Wir haben am 5. März 2008 den 75. Geburtstag von Walter Kardinal Kasper gefeiert, dem heutigen Präsidenten des Päpstlichen Rates für die Förderung der Einheit der Christen und zugleich Präsidenten der Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum. Dieser Gedenktag ist zugleich eine Gelegenheit zur Ernte eines großen Lebenswerkes und besonders zum Dank dafür. Unter den vielen Ehrungen für Walter Kardinal Kasper ist es für mich eine besondere Freude, dass ich heute eine kleine Laudatio aus Anlass der Verleihung des Ehrenrings der Görres-Gesellschaft an Kardinal Kasper halten darf. Was bringt er selber alles dazu mit?
Walter Kasper stammt - ähnlich wie ich selbst - aus einer schwäbischen Lehrerfamilie. Sie hat ihm vor allem durch die Atmosphäre des elterlichen Hauses die Festigkeit im Glauben geschenkt. Darum mussten die Eltern bei ihrer Standfestigkeit in der Einstellung gegen den Nationalsozialismus und Adolf Hitler auch einiges ertragen, bis der Vater schon zu Beginn des Krieges zur Wehrmacht kam. Lebendig sind Walter Kasper noch die schreckliche Stimme Adolf Hitlers und die letzten Tage des Krieges in Erinnerung, wenn er sagt: „1945 war die Familie die einzige Institution, die hielt, und an die man sich halten konnte. Es waren vor allem die Frauen, welche während und unmittelbar nach dem Krieg das Leben aufrechterhielten, während die Männer im Krieg oder in Gefangenschaft waren." 1946 kommt der Vater wieder zu seiner Familie. Die Familie zieht es zurück in das Allgäu. Wangen wird zur Heimatstadt. „So wird das katholische Oberschwaben mit seiner herrlichen Barocklandschaft der Familie endgültig zur Heimat."
Nach dem Abitur entschloss sich der junge Walter Kasper zum Priestertum und damit zum Theologiestudium. Dieser Wunsch schlummerte schon lange in ihm. In Tübingen, wo er 1952 das Studium an der Universität aufnimmt, lernt er die große „Tübinger Schule" kennen, vor allem durch seinen Lehrer Josef Rupert Geiselmann. Johann Adam Möhlers und Karl Adams große Werke werden für den jungen Studenten zum Programm. Dies gilt besonders auch für die ökumenische Theologie bis zum heutigen Tag. Kirchlichkeit, Wissenschaftlichkeit und Offenheit für die Zeichen und Probleme der Zeit sind die Grundmerkmale der Tübinger Schule. Es zeichnet Walter Kasper von Anfang bis heute aus, dass er die Vermittlung zwischen diesen drei Dimensionen nie aufgab und stets allen Extremen nach verschiedenen Seiten eine Absage erteilte. Bedeutende Theologen in Tübingen und München gehören zu seinen maßgebenden Lehrern: Heinrich Fries und Gottlieb Söhngen, der große Meister besonders für Joseph Ratzinger/Benedikt XVI., Karl Hermann Schelkle, Josef Schmid und Franz Xaver Arnold.
Die beiden großen Arbeiten Walter Kaspers in dieser Zeit zeigen diese tiefe Prägung: die Promotionsschrift „Die Lehre von der Tradition in der Römischen Schule" (Promotion 1961, erschienen 1962) und die Habilitation „Das Absolute in der Geschichte. Philosophie und Theologie der Geschichte in der Spätphilosophie Schellings" (Habilitation 1964, gedruckt: Mainz 1965). Die Promotion erinnert an ein großes Thema des Zweiten Vatikanischen Konzils, nämlich das Verhältnis von Schrift und Tradition, das besonders J. R. Geiselmann neu angestoßen hatte. Die Schelling-Arbeit gehört mit den fast gleichzeitigen Arbeiten des Tübinger Philosophen Walter Schulz und des späteren Bischofs von Aachen Klaus Hemmerle zu einem neuen Aufbruch besonders im Blick auf den späten Schelling.
Beide Arbeiten haben schnell dazu geführt, dass Walter Kasper im selben Jahr 1964 einen Ruf für Dogmatik an die Universität Münster erhält, und zwar als Nachfolger von Hermann Volk, der Bischof von Mainz geworden war. Kasper, dessen Berufung von Joseph Ratzinger - er ging 1963 von Bonn nach Münster - gefördert wurde, ist 31 Jahre alt. In kurzer Zeit und besonders in der bald beginnenden nachkonziliaren Epoche wurde Walter Kasper einer der hoch geschätzten und anerkannten systematischen Theologen. Besonders seine Vorlesungen, die später geradezu zu Bestsellern geworden sind, „Jesus der Christus" (1974) und „Der Gott Jesu Christi" (1982), förderten diesen Ruf, und zwar auch durch zahlreiche Übersetzungen und Vorträge über Deutschland hinaus. Bald zog es ihn als Nachfolger Joseph Ratzingers, der 1969 nach Regensburg wechselte, an seine Heimatuniversität Tübingen, wo er von 1970 bis 1989 mit großem Erfolg, einer intensiven Sorge für den theologischen Nachwuchs und einem großen Engagement in Forschung und Lehre wirkte. In dieser Zeit wird Walter Kasper ein maßgebender Mann auch in der Beratung der Bischöfe auf allen Ebenen und ist während der Gemeinsamen Synode in Würzburg ein wichtiges Mitglied der Kommission „Charismen/Dienste/Ämter. Im Jahr 1985 konnte der erste Band des Katholischen Erwachsenenkatechismus erscheinen, dessen Hauptautor Walter Kasper war.
Schließlich wurde Walter Kasper zum Bischof seiner Heimatdiözese Rottenburg-Stuttgart gewählt und ernannt (1989). Der zehnte Bischof von Rottenburg-Stuttgart und Nachfolger von Bischof Georg Moser wählte als Leitwort seines Dienstes ein Wort aus dem Epheser-Brief „Veritatem in caritate" (Die Wahrheit in Liebe tun). Damit war die Verbindung zwischen dem theologischen und dem bischöflichen Dienst herausgestellt. Die Abschiedsvorlesung „Zustimmung zum Denken. Von der Unerlässlichkeit der Metaphysik für die Sache der Theologie" nimmt einen Gedanken des Gesprächs der Theologie mit dem zeitgenössischen Denken auf - immer ein Grundanliegen von Walter Kasper.
Es beginnt ein neuer Lebensabschnitt, der auch durch die zahlreichen Beanspruchungen innerhalb und außerhalb des Bistums den Lebensstil des Professors verändert. Aber Walter Kasper bleibt mit Leib und Seele Theologe. Dies ist ein großer Nutzen für das Bistum und die Deutsche Bischofskonferenz, aber auch für die Weltkirche. Die „offene Kirchlichkeit" der Tübinger Schule macht sich bei Bischof Kasper überall bemerkbar. Vieles, z. B. in der Ekklesiologie, wurde nun eminent praktisch. In der Bischofskonferenz übernahm er die Sorge für die Weltkirche, nicht zuletzt auch im Blick auf die Wirkmöglichkeiten der großen bischöflichen Werke Adveniat, MISEREOR, missio, das Kindermissionswerk, das Frauenmissionswerk, Renovabis sowie die Not- und Katastrophenhilfe der Caritas. Jetzt war Walter Kasper das, was er immer werden wollte, wenn auch nun in einer anderen Dimension: „Pfarrer" und Seelsorger. Über diese Zeit sagt Walter Kasper: „Ein wenig durften unsere Diözese und die Kirche in Deutschland da und dort helfen, Hoffnung und Licht in die Welt zu bringen. Ich bin dankbar, erfahren zu haben, wo und wie das Herz des Glaubens schlägt." In diesem Zusammenhang verdient besondere Anerkennung, dass Bischof Kasper trotz dieser Belastung Herausgeber der 3., völlig neu bearbeiteten Auflage des Lexikons für Theologie und Kirche war und blieb (Freiburg i. Br., 11 Bände, 1993-2001).
In Rom suchte man unterdessen für den wichtigen Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen einen neuen Präsidenten. Die Wahl fiel auf den Bischof von Rottenburg-Stuttgart, der auch von Papst Johannes Paul II. als Theologe sehr geschätzt wurde. So ist er nun in Rom seit bald zehn Jahren - selbstverständlich mit dem Papst und anderen Leitern wichtiger Behörden zusammen - verantwortlich für das ökumenische Gespräch der katholischen Kirche. Er konnte aus der eben kurz dargestellten Lebensgeschichte unglaublich viel in diesen Dienst einbringen: die große Kenntnis in Kirche, Theologie und Ökumene; die hohe Wertschätzung des Theologen, die ökumenischen Erfahrungen in unserem Land, das Wissen um die pastorale Praxis in unseren Diözesen, dazu die Weisheit des Bischofs einer großen und immer auch für Neues offenen Diözese. Bischof Walter Kasper, im Jahr 2001 zum Kardinal ernannt, konnte die ökumenischen Aufgaben der katholischen Kirche nach allen Seiten hin mit diesen Gaben und mit einem überzeugenden Gesicht glaubwürdig, förderlich und wirksam gestalten. In diesem Sinne ist er, wie es der Ökumenische Patriarch Bartholomaios II. nannte, ein „Glücksfall für die Ökumene". Ähnlich positiv ist das Urteil führender Repräsentanten des Weltjudentums. Papst Benedikt XVI. schreibt aus Anlass des 75. Geburtstages in einem denkwürdigen Grußwort: „In dem Ringen dieser Jahrzehnte hast Du immer an vorderster Stelle gestanden. Du hattest den Mut, in dieser Zeit die zentralen Themen der Theologie aufzugreifen und neu auszulegen. ... Seitdem bist Du unermüdlich in zahllosen Begegnungen mit Vertretern der verschiedenen christlichen Kirchen und Gemeinschaften für die Sache der Einheit geographisch und theologisch-spirituell unterwegs." Zahlreiche Bücher mit Studien zur weltweiten Ökumene sind in vielen Sprachen erschienen. Dabei hat Kardinal Kasper die Spiritualität der Ökumene in besonderer Weise neu angestoßen und belebt (vgl. Wegweiser Ökumene und Spiritualität, Freiburg i. Br. 2007).
So sind wir, gerade im Ursprungsland der Reformation, für das vielfältige Lebenswerk, besonders im Einsatz für die Einheit der Kirche, dankbar. Der Ehrenring der Görres-Gesellschaft ist dafür ein gutes und tiefes Symbol. Ich wünsche Walter Kardinal Kasper für die Zukunft Gottes reichen Segen an Leib und Seele sowie für seinen Auftrag in der Kirche und vor allem auch ein gutes Fortschreiten der im Erscheinen begriffenen Gesammelten Schriften.
(Hinweis: Die meisten Zitate stammen aus: Kardinal Walter Kasper/Daniel Deckers. Wo das Herz des Glaubens schlägt. Die Erfahrung eines Lebens, Freiburg i. Br. 2008.)
(c) Karl Kardinal Lehmann
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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