch zu reden und das missionarische Anliegen als eine durchlaufende Perspektive des Konzils herauszuarbeiten. Dies ist dann auch nochmals ein Blick in die Mitte und die Zukunft des Zweiten Vatikanischen Konzils.

Ich kehre zu unserem Text vom Schluss des Matthäus-Evangeliums zurück. Dieses Evangelium mit dem Aufruf zur Verkündigung der Frohbotschaft Jesu Christi in aller Welt ist nur in einem sehr fragwürdigen Sinn der Schluss des Matthäusevangeliums. Denn das Evangelium wird damit nicht einfach abgeschlossen, als ob es fertig wäre. Im Gegenteil, jetzt wird die Frohbotschaft Jesu Christi erst recht zu allen Menschen gebracht. Jetzt endet die Zeit Jesu während seines irdischen Aufenthaltes bei uns. Sie öffnet sich aber hin zur Zeit der Kirche, die nun mit diesen seinen Worten und mit seinem Auftrag beginnt. Die Zeit des Wirkens Jesu in dieser Welt endigt, aber zugleich setzt sich auf andere Weise die Gegenwart des auferstandenen Herrn (Kyrios) bei uns fort. Dazu gehört der Auftrag: „Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern."

Aber da sind natürlich viele Einwände. Hören wir sie nochmals. Sind die Religionen denn nicht immer besonders gefährlich, wenn sie Mission treiben? Neigen sie nicht da, wie auch die Geschichte der Kirche lehrt, zur Gewalt, z.B. zur Zwangstaufe? Lassen sie sich nicht, wie die Geschichte des Kolonialismus zeigt, verführen, mit den Eroberungsgelüsten staatlicher Autoritäten eine Sache zu machen? Wird da nicht die Religionsfreiheit mit Füßen getreten? Werden nicht vielleicht sehr fremde, aber authentische einheimische Religionen an den Rand gedrängt oder gar beseitigt?

Wir sagen es nochmals: Nun haben die Kirchen, vielleicht nicht selten, es auch in ihrem eigenen Bereich den Menschen schwer gemacht, Mission ernst zu nehmen. Der Negerbub hat dankend mit dem Kopf genickt, wenn man Geld in den Schlitz der Lippen hineinschob. Die Missionare und die Missionarinnen, die in fremde Länder gegangen sind, erschienen vielen als seltsame Außenseiter. Mission hat sich oft in der Sorge um die „armen Heidenkinder" erschöpft.

Aber dies sind natürlich Karikaturen von Mission, die es bis heute schwer machen, sie zu erneuern. In Wirklichkeit reicht jedoch die Mission gerade im christlichen Glauben bis tief in den Kern und die Mitte des Christentums. Jesus Christus ist nämlich - davon sind wir tief überzeugt - gekommen, um alle Menschen von den Mächten des Unheils zu befreien. Dazu gehören zunächst einfach auch Armut und Unwissenheit, Krankheiten und Ängste vor Dämonen. Wahre Religion im Sinn des christlichen Glaubens soll die Menschen von allen falschen Abhängigkeiten und Sklavereien befreien. Sie soll den Menschen einen freien Zugang zu dem wahren Gott eröffnen und zu einem geschwisterlichen Leben untereinander führen. Dafür hat Jesus Christus sich in seinem ganzen Leben eingesetzt: durch sein Wort, durch seine Wunder und Zeichenhandlungen, durch seine Zuwendung zu allen Menschen am Rand der damaligen Gesellschaft: den Kranken und Aussätzigen, den Ausgeschlossenen, den Gefangenen, ja auch den Frauen und Kindern. Es ist tief in seinem Leben und Wirken verankert, dass er wirklich buchstäblich zu allen Menschen gekommen ist und sein Leben hingegeben hat „für alle".

Jesus Christus hat sein Leben wirklich für alle Menschen hingegeben. Man kann dies unschwer auch in der wahren Geschichte der Mission erkennen. Es soll jedoch nicht geleugnet werden, dass es in dieser Geschichte verhängnisvolle Verbindungen mit den Mächtigen und auch Unterdrückern gegeben hat, manchmal Zwang ausgeübt worden ist und erst spät eine ernsthafte Begegnung mit fremden Religionen stattgefunden hat. Pauschalurteile sind jedoch nicht erlaubt. Aber die wahre Mission hat nie einfach z.B. nur die Bibel gebracht, obgleich die Botschaft Jesu Christi das Fundament und das Zentrum aller Mission ist. Aber sie hat sich immer auch um den ganzen Menschen gekümmert, hat seine Wunden und Krankheiten wahrgenommen, hat bis zum heutigen Tag Arzneien und Medikamente in das Land gebracht; hat die Menschen nicht in Unwissenheit gelassen, sondern ihnen einfache und auch schwierigere Fertigkeiten vermittelt, Schulen aller Typen gebaut und Ausbildungen gerade für junge Menschen geschaffen. Nicht zufällig haben immer wieder Kinder für Kinder in anderen Erdteilen gesammelt, bis zu dem großartigen Einsatz der Sternsinger in unserer Zeit. Und bevor es eine Frauenemanzipation in der Moderne gab, Frauenwahlrecht und Gleichberechtigung eingefordert wurden, sind viele Ordensfrauen und Ärztinnen, Lehrerinnen und Hebammen in alle Welt gezogen, um gerade den Frauen in schwierigen Situationen beizustehen. Man darf aus der Mission nicht nur eine Veranstaltung mit dem Ziel der Predigt für die Heiden machen. Das Heil der Bibel schließt die Sorge um das leibliche Wohl des Menschen ein, soweit wir es nur mit unseren Kräften verbessern und Leid mindern können.

IV.

Es gibt Religionen, die keine Mission betreiben. Dazu gehört auch in hohem Maß das Judentum. Andere verbinden die Ausbreitung von vornherein mit den Schwertern. Mission wird Eroberung. Wir nehmen als Christen eine andere Haltung ein: Wir können nicht an den Auftragsworten Jesu, wie sie z.B. auch im heutigen Evangelium verkündet werden, vorbeigehen. Das „Geht hinaus in alle Welt ..." gehört nun einmal in die Herzmitte unseres Glaubens. Jesus selbst schickt uns in alle Winkel der Welt, um das Elend zu mindern und die wirkliche Freiheit der Menschen zu stärken, um die Würde der Menschen zu retten und um ihnen jenseits des Todes den Zugang zum ewigen Heil zu eröffnen. Dies darf keine falsche Vertröstung werden, die die Wunden der Zeit und der Gesellschaft nicht zur Kenntnis nimmt, darüber hinweggeht, sie zudeckt und verkleistert. Aber es gibt mitten in den ewigen Geschichten und Rätseln der Menschheit eben auch Ereignisse, die man bei aller sozial-karitativen Hilfe nie abschaffen wird und wo Menschen neben Solidarität auch Trost brauchen, den nur Gott geben kann. Für den Glaubenden ist es bei aller Freiheit der Entscheidung jedoch gewiss auch ein Wunsch, ein Anliegen, dass er die Lebensorientierung, die ihm hilfreich ist, anderen weitergeben kann. Man darf sich ja Mission nicht in erster Linie so vorstellen, als ob es von Anfang an professionelle Missionare gibt. Der christliche Glaube ist z.B. zu uns gekommen, hauptsächlich durch Menschen, die unterwegs bei uns waren und ihren Glauben bezeugt haben, so z.B in der römischen Zeit Soldaten und Kaufleute. Durch sie haben wir vom christlichen Glauben erfahren. Dann gab es später gewiss Missionare, die wegen der Ausbreitung des Glaubens eigens zu uns gekommen sind, z.B. aus Irland und England, darunter auch der hl. Bonifatius im 8. Jahrhundert.

Mission ist im christlichen Bereich aber zweifellos auch deshalb leichter möglich, weil die Botschaft des christlichen Glaubens nicht an eine einzige Kultur oder an eine bestimmte Sprache gebunden ist. Das Christentum ist bei aller bleibenden und grundsätzlichen Bezogenheit auf die Bibel keine Buchreligion. Es gibt immer einen Überschuss des lebendigen Wortes Gottes im Menschenmund über den Buchstaben hinaus, der stets auch der Deutung und Anwendung bedarf. Dies geschieht vor allem auch im Hl. Geist. Dies ist wohl mit ein wichtiger Grund, warum es in der Tat leichter ein Zeugnis dieser Botschaft in anderen Kulturen und Ländern geben kann und gibt.

In den letzten Jahrzehnten ist das Bewusstsein von der Mission als einer Hauptaufgabe des Christen und der Kirche eher etwas verdunkelt worden. Religion wurde in unseren westlichen Gesellschaften in einem hohen Maße streng individualisiert und privatisiert. Man scheute sich, gleichsam in die Religionsfreiheit anderer einzugreifen, hielt sich auch im Gespräch über die letzten Dinge sehr zurück. Dies hat zweifellos auch zu einer Minderung der Stellung des christlichen Glaubens geführt. Und dies galt in doppelter Hinsicht: Das Bewusstsein fehlte nicht nur in den hochzivilisierten Ländern, wo man bereits während des Zweiten Weltkrieges (in Frankreich und Deutschland) jeweils von einem „Missionsland" sprach, das wir geworden sind, sondern es gab auch einen großen Schwund im Bewusstsein um die Notwendigkeit von Mission für die Kirche überhaupt. Nicht zuletzt aus diesem Grund haben die deutschen Bischöfe im Jahr 2004 ein größeres Dokument erstellt „... Allen Völkern Sein Heil" (Verlautbarungen der deutschen Bischöfe, Nr. 76, Bonn 2004). So haben wir seit ca. 2000 in unserer Bischofskonferenz, aber nicht nur bei uns, die missionarische Dimension des christlichen Glaubens wieder viel stärker zur Geltung zu bringen versucht. Die beiden folgenden Prediger werden dies noch ausführlicher entfalten: Prof. P. Dr. Michael Sievernich SJ, ehemals Professor für Praktische Theologie in Mainz am Beispiel von heutiger „Weltmission", auch im Zusammenhang der Bischofssynoden 2014/2015, und Bischof em. Prof. Dr. Joachim Wanke aus Erfurt, der das missionarische Element für die heutige Pastoral bei uns in den Vordergrund rückt.

Obwohl die Zahl der Frauen und Männer, die als Missionare oft Jahrzehnte oder ihr ganzes Leben in andere Länder und Kontinente gingen, drastisch zurückgegangen ist, sind auch heute noch viele Missionare aus unseren Bistümern in der ganzen Welt. Sie erzählen uns Jahr für Jahr von ihrem Erfolg und dem Misserfolg. Wenn man Gelegenheit hat, die Kirche in Missionsgebieten zu besuchen, bekommt man rasch einen Einblick in die Freude und Begeisterung, die durch den christlichen Glauben ermutigend und befreiend in viele Länder der Erde gekommen ist. Oft können wir mit geringen finanziellen Mitteln große Freude bereiten. Wir selbst können auch von anderen Lebensauffassungen lernen. Mission ist die Gelegenheit zu einem fruchtbaren Austausch, wo es keine Einbahnstraße der Reichen für die Armen gibt, sondern wo wir uns manchmal wegen des menschlichen und religiösen Reichtums arm vorkommen.

In einer globalisierten Welt ist Mission besonders notwendig und hat auch eine große Aufgabe. Mission gehört zum Glauben wie die Luft zum Atmen und das Wasser zum Schwimmen. Obgleich die Sendung buchstäblich in alle Welt, konkret bis in die letzten Winkel, erschrecken kann, so sind die Boten Gottes nicht einfach der Verlassenheit und Einsamkeit preisgegeben. Ihnen ist am Schluss des Evangeliums die wohl größte Unterstützung versprochen: „Seid gewiss: ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt." Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz

Es gilt das gesprochene Wort 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz