Interview zum Tod von Papst Johannes Paul II.

Für die Mainzer Allgemeine Zeitung vom 9. April 2005

Datum:
Samstag, 9. April 2005

Für die Mainzer Allgemeine Zeitung vom 9. April 2005

Wichtiger Hinweis: In der Generalkongregation vom 9.4.2005 haben die Kardinäle beschlossen, keine weiteren Interviews mehr bis zur Bekanntgabe des neuen Papstes zu geben. Dieses hier veröffentlichte Interview wurde bereits im Vorfeld dieses Beschlusses gegeben und gedruckt.

Über die Verdienste von Johannes Paul II. um die Weltkirche war in den vergangenen Tagen viel die Rede. Welchen Gewinn, aber auch welche Defizite sehen Sie im Resümee seines Pontifikats für die katholische Kirche in Deutschland?

Johannes Paul II. hat, wie schon das Programm seines Doppelnamens mit dem Hinweis auf seine beiden Vorgänger Johannes XXIII. und Paul VI. zeigt, die Erneuerung der Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil in vielen Bereichen kraftvoll nach vorne gebracht. Er hat durch sein persönliches Zeugnis und seinen hohen Einsatz wirklich Weltkirche sichtbar gemacht. Zugleich hat er eine große Offenheit in der Ökumene, zu den Weltreligionen und zu allen Menschen guten Willens gefordert und selbst praktiziert. Eine solche Öffnung hat zur Voraussetzung, dass man von innen her stark und einig ist, wenn man sich soweit aus dem Fenster lehnt. Der Papst fürchtete sonst eine blinde Anpassung an den Zeitgeist. Es gab natürlich noch viele unerledigte Aufgaben, zu denen aber fast immer auch zwei Seiten, d.h. andere Partner notwendig sind. In diesem Sinne sind wir auch selbst an den Defiziten beteiligt. Es gibt immer noch politische Probleme mit China und in Vietnam. Die großen Probleme Afrikas berühren auch die Kirche. Auch in den klassischen katholischen Hochburgen, wie Spanien, Irland und Lateinamerika gibt es eine vielfältige Erosion des katholischen Glaubens. Aber dies alles kann man nicht dem Papst anlasten.

Nach den Trauerfeierlichkeiten für Papst Johannes Paul II. steht das Konklave bevor. Erwarten Sie innerhalb dieser Wahlversammlung der Kardinäle von Anfang an klar erkennbare Allianzen? Und eine ganz persönliche Frage: Wie ist das für Sie, von der Außenwelt abgeschnitten zu sein? Oder sind die Regeln doch nicht so streng ­ haben Sie Ihr Handy dabei?

Zunächst kann ich hier nur Vermutungen aussprechen. Soweit ich sehe, gibt es keine eindeutigen Favoriten, wahrscheinlich auch keine festgefügte Allianzen. Man wird sich durch Abstimmungen, Kontakte und Aussprachen auf einen Konsens hin bewegen müssen. Bis zum Konklave haben die Kardinäle freilich auch noch Zeit, sich besser kennen zu lernen. Man darf ja nicht vergessen, dass die große Zahl der Wähler, die auch oft erst zur Hälfte seit 2001 ernannt worden sind, dies besonders notwendig macht. Was die Abgeschiedenheit des Konklave und die absolute Diskretion betrifft, so sehe ich darin eine aus langer geschichtlicher Erfahrung kommende Hilfe für die Unabhängigkeit und Freiheit der Wahl. Dies muss auch unter modernen Medienbedingungen und heutigen technischen Möglichkeiten gelingen – also für einige Tage ohne Handy, Fernsehen, Radio, Zeitung und Internet.

Wir wollen nicht über Namen spekulieren, aber welche Eigenschaften muss der neue Papst mitbringen, um die römisch-katholische Kirche wirklich voranzubringen? Was wünschen Sie sich von ihm?

Jeder neue Papst gehört in eine Reihe von Zeugen des Glaubens, die das einmalige Evangelium Jesu Christi immer wieder in die ganze Weite der Kulturen und Sprachen hineintragen müssen. Größtmögliche Offenheit und tiefes, entschiedenes Verwurzeltsein im Glauben müssen dabei zusammenkommen. Der neue Papst wird der 265. Nachfolger des heiligen Petrus sein. Zuerst aber brauchen wir wirklich einen glaubwürdigen, überzeugten und überzeugenden Nachfolger Petri, der sich gerade auch darin an Johannes Paul II. wird messen lassen müssen. Aber nicht im Sinne einer Kopie. Hautfarbe, Herkunft und manches andere, was diskutiert wird, spielen sicher eine geringere Rolle.

Welche Reform(en) sollte er als erstes in Angriff nehmen?

Ich halte nichts von Reformen, die sich vor allem bloß auf Strukturen beziehen. Erneuerung fängt immer zuerst bei einem selbst an. Wenn sie auch andere ansteckt, kommen wir zu echten Reformen. Es darf auch keine falsche Ablenkung von der bleibenden Mitte des Glaubens in ihrer Bedeutung für jeden Christen geben. Die letzten Tage haben ja auch gezeigt, worauf es ankommt. Reformen sind dann immer noch notwendig; sie sind dann aber Rahmenbedingungen, vielleicht sogar nur Krücken.

Ihre Prognose: Besteht jetzt eine realistische Chance für einen echten Fortschritt in der Ökumene, insbesondere dafür, dass Rom in absehbarer Zeit ein Gemeinsames Abendmahl von katholischen und protestantischen Christen erlaubt?

Dies hängt doch nicht einfach vom Papst und seinem guten Willen ab. Gerade im Blick auf das Herrenmahl bedarf es einer noch tieferen Einigkeit in Grundfragen über das Kirchesein und letztlich auch über das Amt. Ich bin überzeugt, dass jeder Papst diese Aufgabe fördern wird. Aber es hängt nicht alles von ihm ab. Papst Johannes Paul II. hat dazu schon Unvergessliches im November 1980 in Mainz gesagt, z.B. „Miteinander sind wir gerufen, im Dialog der Wahrheit und der Liebe die volle Einheit im Glauben anzustreben. Erst die volle Einheit gibt uns die Möglichkeit uns eines Sinnes und eines Glaubens an dem Tisch des Herrn zu versammeln.“ Darum geht es gewiss in kleineren Schritten auch in Zukunft. Aber wir sind ja auch in vielem erstaunlich rasch und gut wieder zusammengewachsen. Dies gibt Mut.

Interview: Monika Paul

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz