- Einige Grundgedanken -
Text wird in Abwesenheit des Kardinals durch Herrn Generalvikar Prälat Dietmar Giebelmann verlesen.
Verehrte, liebe Schwestern und Brüder!
Zunächst sende ich Ihnen viele Grüße und gute Wünsche in die weihnachtliche Zeit, in die nun auch wiederum der Jahreswechsel fällt.
Die Zeit ist ein tiefes Geheimnis. Wir können, solange wir leben, nicht über ihr stehen. Wir stehen tief in ihr. Zugleich ringen wir immer wieder damit, dass nicht alles vergeht und von ihr mitgerissen wird in den Strom des Vergehens. Auf der anderen Seite erfahren wir die Zeit auch als Ort der Erfüllung: eine Mutter bringt nach Monaten des Wartens glücklich ein Kind zur Welt; der Bauer ist froh, dass er zur rechten Zeit eine gute Ernte einfahren kann; wir danken für das Gelingen unseres Lebens, wenn sich die Jahrzehnte runden. In diesem Sinne hat Zeit immer etwas mit vorläufiger Vollendung, mit Ernte und so auch mit Bilanz zu tun.
Diese Zweideutigkeit zwischen unwiederbringlichem Verlust und glücklichem, aber zerbrechlichem Gewinn macht die ganze Ambivalenz der Zeit offenkundig. Sie kann den Menschen melancholisch und geradezu verzweifelt, aber eben auch selig und zufrieden machen. Selten gelingt in der Vergänglichkeit der Zeit im Nu eines Augenblicks die blitzartige Erfahrung der Ewigkeit, und damit dessen, was bleibt. Vor allem die vielfältige Liebe schenkt sie uns (vgl. 1 Kor 12).
Dies ist die Situation des Menschen in der Zeit. Es ist gut, wenn wir uns nicht einfach nach vorne treiben lassen, sondern innehalten, auch wenn wir den Strom der Zeit nicht anhalten können. Die Rhythmen der Zeit – Stunden, Tage, Monate und Jahre – sind uns geschenkt, damit wir alle im Rück- und Vorblick uns besinnen: was war, wie es war, was sein wird. Es ist gut, wenn wir alle eine solche Besinnung haben: der Einzelne, die Menschen in Ehe und Familie, in den verschiedenen Gemeinschaften, in den Staaten, Ländern, Gemeinden und auch in den Kirchen.
Die Politiker ziehen Bilanz, meist nicht uneigennützig. Der Hl. Vater hat in den verschiedenen Botschaften und Ansprachen dieser Weihnacht eine sehr nüchterne Gesamtsicht unserer Welt entworfen. Der Friede ist z.B. im Nahen Osten und in Darfur (Sudan) ständig gestört. Die Katastrophenfälle in der Welt, nicht selten auch in Verbindung mit den Folgen des Klimawandels, und die große Zahl der Flüchtlinge in aller Welt lassen uns keine Ruhe. Der feige Mord an Benazir Bhutto in Pakistan hat uns gezeigt, wie sehr die Gewalt auch unsere Weihnachtszeit erschüttert.
Dies gilt gerade, weil wir Europäer – von Konfliktfeldern wie im Kosovo abgesehen – wiederum ein Jahr des Friedens bei uns selbst erfahren durften, auch wenn wir auf verschiedene Weise in die Unruheherde vom Kongo bis Afghanistan verwickelt sind und besonders in dieser Stunde unserer Soldaten und Polizisten in diesen Ländern gedenken. Wir sind dankbar, dass Europa, besonders unter der deutschen Ratspräsidentschaft, im Grundlagenvertrag einen wichtigen Schritt zu einer engeren Gemeinschaft tun konnte, wenn auch unser langes Bemühen um eine stärkere Fundierung der Wertebasis, besonders genährt aus dem jüdisch-christlichen Glauben an Gott, so gut wie erfolglos blieb. Wir werden nicht müde werden, um unsere Anliegen auch weiter deutlich zu vertreten.
Es gab auch in unserer Kirche wichtige Ereignisse: Wir durften den 80. Geburtstag des Hl. Vaters feiern; wir danken Papst Benedikt XVI. für sein Jesus-Buch, die zweite Enzyklika „Spe salvi“ über die christliche Hoffnung und viele wichtige Weisungen das ganze Jahr über. Unsere Nachbarbistümer Limburg und Speyer haben vor Weihnachten mit Franz-Peter Tebartz-van Elst und Karl-Heinz Wiesemann neue Bischöfe erhalten, ebenso wie die Erzdiözese München und Freising, für die uns unser Nachbarbischof Reinhard Marx im Februar verlässt. Wir danken ihm für die gute Zusammenarbeit und freuen uns besonders auch auf die Zusammenarbeit mit den beiden Neuernannten in unserer Nachbarschaft.
