JEDEM PAPST SEINEN STIL

Gastkommentar für die Kirchenzeitung "Glaube und Leben", Juli 2005

Datum:
Montag, 11. Juli 2005

Gastkommentar für die Kirchenzeitung "Glaube und Leben", Juli 2005

Päpste, die lange regieren und auf ihre Weise kraftvolle Persönlichkeiten sind, entwickeln einen eigenen Stil in der Leitung der Kirche. Wenn Menschen bei einer langen Regierungszeit noch jung sind, kennen sie nur diesen einen Papst. Er wird so leicht der Papst schlechthin. So muss heute jemand fast 40 Jahre oder älter sein, wenn er bewusst im Jugendalter überhaupt einen anderen Papst als Johannes Paul II. kennenlernen wollte, einmal abgesehen von dem nur wenige Wochen dauernden Pontifikat von Johannes Paul I.

Als ich 1959 in der Begleitung meines damaligen Freiburger Erzbischofs Papst Johannes XXIII. begegnen durfte, war unser Erzbischof tief enttäuscht, denn er hatte das Papstamt ganz nach dem Auftreten und Wirken von Papst Pius XII. vor Augen: „Kein Pius XII.!“ Ich bin damals über unseren Erzbischof erschrocken, denn wir hatten uns schon bald in Rom an einen anderen Stil bei Johannes XXIII. gewöhnt.

So geht es auch öfter in diesen Wochen und Monaten. Nach dem charismatischen Papst Karol Wojtyla mit seiner einzigartigen Ausstrahlungskraft und seiner einmaligen Zuwendungsfähigkeit ist es für jeden Nachfolger unvermeidlich, dass er an ihm gemessen wird. Die Kardinäle im Konklave wussten darum. Er sollte so lachen wie er, er sollte mit Kindern so umgehen wie er, er sollte grüßen wie er. In Wirklichkeit hat sich das Verhalten von Johannes Paul II. im Lauf der Zeit nicht zuletzt durch seine Krankheit auch verändert. Aber man hat einen bestimmten Stil in Kopf und Herz.

Benedikt XVI., Joseph Ratzinger, ist eine andere Persönlichkeit mit eigenen Gaben und mit einer eigenen Lebensgeschichte. Dies klingt fast banal, aber es hat Auswirkungen auf die Art und Weise des Auftretens und des Sich-Verhaltens. Johannes Paul II. war zwar ein Mann, der sich tief in das persönliche Gebet und die Anbetung zurückziehen konnte, aber er war zugleich ein Mann, der gerne und eben auch sehr gut in der großen Öffentlichkeit wirkte. Polnische Bischöfe sind dies nicht zuletzt auch durch die riesigen Veranstaltungen der Kirche im Lande früh gewöhnt. Johannes Paul II. hat gerne bei „Arbeitsessen“ Probleme besprochen. So hat er nur selten allein gegessen. Viele haben schon bei der Messe am Morgen eines Tages den Papst erleben können.

Dies muss nicht jedermanns Stil sein. Benedikt XVI. kann gewiss auch gesellig, zuwendungsfähig und herzlich sein. Aber vielleicht will und muss er die vielen Begegnungen mit Menschen und Audienzen etwas reduzieren, um mehr Zeit zu haben für notwendige Gespräche mit den leitenden Mitarbeitern und nicht zuletzt auch für das Studium zahlreicher Akten, die für ihn und seine Entscheidungen vorbereitet sind.

Schließlich hat Papst Benedikt XVI. sein Amt mit 78 Jahren angetreten, Johannes Paul II. war bei seiner Wahl erst 58 Jahre. Da spielt vielleicht auch die Ökonomie der Zeit eine verschiedene Rolle.

Lassen wir also wie jedem Menschen auch jedem Papst seinen Stil. Dann werden wir auch bei Benedikt XVI. andere, aber nicht weniger bereichernde Worte, Gesten, Gebärden und Verhaltensweisen finden. Auch hier gilt: Jedem das Seine.

© Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz