Kirche mit eigener Stimme

von Bischof Karl Lehmann, Mainz

Datum:
Freitag, 24. März 2000

von Bischof Karl Lehmann, Mainz

Die Bewältigung der Situation der Kirche in pluralistischen Gesellschaften ist immer noch eine große Aufgabe. Manche meinen, die damit gegebenen Schwierigkeiten seien weitgehend ein Problem der Kirche, weil sie sich zu wenig "anzupassen" verstehe. Nun soll nicht bestritten werden, dass es da und dort eine größere Flexibilität der Kirche in der Reaktion auf gesellschaftliche Herausforderung geben könnte und müsste, ohne dass die Kirche sich bloß in das Bestehende einzufügen hätte.

Aber die Frage ist eben auch nicht weniger ein Problem pluralistischer Gesellschaften selbst: Im Grunde ist in ihnen besonders ethisch fast alles möglich und erlaubt. Über verpflichtend Gemeinsames wird relativ wenig gesprochen. Formelkompromisse täuschen nicht selten ein Einheit bloß vor.

Schon darum ist es fast unmöglich, in allseits akzeptabler Weise auf elementare gesellschaftliche Herausforderungen befriedigend zu reagieren. Viele erwarten nämlich jeweils etwas ganz anderes, ohne dass dies aus falsch verstandener Höflichkeit und angeblicher Toleranz immer auch klar zum Ausdruck kommt. Aber man ist eben der Meinung, die Kirche habe grundsätzlich in allen Situationen notwendiger Hilfe - wie immer - zu dienen. Eine solche Haltung, die von hohen Erwartungen an die Kirche zeugt, begegnet mir immer wieder.

Man ist jedoch nicht selten enttäuscht, wenn die Kirche tatsächlich eine Antwort versucht. Man könnte dies leicht aufzeigen bei den verschiedenen Stellungnahmen zur Schwangerschaftskonfliktberatung, zur geforderten Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare, aber auch angesichts der Parteispendenaffäre. Es ist eine Gefahr, dass im Grunde jeder bloß in seiner Meinung bestätigt werden möchte. Wenn dies nicht geschieht, kann die Enttäuschung rasch bis zur Distanzierung von Kirche oder gar zum Kirchenaustritt umschlagen.

In einer solchen Lage gerät die Kirche manchmal in gefährliche Bedrängnis. Sie möchte gerade in Fragen des grundlegenden Ethos möglichst integrierend wirken. Es geht ja auch um sittliche Grundlagen eines gemeinsamen Lebens. Außerdem fürchtet man im Blick auf manche Fehltritte in der Geschichte den Vorwurf der Gesprächsunfähigkeit, der Borniertheit oder gar der Intoleranz. Es ist nicht leicht, hier so zu sprechen, dass Entschiedenheit und Klarheit vorherrschen, zumal auch die Kirche in sich selbst angesichts der vielen Einflüsse von außen her und der Vielfalt in ihr selbst immer wieder mühsam den Konsens suchen muss.

Ich bin der festen Überzeugung, dass mancher Vorwurf, der auf mangelnde Eindeutigkeit hinausläuft, zwar im Blick auf einzelne Formulierungen rechthaben mag, aber als pauschaler Vorwurf nicht stimmt. Wir müssen heute stärker als früher in vielen Fragen den Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche, wenn wir sachgerecht und hilfreich zugleich bleiben wollen, ein differenzierteres Sprechen zumuten, ohne damit den Willen zu einer klaren Orientierung aufzugeben. Dies ist meines Erachtens vielfach gelungen, nicht zuletzt auch in nicht wenigen gemeinsamen ökumenischen Verlautbarungen.

Dennoch ist, wie ich in den letzten Jahren immer wieder anmahnte, in mancher Hinsicht eine noch deutlichere Positionsnahme vonnöten. Wir sind inzwischen ausreichend eingeübt und ausgewiesen in der Rücksichtnahme auf andere Meinungen, in der Gesprächsfähigkeit darüber und auch in einem zivilisierten Streit. In pluralistischen Gesellschaften geht man jedoch unter, wenn man nicht in der immer unübersichtlicher werdenden Vielfalt der zahlreichen Stimmen seinen eigenen, unverwechselbaren Standort kräftig und vernehmbar markiert.

Dies ist nicht nur sachlich notwendig, um die eigene Position überzeugend darzustellen, sondern nur so wird auch ein bestimmter Standort, hier aus dem Glauben verantwortet, wirklich mitteilbar - in der Mediengesellschaft ist die Sorge darum unübersehbar wichtig. Deshalb muss es hier manchmal zu Streit, Konfrontation, auf jeden Fall zu mehr Wettbewerb der geistigen Standorte kommen. Deshalb kann die Kirche nicht eine Allerweltsantwort geben. Sie kann nur wirklich helfen, wenn z.B. sie tatsächlich die Wunden aufzeigt und auch schmerzliche Wege der Heilung nicht verschweigt.

In vielen Fragen ist auch zuerst ein Umdenken, d.h. eine Ab- und Umkehr von bisherigen Haltungen, notwendig. Wenn dies zunächst fremd und auch schmerzlich ist, wird es in vielen Fällen - wenigstens auf mittlere oder längere Sicht - mehr helfen als weiche Angebote. In diesem Sinne kann gerade das zunächst Unbekannte und Fremde zu einem Segen werden.

 

In der Österlichen Bußzeit sollten wir diese Aufgabe des Umdenkens, wie sie immer notwendig ist, in der konkreten Gestalt für heute nicht vergessen. Sonst versteht man im Grunde nicht, warum die Kirche so und nicht anders spricht und sprechen muss.

 

Copyright: Karl Lehmann, Mainz
(aus: Bistumszeitung Glaube und Leben, März 2000)

 

 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz