Zur Heiligsprechung von Johannes XXIII. und Johannes Paul II.
Während meines Lebens habe ich bis jetzt acht Päpste erlebt. Beim ersten (Pius XI.) war ich zwar ein kleines Kind. Den greisen Pius XII., der von Kriegsbeginn 1939 bis 1958 die Kirche leitete, konnte ich ein Jahr lang noch zu Beginn meines Studiums in Rom immer wieder persönlich sehen. Die ganze Regierungszeit von Johannes XXIII. konnte ich mit der Vorbereitung und dem Beginn des Konzils unmittelbar in Rom mitverfolgen. Eine Zeit lang (bis 1964) gilt dies auch für Paul VI. Johannes Paul II. hat mich in das Bischofsamt und in das Kardinalskollegium berufen. Zwei Päpste, nämlich Benedikt XVI. und Franziskus, durfte ich mitwählen.
Es ist schon eine staunenerregende Erfahrung, dass man jetzt zwei Päpste heilig spricht, die man - in den Grenzen, die zu einem solchen Amt gehören - persönlich kannte, mit denen man sprach und denen man die Hand geben konnte. Sonst sind Heilige persönlich und leibhaftig oft weit weg. Ich habe nicht die geringsten Schwierigkeiten, diese beiden Nachfolger Petri als Heilige zu verehren, wenn ich auch durchaus ihre Menschlichkeiten wahrnehmen konnte. Dies ergibt dann erst einen authentischen Sinn wirklicher Heiligkeit von Menschen aus Fleisch und Blut.
Beide Päpste haben ganz eng mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu tun. Es ist für alle, die dies erlebt haben, heute noch eine ungeahnte, geradezu wunderhafte Überraschung, dass der greise Angelo Roncalli, Patriarch von Venedig, der mit fast 77 Jahren in das hohe und anspruchsvolle Papstamt gewählt worden ist, wenige Monate nach seinem Amtsantritt geradezu revolutionär wirkte: Einberufung einer Synode für die Stadt Rom, sein Bistum, Ankündigung eines neuen Kirchenrechts und Verkündigung eines universalen Konzils. Aber es war ihm von vier Ratsperioden des Konzils nur eine während seines irdischen Lebens vergönnt. Dennoch hat er dieser ersten Sitzungsperiode, als man um seine Krankheit schon wusste, seine Handschrift aufgedrückt.
Dann muss man seinen Nachfolger, Paul VI., nennen, auch wenn dieser nicht (oder jetzt noch nicht?) heilig gesprochen wird. Er hat das Konzil sehr entschieden weitergeführt und danach in einer geradezu unglaublichen Intensität und persönlichen Beteiligung die nachkonziliare Reformarbeit vorangetrieben. Dies ist wohl bis heute noch nicht in der ganzen Bedeutung aufgegangen.
Papst Johannes Paul I., der sich bewusst einen Doppelnamen in Erinnerung an Johannes XXIII. und Paul VI. gab, regierte nur wenige Wochen und war in seiner Liebenswürdigkeit wie ein Komet am Himmel der Kirche.
Danach kam mit dem Polen Karol Wojtyla der erste Nichtitaliener auf den Papstthron, der mit 27 Jahren eine außerordentlich lange Regierungszeit hatte. Durch seine tiefe Gläubigkeit, seinen Mut zum Kampf für die Freiheit, durch seine weltweiten Pastoralreisen und seine hohe Menschlichkeit schuf er ein beeindruckendes neues Bild von der Präsenz des Papstes in der weiten Weltkirche. Er wusste auch die Medien dazu zu nutzen. Er hat den Einsatz vieler in den sowjetrussisch beherrschten Staaten für Freiheit und Gerechtigkeit ermutigt und so auch zweifellos seine Verdienste für den Fall der „Mauer" und die „Wende" von 1989. Er wollte dies aber nie hören. In großer Würde hat er dann sein lange dauerndes Leben und Leiden bis zum Ende eindrucksvoll getragen und ertragen. Immer mehr hat sich seine tiefe, letztlich unbeirrbare Gläubigkeit als Wurzel des unablässigen Wirkens herausgestellt. Darum kann man seiner Heiligkeit Glauben schenken.
Über die heute lebenden Päpste - auch dieses Miteinander ist etwas seit Jahrhunderten ganz Neues - brauche ich hier nicht viel zu sagen. Jeder hat den großen Theologen und spirituell inspirierenden Papst Benedikt XVI. vor sich, der der Kirche auch der Zukunft noch viel zu geben hat. War es schon ein großer Sprung, dass mit Johannes Paul II. seit langem ein Nichtitaliener und mit Papst Benedikt XVI. trotz aller Verhängnisse durch unsere Nation im 20. Jahrhundert ein Deutscher Papst wurde, so erleben wir mit Papst Franziskus als dem ersten Nichteuropäer überhaupt einen vor wenigen Jahrzehnten noch ungeahnten Wandel.
Die Kirche und darin eben das Papsttum sind im Rückblick längst nicht so unbeweglich und starr, wie es manchmal scheinen kann. Es fällt dabei auf, wie das Papsttum aus Menschen ganz verschiedenen persönlichen Zuschnitts lebt. Es ist gar nicht so leicht, mitten in der Vielfalt der Persönlichkeiten dasselbe Amt des Nachfolgers Petri zu identifizieren. Es gibt alle menschlichen Nuancen, die verschiedenen kulturellen Stile und die charakteristischen Verschiedenheiten eines jeden Menschen. Heiligkeit ist keine Uniformität. Die Heiligsprechung der beiden Päpste am vergangenen Sonntag gibt Mut auch für unser eigenes Christsein. Heiligkeit kann authentisch in ganz verschiedenen Stilen und Lebensformen gelebt werden.
(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz
Diese Gastkolumne lesen Sie auch in der aktuellen Ausgabe der Mainzer Kirchenzeitung "Glaube und Leben" vom 4. Mai
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz