In der Gemeinschaft des Glaubens"

Predigt beim Pontifikalamt zum 70. Geburtstag von Erzbischof Dr. Robert Zollitsch am 9. August 2008 im Freiburger Münster

Datum:
Samstag, 9. August 2008

Predigt beim Pontifikalamt zum 70. Geburtstag von Erzbischof Dr. Robert Zollitsch am 9. August 2008 im Freiburger Münster

Das Thema der Predigt ergibt sich einerseits aus dem Leben und Wirken von Erzbischof Dr. Robert Zollitsch und anderseits aus dem Bischöflichen Leitwort bzw. Wahlspruch des Freiburger Erzbischofs „In fidei communione", „In der Gemeinschaft des Glaubens", wobei dieses Leitwort dem Brief des hl. Paulus an Philemon entnommen ist (V. 6).

An einem 70. Geburtstag wollen wir an erster Stelle Gott danken für das Geschenk unseres Lebens. Nicht zufällig gehören Danken und Denken auch in unserer Sprache eng zusammen. Wenn wir feiern, unterbrechen wir den selbstverständlichen Gang unseres alltäglichen Lebens, halten inne und besinnen uns.

Wir sind dankbar für Leben und Werk, das uns Erzbischof Dr. Robert Zollitsch in diesen 70 Jahren durch Gottes Güte schenken konnte. Es ist ein Leben, das auch in die Geschichte unserer Zeit hineingehört. Als Robert Zollitsch am 9. August 1938 in Filipovo geboren wurde, einem deutschsprachigen Ort in der so genannten Batschka, damals zu Jugoslawien gehörend, heute zwischen Donau und Theiß, zwischen der Zugehörigkeit zu Ungarn und zu Serbien geteilt, brauten sich schon dunkle Gewitter am Himmel zusammen. Bald beginnt der Zweite Weltkrieg. Als Kind hat Robert Zollitsch brutale Besatzung und bittere Not, Willkür, Mord und Totschlag, Flucht und Vertreibung erleben müssen. Die ersten Besatzer sind die Deutschen, bald kommen die Russen, Titos Partisanen wüten auch in Filipovo. Bei einer großen Massenerschießung ist auch der zehn Jahre ältere Bruder Josef unter den Opfern. Robert selbst kommt mit seiner Großmutter und drei Cousinen in das Todeslager Gakovo und muss dort bis zur nahen Todesangst vieles erleben. Schließlich gelingt der Familie im Schutz der Maisfelder die Flucht über die nahe ungarische Grenze. Von dort kommt die Familie über Wien nach Deutschland, zuerst nach Boxberg, zwischen Walldürn und Bad Mergentheim. Gott sei Dank, dass der Vater die Familie wiederfindet. Später lebt die Familie im Mannheimer Stadtteil Rheinau, wo Robert auch im Jahr 1960 das Abitur macht.

Es waren wohl auch diese Erfahrungen, die den jungen Mann bewegen, sich dem Studium der Theologie zuzuwenden und Priester zu werden. Es ist und bleibt ein zentrales Motiv seines Lebens, auf diesem Weg „anderen Menschen zu helfen, im Glauben ein sinnvolles Leben zu finden". Viele Sicherungen unseres Lebens - dies hat Robert Zollitsch als Kind und Jugendlicher erfahren - können schnell zerbrechen. Gott ist ein verlässlicher Grund unseres Lebens. Zügig studiert er in Freiburg und München und wird hier im Münster am 27. Mai 1965 von Erzbischof Dr. Hermann Schäufele zum Priester geweiht. Seine seelsorgliche Tätigkeit beginnt Robert Zollitsch in Mannheim. Sie entfaltet sich jedoch erst so recht in Buchen, wo Robert mit großem Elan auf eine lebendige Gemeinde und eine begeisterte Jugend stößt. Diese Zeit ist wichtig geblieben für sein ganzes Leben. Man darf nicht vergessen, dass in dieser Zeit in der Kirche das Zweite Vatikanische Konzil zu Ende ging und viel neuen Schwung und frische Begeisterung in die Kirche brachte. In Freiburg hatte man jedoch mit dem jungen Priester noch viel vor. 1967 wird er für fünf Jahre als „Repetitor" an das Theologische Konvikt berufen. Nun ist Robert Zollitsch für lange Zeit in der theologischen Ausbildung der angehenden Priester tätig. Er geht im Jahr 1972 als Dozent an das Priesterseminar in St. Peter. Er erhält im Jahr 1974 den theologischen Doktortitel mit einer Arbeit „Über das Amt und die Funktion des Priesters in den ersten zwei Jahrhunderten". Im selben Jahr wird er Direktor und wird damit für neun Jahre hauptverantwortlich für den Weg der Theologiestudenten, die Priester werden wollen.

Damit hat Robert Zollitsch eine große Verantwortung für das Erzbistum übernommen. Dies gilt für die Beurteilung und endgültige Annahme der Kandidaten für den Dienst im Erzbistum, aber auch für die Studienbegleitung. So lernt er von seinem eigene Studium her eine ganze Generation künftiger Priester mit ihren jeweiligen Fähigkeiten sehr gut kennen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, als Robert Zollitsch nach fast zehn Jahren des Dienstes als Direktor eine andere Tätigkeit übernimmt. 1983 wird er Domkapitular und übernimmt von seinem Erzbischof die Aufgabe des Personalreferenten. Oskar Saier wusste sehr gut, warum er diese hohe Aufgabe, die zu den wichtigsten Diensten in einem Bistum gehört, Robert Zollitsch überträgt. Dies ist gerade in einem so großen Erzbistum - Freiburg ist inzwischen das zweitgrößte Bistum in Deutschland - eine sehr hohe Vertrauensstellung, die Erzbischof Oskar Robert Zollitsch bewusst einräumt. Von Anfang an geht es Robert Zollitsch nicht nur um Personalverwaltung und Verteilung der verfügbaren Kräfte, sondern er stellt sich mit viel Nüchternheit und Scharfblick die Frage, wie die Seelsorge um die Jahrtausendwende für die Zukunft vorbereitet und strukturiert sein muss. Dadurch lernt er auf hervorragende Weise intensiv das ganze Bistum kennen.

So war es zwar eine Überraschung, aber bei näherem Zusehen legte sich diese Entscheidung auch nahe, dass Robert Zollitsch am 16. Juni 2003 zum Erzbischof von Freiburg ernannt und am 20. Juni 2003 in sein Amt eingeführt wurde. Viereinhalb Jahre später wählen seine Mitbrüder ihn im Februar 2008 zum neuen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz.

Jeder Bischof sucht sich für seinen Dienst ein Leitwort, das ihn täglich begleitet. Es ist gewöhnlich eine Wendung aus der Hl. Schrift. Das Leitwort des neuen Freiburger Erzbischofs heißt „In der Gemeinschaft des Glaubens" (In fidei communione) und stammt aus dem Brief des hl. Paulus an Philemon. Dieser Brief ist freilich sehr wenig bekannt. Es ist eigentlich der einzige wirklich sehr persönliche Brief des Apostels, in dem er an Philemon, einem Mitarbeiter, einen kurzen Brief schreibt. Es sind nur 25 Verse, sodass wir nur nach Versen, nicht nach Kapiteln zählen. Auch ist es ein ganz persönlicher Anlass: Der Sklave Onesimus war seinem Herrn, nämlich Philemon, entlaufen. Er kam auf seiner Flucht zu Paulus, der im Gefängnis saß, vermutlich in Ephesus. Paulus gewann Onesimus für den christlichen Glauben. Onesimus war gerade in dieser Situation für Paulus sehr nützlich (vgl. die Verse 11 und 20). Der Apostel schickte den Sklaven zu Philemon zurück mit dem Ziel, Philemon sollte ermutigt werden, dem Sklaven zu verzeihen und ihn als Bruder aufzunehmen. Der Brief soll Onesimus vor der sonst üblichen harten Strafe schützen. Philemon soll ihn sogar als Bruder freilassen und im Herrn annehmen. „Wenn du dich mir verbunden fühlst, dann nimm ihn also auf wie mich selbst." (V. 17) Der Brief ist in vieler Hinsicht trotz seines sehr persönlichen Anlasses wichtig. Wir bekommen z.B. ein bisschen Einblick in eine so genannte Hausgemeinde von damals. Es ist aber auch ein interessantes Beispiel dafür, wie soziale Probleme (Sklaverei) im frühen Christentum erörtert wurden. Es ist weder ein allgemeines Programm noch ein revolutionärer Aufruf, vielmehr ein Versuch miteinander und einvernehmlich zu einer menschlichen Lösung zu kommen.