Wir deutschen Bischöfe haben im Frühjahr eine wichtige und fruchtbare Reise in das Hl. Land unternommen: eine Wallfahrt zu den Hl. Stätten in Galiläa, nach Nazareth, Jerusalem und Bethlehem, ermutigende Gespräche mit der zahlenmäßig kleinen Gemeinde von Christen in Israel, ein Besuch in der Gedenkstätte für die ermordeten Juden in Yad Vashem und offizielle Gespräche mit Vertretern des Judentums, des Staates Israel und der Palästinenser.
Die Ökumenische Versammlung in Sibiu in Rumänien Anfang September versammelte nach Basel und Graz zum dritten Mal die Christen in Europa, nun in einem überwiegend orthodox geprägten Land.
Wiederum gab es einen Wechsel im Amt des Apostolischen Nuntius, des Botschafters des Hl. Vaters in unserem Land, von dem deutschen Erwin Josef Ender, dem wir sehr herzlich danken, zu dem Schweizer Jean-Claude Périsset, mit dem wir gerne zusammenarbeiten wollen.
Wir haben das 60-jährige Bestehen des Bundeslandes Rheinland-Pfalz gefeiert und uns in diesem Rahmen mit den dazugehörigen Bistümern engagiert; nicht zu vergessen bleibt auch der Hessentag in Butzbach.
Nun darf am Ende auch noch ein Blick auf das Bistum Mainz fallen. Wir haben wieder eine Wallfahrt nach Rom gemacht. Dies stärkt auch unser Bistum. Die Geburt von P. Alfred Delp SJ vor 100 Jahren hat uns mannigfache Gelegenheit gegeben, um uns im Bistum, wo er noch zu wenig bekannt ist, seines großen Vorbildes für unseren Glauben zu erinnern.
Wir durften auch im Bistum runde Gedenk- und Geburtstage feiern, von denen ich nur den 80. Geburtstag von Herrn Weihbischof Wolfgang Rolly nennen will.
Auch sonst gibt es viel zu danken. Ich sage ein herzliches Vergelt´s Gott allen Schwestern und Brüdern, die in Ehe und Familie, Kirche und gesellschaftlich-politischer Öffentlichkeit aktives Zeugnis geben von unserem Glauben. Wir sind aus vielen Gründen quantitativ weniger, die treue Mitte in der Kirche ist jedoch stärker geworden, ganz abgesehen von denen, die neu oder wieder zur Kirche kommen und hier eine Heimat finden. Es sind in diesem Jahr wieder mehr geworden. Die Menschen spüren intensiver, dass sie für die Stützung ihrer eigenen Überzeugungen eine größere „Wertegemeinschaft“ brauchen und in der „Gemeinschaft des Glaubens“ auch eine solche finden können.
Ich danke aber auch all denen, die in den vergangenen Jahren in unseren Pfarrgemeinde- und Verwaltungsräten sowie auf Dekanats- und Bistumsebene aktive Mitverantwortung übernommen haben, ebenso den gerade neu gewählten Mitgliedern der Räte, die sich erneut oder ganz neu für diesen Dienst zur Verfügung gestellt haben. Ich danke Ihnen allen für diese Bereitschaft. Dabei denke ich froh und dankbar an alle Schwestern und Brüder im pastoralen Dienst, die Herren Weihbischöfe und den Herrn Generalvikar, das Domkapitel mit dem Domdekan und die Dezernentenkonferenz mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bischöflichen Ordinariat.
Danken möchte ich auch allen Gemeinden und den Schwestern und Brüdern, die sich um die Weiterentwicklung der pastoralen Strukturen bemüht haben. Ich danke für die im Ganzen erstaunlich wohlwollende und kooperationsbereite Mitarbeit auf allen Ebenen. Sehr herzlich bitte ich alle, uns auf dem längeren und da und dort gewiss auch schwierigen Weg zu einem neuen Miteinander in unseren Gemeinden zu unterstützen und mitzugehen.
Damit werden wir auch im Jahr 2008 zu tun haben. Ähnliches gilt für die Modelle der Firmpastoral, die wir in den diözesanen Räten besprochen, diskutiert und ausgearbeitet haben.
Große Anliegen bleiben in nächster Zeit – wie schon bisher – die Wiedergewinnung einer Kultur und der Heiligung des Sonntags, die Ermutigung zu Ehe und Familie (was die Sorge um die Kinder und den Mut zum Leben einschließt) und die Förderung von Berufung in den priesterlichen, diakonischen und pastoralen Dienst sowie in die geistlichen Gemeinschaften. Wir sind dankbar, dass wir im Vergleich zu den letzten Jahren eine leicht erhöhte Zahl von Priesterkandidaten unter uns haben, die die Verantwortlichen im Priesterseminar, an der Spitze der neue Regens, mit Umsicht weiter begleiten werden.
Nun wünsche ich Ihnen allen im Dom und im Bistum Gottes Segen für Leib und Seele, Frieden und Freude im bald beginnenden Jahr 2008. Ich freue mich, wenn alles gut geht, am Fest der Erscheinung des Herrn, der Heiligen Drei Könige, wieder bei Ihnen in unserem Dom zu sein und mit Ihnen dieses schöne Fest feiern zu können. Amen.
(c) Karl Kardinal Lehmann
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz