„Wort des Bischofs“ im SWR am 19. August 2007
Die Familienpolitik ist Gott sei Dank immer noch unter den vorherrschenden Themen der gesellschaftlichen Diskussion. Dies ist und bleibt notwendig. Es ist eben nicht mehr so, wie der Alt-Bundeskanzler Konrad Adenauer, als er einmal auf die Notwendigkeit der Förderung von Geburten angesprochen worden ist, sagte, Kinder bekommen die Leute von selbst. Heute wissen wir von den elementaren Gefährdungen, die von der Bevölkerungsentwicklung in unserem Land ausgeht, auch wenn kleine Besserungen festgestellt werden können.
Lange Zeit dauerte es, bis die Einsicht reifte, dass wir mehr Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren brauchen. Dabei geht es um reine Krippenplätze, aber auch um neue Tagesmütter-Netze oder auch betriebliche Kinderbetreuung. Erst dann kann auch wirklich von der viel gesuchten und gepriesenen „Wahlfreiheit“ im Blick auf die Form der Kinderbetreuung die Rede sein. Diese ist unter den gegebenen Umständen für 2013 vorgesehen. Viele Kompromisse, auch zwischen dem Bund und den Ländern, waren notwendig, um zu dieser Konzeption zu gelangen.
Wer nach einem Jahr Elterngeld noch weiter mit dem Kind zu Hause bleiben will, soll eine Art „Betreuungsgeld“ erhalten. Man spricht auch von einem „Erziehungsbonus“. Einzelheiten sind wohl noch nicht klar. Jedenfalls werden damit auch viele Wünsche gerade derer erfüllt, die sich dafür einsetzten, dass die Betreuung der Kinder zu Hause durch die Eltern eine Anerkennung finden müsste. Diese Gruppe ist ja schließlich keine kleine Minderheit, sondern es ist ein Lebensmodell, das Millionen von Eltern gewählt und vereinbart haben. Der Vorschlag schien insgesamt eine Richtung zu markieren, auf die sich die verschiedenen familienpolitischen Konzeptionen gemeinsam einstellen konnten.
Nun ist in der Diskussion ein unglücklicher Begriff aufgetaucht, der dazu geeignet ist, die gefundene Annäherung wieder zu zerschlagen. Man hat dafür nämlich das Wort „Herdprämie“ benutzt. Dieses kann nicht nur als Kampfbegriff verstanden werden, sondern er klingt auch in der Tat herabwürdigend und verächtlich gegenüber den Menschen, die zeitweise oder dauerhaft zu Gunsten der Kinder auf Erwerbsarbeit verzichten. Vielleicht ist dies beim ersten spontanen Gebrauch des Wortes gar nicht beabsichtigt gewesen. Aber die Sprache verrät eben auch mögliche Denkweisen. Es wäre fatal, wenn man die gefundene Kompromisslösung auf diese Weise diffamieren würde.
Der Begriff wirkt außerdem in der negativ eingefärbten Stimmung gegen ein solches Lebensmodell rücksichtslos und intolerant. Er scheint am Ende eben doch nur eine bestimmte Form von Kinderbetreuung zu begünstigen, und dies im Lichte einer bestimmten Konzeption von Emanzipation der Frau. Frauen, die sich anders entscheiden, erscheinen dann wie das Heimchen am Herd, das fern vom wirklichen Leben ist.
Schon Aristoteles hatte festgestellt, dass nicht die Taten die Menschen bewegen, sondern die Worte über die Taten. Die Sprache verändert nicht selten unsere Welt und nistet sich in den Köpfen ein. So gibt es manche Unworte, mindestens Reizworte, die das Miteinander vergiften können. Ich denke z.B. an das Wort „Kopfpauschale“. Vielleicht hat man noch kein gutes Wort für den angezielten Kompromiss im Blick auf „Betreuungsgeld“, „Erziehungsbonus“ usw. gefunden.
Auf alle Fälle sollte man das Kampfwort „Herdprämie“ vermeiden. Die Pause während des Sommers sollte dazu genützt werden, dieses destruktive Wort zu begraben, bis nach den parlamentarischen Ferien die Debatte über die Familienpolitik und die Lösungsmuster wieder von neuem beginnt. Daran müssten alle ein Interesse haben. Es gehört zu den Aufgaben der Kirche, solche Unwörter, die friedensstörend sind, zu entlarven und die Suche nach geeigneten Worten anzuregen.
(c) Karl Kardinal Lehmann
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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