Was hat diese Situation mit dem Bischöflichen Dienst und besonders mit Robert Zollitsch zu tun? Seelsorge wendet sich zunächst immer einzelnen Menschen zu. Paulus nimmt sich Zeit, um einen Brief in dieser Angelegenheit zu schreiben, wo es „nur" um einen entlaufenen Sklaven handelt. Eigentlich ein klarer Fall! Es gehört wohl von Anfang an zum Menschen, Priester und Erzbischof Robert, die Nöte eines Einzelnen nicht zu übersehen und für ihn zu sorgen. Der Glaube wurzelt zwar im Herzen, darf aber nicht folgenlos bleiben. So heißt es: „Denn ich hörte von deinem Glauben an Jesus, den Herrn, und von deiner Liebe zu allen Heiligen. Ich wünsche, dass unser gemeinsamer Glaube in dir wirkt und du all das Gute in uns erkennst, das auf Christus gerichtet ist". (V. 5 f.) Der Glaube braucht seine Lebendigkeit, Zeugniskraft und Fruchtbarkeit in den kleinen Lebenskreisen, wie es nun eine Hausgemeinde ist, aber auch in einer größeren Öffentlichkeit. Erzbischof Robert ist es ein tiefes Anliegen, diese Verantwortung des Glaubens auch tatkräftig zu verwirklichen. Es ist vor allem auch der gemeinsame Glaube, der uns zu diesem Einsatz aufruft und in Anspruch nimmt. Der Glaube macht uns gerade auch durch die Gemeinsamkeit stark. Es ist die Gemeinschaft, die „communio", die „koinonia", die uns eine tiefe gemeinsame Bindung verschafft. Diese Gemeinschaft unterscheidet sich von bloßem Interesse oder von einer gemeinsamen Neigung. Dies schafft eine Gemeinschaft eigener Art, die man nicht einfach mit sonstigen Zusammenschlüssen in eins setzen darf. In der alten Welt sah man diese Gemeinschaft gerne auch, soweit man überhaupt vergleichen konnte, in Verbindung mit der Treue von Mann und Frau in der Ehe oder vielleicht auch noch mit der verlässlichen Partnerschaft. von Menschen in einem gemeinsamen Unternehmen. Paulus kommt es darauf an, dass diese tiefe Gemeinsamkeit aus dem Glauben alle sonstigen Unterschiede relativiert und überschreitet. Deshalb ist auch diese Gemeinsamkeit nicht nur ein allgemeines Anteilhaben und Anteilgeben am Glauben, sondern dies vollzieht sich vor allem konkret in der Kirche. So soll es aus der Tiefe des Glaubens heraus weder Jude noch Grieche, weder Sklave noch Freier, weder Mann noch Frau geben, wenn man darunter Unterschiede versteht, die eine grundlegende Ungleichheit mit sich bringen (vgl. Gal 3,28; 1 Kor 12,13; Kol 3,11). Robert Zollitsch weiß durch viele Erfahrungen in seiner Familie, in der konkreten kirchlichen Gemeinschaft, in den geistlichen Bewegungen, aber auch in der Weltkirche um diese mächtige Kraft des Glaubens, Unterschieden, die trennen, nicht das letzte Wort zu lassen. Dies gilt auch für das ökumenische Miteinander, ja sogar für das Gespräch mit den nichtchristlichen Religionen.

Noch vieles wäre zu dem kleinen Brief zu sagen, den Paulus entweder um 55 in Ephesus oder auch bald nach dem Jahr 60 in Rom geschrieben hat. Trotz der Kürze und Knappheit hat er uns viel zu sagen. Es ist jetzt auch deutlicher geworden, wie sehr dieses kleine Wort „In der Gemeinschaft des Glaubens" uns und Erzbischof Robert in den großen und kleinen Aufgaben des Alltags stützt. Wir wissen, dass wir nicht allein sind, der Herr bei uns ist und wir auch durch Glaube, Hoffnung und Liebe einander Halt gewähren. Dies wollen wir am heutigen Tag dem Menschen, Priester und Erzbischof Robert, besonders aber auch dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz wünschen und versprechen: Herzlichen Dank für den bisherigen Dienst, nicht zuletzt in den 70 Jahren an verschiedenen Stellen, und Gottes reichen Segen für Leib und Seele in der künftigen, noch größeren Verantwortung. Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz