Höchste Zeit

Auf ein Wort - Juli

Datum:
Mittwoch, 12. Juli 2000

Auf ein Wort - Juli

Aufrichtigkeit beim Streit um die Rechtsstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften

Immer wieder geht es in der politischen und gesellschaftlichen Diskussion um die Rechtsstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften. Die einen haben Sorge, dies könne bei allen Beteuerungen eine Gleichstellung mit der Ehe zur Folge haben. Die anderen glauben, dass eine solche Gleichstellung längst überfällig sei. Niemand will eine Debatte, die vor allem von den Betroffenen als "Diskriminierung" verstanden werden könnte. Immer wieder wurden Kritiker des geplanten Gleichstellungsgesetzes – auch von offizieller Stelle – beruhigt, jede Gefahr einer Gleichstellung mit der Ehe, die unter dem besonderen Schutz der Verfassung steht, sei ausgeschlossen.

 

Gegen Ende der letzten Woche gab es nun die Meldung, eine Arbeitsgruppe der Rot-Grünen Koalition habe sich auf den wesentlichen Inhalt eines Gesetzes verständigt. Es soll eine Gleichstellung bei der Erbschafts-, Schenkungs- und Grunderwerbssteuer geben. Die Änderung im Namensrecht gestehe gleichgeschlechtlichen Partnerschaften beim Familiennamen alle Möglichkeiten zu, die auch Eheleute hätten. Gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften würden in Zukunft auch Verwandtschaftsverhältnisse begründen, wie z.B. eine Verschwägerung. Es soll zwar kein gemeinsames Adoptionsrecht, aber das so genannte kleine Sorgerecht für Kinder geben. Die Lebenspartnerschaft soll auch – ähnlich dem Ehegattensplitting – bei der Einkommenssteuer Berücksichtigung finden. Entsprechende Konsequenzen soll es für die gesetzliche Krankenversicherung und die Familienversicherung geben. Paare aus mehreren Nationen sollen eine größere Rechtssicherheit erhalten, z.B. Gewährung eines Familiennachzugs. Die Lebenspartnerschaft soll auch im Dienstrecht für Beamte anerkannt werden. Im Übrigen soll eine eingetragene Lebenspartnerschaft vor dem Standesamt geschlossen werden.

 

Die Veröffentlichung dieser Eckdaten war auch für die Öffentlichkeit geschickt abgestimmt. Denn die Einigung wurde just vor dem Christopher Street Day, dem hohen Tag der Lesben und Schwulen, als Durchbruch und Sieg verkündigt. Ich fand diese Verknüpfung freilich wenig geschmackvoll.

 

Wenn man in den letzten Wochen und Monaten ernsthafte Bedenken gegen ein Institut zur Rechtsstellung einwand, wurde man nicht selten etwas mitleidig darauf verwiesen, selbstverständlich gehe es nicht um eine Gleichstellung mit der Ehe. Im Übrigen lebe ohnehin so oder so fast jeder, wie er will. Nicht selten wurde sogar politisch argumentiert: Die Grünen, die sich besonders für dieses Thema engagieren, müssten nun endlich einen vorzeigbaren Erfolg in der Koalition haben.

 

Der gesamte Vorfall zeigt, dass die bisher geäußerten Bedenken, die man verständnisvoll für Leute, die mit der Zeit nicht so recht und rasch mitkommen, zurückgewiesen hatte, noch mehr gelten als bisher. Dabei geht es überhaupt nicht etwa um die Behauptung, es würde eine formelle Gleichstellung vorgenommen. So dumm ist nun kein Reformer, dass er sich Grundrechtsartikeln förmlich entgegenstellt. Es geht auch nicht nur – obwohl dies wichtig genug ist – um die Folgen und Auswirkungen einer familienrechtlichen Anerkennung eingetragener Partnerschaften.

 

Entscheidend ist die jetzt sogar gesteigerte Zuhilfenahme von Begriffen, Strukturen und Maßnahmen, die aus dem Ehe- und Familienrecht stammen und einfach übertragen werden. Die jetzt veröffentlichten Vorschläge zeigen diese Tendenz überdeutlich. Der Gang zum Standesamt, der Umgang mit dem Familiennamen und – ein wenig lächerlich – die Dekretierung als Verwandte / Verschwägerte belegen eindeutig, wohin der Hase läuft. Ehe und Familie sind wie eine Art von vollkommener Blaupause, von der man fast alle anderen Bestimmungen abkupfert. Das Ehe- und Familienrecht wird regelrecht ausgeschlachtet. Es ist diese innere Aushöhlung der Stellung von Ehe und Familie, die Motor und Inhalt der Änderungen sind. Ich empfinde dies zutiefst als unehrlich und hinterlistig. Es ist auch zutiefst unaufrichtig, weil man im Grunde genommen genau weiß, dass man damit am Ende eine uneingeschränkte Liberalisierung aller Lebensformen beabsichtigt.

Nicht nur als Kirche, sondern auch im Blick auf die gültigen Spielregeln für Ehe und Familie in unserem Land brauchen wir vor dem Einreichen und Wirksamwerden eines solchen Gesetzes endlich eine ungeschminkte Auseinandersetzung, die nicht nur auf die Rechte einer Minderheit blickt, sondern verantwortungsvoll und überzeugend den besonderen Schutz von Ehe und Familie verteidigt. Sonst sind die Sonntagsreden über die Wichtigkeit der Familie für die Zukunft unserer Gesellschaft wenig glaubwürdig. Es ist jetzt höchste Zeit.

 

Copyright: Bischof Karl Lehmann, Mainz
(aus: Bistumszeitung Glaube und Leben, Juli 2000)

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz