Manche Tendenzen sind nicht aus der Welt zu schaffen, auch wenn sie sich geschichtlich disqualifiziert haben. Es bleibt für einige Leute offensichtlich noch attraktiv, solchen Ideen anzuhängen. Zwar gibt es nicht so viele Leugner des Holocaust. Man darf auch dankbar sein, dass die pure Leugnung des Todes von Millionen jüdischer und anderer Mitbürger in den Gaskammern der Konzentrationslager in vielen Ländern strafrechtlich geahndet wird. Aber es bleibt doch auch erstaunlich, wie viel nationalsozialistischer Bodensatz noch existiert und immer wieder fröhliche Urständ feiert.
In der Zwischenzeit ist wohl auch deutlich geworden, dass historische Forschung allein, verfassungsrechtlich begründete Parteiverbote nicht oder wenigstens nicht allein die Wende schaffen in der Ächtung dieser Bewegungen. Darum ist es wichtig, sich nicht nur in Wissenschaft und Bildung gegen ein Wiederaufstehen dieses Gedankengutes zu wehren, sondern auch nach Vorbildern zu suchen und jene in Erinnerung zu bringen, die damals und heute mutige Gegner der nationalsozialistischen Ideologie waren und heute noch sind. Deshalb begrüße ich das Entstehen von Vereinen und Verbänden gegen den Rechtsextremismus und für eine starke Demokratie. Wenn der Verein „Rheinhessen gegen Rechts" eigens einen Preis aussetzt, dann ist dieses Vorgehen gewiss von einer besonderen Nachhaltigkeit. Denn Personen aus Geschichte und Gegenwart sind immer noch besser als Argumente für sich allein, so notwendig diese sind.
So sind wir an diesem Abend zusammengekommen, um in Pfr. i. R. Msgr. Klaus Mayer, Ehrenbürger der Stadt Mainz, einen Mann auszuzeichnen, der in ganz besonderer Weise diese schrecklichen zwölf Jahre wie durch ein Wunder überlebt hat - und um zugleich auch eine Schulklasse auszuzeichnen, die für ihr vorbildliches Verhalten den Jugendpreis des Vereins erhält. Ich freue mich über beides, das eng zusammengehört.
Ich möchte zunächst die Laudatio für Msgr. Klaus Mayer versuchen. Erst spät hat er zur Feder gegriffen und uns in einem kleinen Buch „Wie ich überlebte" (Würzburg 2007, Echter-Verlag) seine Erfahrungen vor allem der Jahre 1933 bis 1945 anvertraut. Viele Jahre hat er in Rheinhessen und Mainz gelebt und als Pfarrer gewirkt, ohne dass viele wussten, welches Schicksal ihn und seine Familie in diesen Jahren (1933-1945) getroffen hatte. Ich habe ihn selbst als einer unter vielen zu Beginn der 80er Jahre gebeten, uns diese Erinnerungen auch schriftlich zu übergeben.
Klaus Mayer ist am 24. Februar 1923 in Darmstadt als zweites Kind von Karl und Emmi Mayer geboren. Beide Eltern kamen aus Mainz. Der Vater entstammte einer alten jüdischen Familie, die schon seit 1670 in Mainz nachweisbar ist. Der Großvater war über 30 Jahre lang (1910 bis 1941) der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Mainz. 1912 wurde die Hauptsynagoge in der Hindenburgstraße eingeweiht. Der Vater Karl Jakob Mayer hatte den Betrieb des Großvaters, eine Silberwarenfabrik in Darmstadt, weitergeführt. Die Mutter, Emmi Mayer, geb. Meisinger, stammte aus einer katholischen Familie in Mainz, der Vater war Vergolder und hatte ein kleines Geschäft. Die Mutter - so Klaus Mayer - galt lange Zeit als das schönste Mädchen von Mainz. Sie hatte im ersten Weltkrieg als Krankenschwester im Mainzer Garnison-Lazarett gearbeitet und hatte zwei Kriegsauszeichnungen erhalten. Im Juni 1919, also nach Kriegsende, heirateten die Eltern.
Klaus Mayer besuchte ab 1929 eine Privatschule in Darmstadt. Er hat noch im Blick auf die Jahre 1923 bis 1932 eine behütete Kindheit in der guten Atmosphäre seines Elternhauses erlebt. Zur Familie gehörte noch sein älterer Bruder Bernhard (1921 geboren). Schon die schlimmen Ereignisse im Januar 1933 mit der Machtergreifung Hitlers haben plötzlich die Familie zerrissen: „Wenige Tage zuvor überstürzte Flucht meines Vaters ohne Abschied, ohne Wiederkehr! Persien, die Schweiz und Jahre auf den Kanarischen Inseln waren Stationen, die er passierte, bis er schließlich eine Bleibe in Buenos Aires, Argentinien, finden konnte. Kurz nach seiner Emigration war sein Betrieb arisiert worden. Meine Mutter stand mit ihren zwei Kindern allein und unversorgt da. Erst im Jahr 1950 habe ich meinen Vater wiedergesehen." (11)
Es folgten ziemlich schnell schlimme Jahre mit dem Boykott jüdischer Geschäfte, mit öffentlichen Bücherverbrennungen und mit der Ausschaltung der Juden aus öffentlichen Ämtern. „Schlagartig entstand ein feindliches Klima der Ausgrenzung uns gegenüber. Viele, die stolz gewesen waren, zu unserem Bekanntenkreis zu gehören, kannten uns nun nicht mehr und gingen uns aus dem Weg." (12) Der junge Klaus wurde in der Schule angepöbelt. Die Mutter hatte große finanzielle Sorgen, aber sie hat die Kinder nie mit ihrem Kummer belastet. Klaus Mayer erinnert sich an sie als „äußerst tapfere Frau" (12). Ihr widmet er auch das kleine Buch: „Meiner weisen, tapferen, selbstlosen Mutter in herzlicher Liebe und Dankbarkeit". Die Mutter sorgte sich auch angesichts des immer feindseliger werdenden Klimas um die Zukunft der Buben und nahm Kontakt auf mit dem Internat und dem Gymnasium der Benediktiner im bayerischen Ettal. Dort ist es erstaunlich gelungen, Kindern aus verfemten Familien, auch des Widerstands, eine Heimat zu geben. Bernhard und Klaus wurden in Ettal aufgenommen und konnten freilich um den Preis des Verlusts der Nähe zur Mutter „unbehelligt studieren". Klaus fühlte sich in Ettal schnell wohl.
Im Jahr 1935 begann eine neue Phase zunehmender Isolierung und Verfolgung der Juden. Die Juden waren keine Reichsbürger mehr, sondern „Staatsangehörige", d. h. letztlich Rechtlose. Die Olympischen Spiele des Jahres 1936 in Garmisch (Winter) und in Berlin (Sommer) täuschten die Welt über die wahre Situation. Gastfreundschaft, Verbrüderung und Völkerverständigung wurden vorgegaukelt. „Die Welt war zu Gast und erlebte perfekte Organisation. Vorbehalte gegen NS-Deutschland wurden abgebaut ... Man wollte die Welt täuschen und sie ließ sich täuschen. Denn gleichzeitig war die Aufrüstung in den Waffenschmieden in vollem Gang." (21). Ständig wurden die Juden und auch die Mischlinge in ihren Persönlichkeitsrechten eingeschränkt. Es gab immer mehr judenfeindliche Gesetze. Auch die Schule in Ettal kam unter Druck. Es erfolgte eine große Diffamierungskampagne gegen die Klöster.
Es kann hier nicht alles beschrieben oder gar zusammengefasst werden, was Klaus Mayer in diesen Jahren mit seiner Mutter und seinem Bruder, ja mit der ganzen Familie erlebt hat. Man spürt die ganzen Ausmaße der Gefährdung und der Schicksale der Familie, wenn Klaus Mayer am Ende seiner Erinnerungen schreibt: „Als einziger einer väterlicherseits großen jüdischen Mainzer Familie habe ich zusammen mit meiner Mutter und nur dank Gottes und ihrer Hilfe die Schreckensjahre 1933-1945 in Deutschland überlebt." (61) Umso unbegreiflicher und erstaunlicher ist für ihn, dass er überleben durfte. So versteht man in der Rückschau die beiden Worte: „Gottes Vorsehung ist Botschaft der Bibel, für mich zugleich vielfach erfahrene Lebenswirklichkeit." Und: „Wie sehr mein Glaube an Gott mich trägt, das habe ich in den schweren Stunden meines Lebens erfahren." (Rückschau am Ende des Buches) Dies wird noch unbegreiflicher, wenn man kurz vorher zusammenfassend lesen kann: „Etwa 15 Familienangehörige wurden ermordet oder nahmen sich das Leben. Diejenigen, die durch rechtzeitige Emigration überlebten, sind in zwölf Länder der Erde verstreut." (61)
Die Schikanen, Deportationen, Pogrome, Massaker, Massenerschießungen nahmen zu. Klaus Mayer wurde im Herbst 1941 in Ettal aus dem umbenannten Gymnasium „Deutsches Schulheim" entlassen, „da er nicht arisch ist". Die Angst wurde größer, durch die Gestapo abgeholt zu werden. Der systematische Massenmord der Juden in den Vernichtungslagern setzte ein. Mitten in dieser Bedrängnis konnte Klaus Mayer als Einzelner im Frühjahr 1942 das mündliche und schriftliche Abitur machen. Aber was sagte das aus für die Zukunft eines jungen Mannes? Er war wehrunwürdig, studieren durfte er nicht. Der Vater hatte zwar eine Einwanderungserlaubnis für Argentinien erwirkt, aber seit Oktober 1941 gab es ein absolutes Auswanderungsverbot für Juden. Auch das in Leipzig begonnene Sprachstudium musste er bald nach Beginn abbrechen.
Die Mutter ließ aber keine Gelegenheit aus, ihn fortzubilden und meldete ihn bei der Fremdsprachenschule Zander in Hamburg an. So war er in Hamburg gemeldet. In jenen Tagen wurden tausende hessische Juden, einschließlich auch der Mainzer Juden, nach Polen deportiert und dort ermordet.
Wieder musste Klaus Mayer rasch Hamburg verlassen. Um sein Leben zu retten war es notwendig, dass man in keiner Weise auffiel, z. B. durch ein Studium. Noch sicherer war es unterzutauchen. Die Mutter kannte eine Mainzer Familie und bat den Inhaber eines kriegswichtigen Betriebs, Gabriel A. Gerster, um Hilfe. Die Gersters nahmen Klaus Mayer in ihr Sägewerk auf, das sich auf der Ingelheimer Aue befand, also einer Insel im Rhein, wo in einem Sägewerk Baracken und Munitionskisten gefertigt wurden. „Die Gersters nahmen mich als Hilfsarbeiter im Magazin auf, sodass ich vom Arbeitsamt Mainz am 12. Juli 1943 dienstverpflichtet wurde." (48) Wie berechtigt die Sorge der Mutter war, zeigte sich darin, dass um diese Zeit jüdische Verwandte und Freunde einfach verschwanden und dass in Hamburg ein Widerstandskreis ausgehoben wurde, zu dem Klaus Mayer über Kaplan Dr. Walter Haake Kontakt hatte. Allmählich wurden auch wenigstens einige Nachrichten über die Zustände in den Konzentrationslagern bekannt. Wie Klaus Mayer konnten sich auch einige Verwandte durch Untertauchen retten: „Tante Liesl und Onkel Hans Gebhardt verstecken sich im holländischen Bilthoven im Möbellager einer Schreinerei. Bei Razzien lagen sie auf Matratzen im Versteck unter dem Fußboden." (53) Freilich, nicht immer gelang das Sichverstecken. So wurde Klaus Mayer im September 1944 für einige Tage an den Westwall geschickt, um Panzergräben auszuheben. In dieser Zeit wurde auch der Holzbetrieb der Familie Gerster von Brandbomben getroffen und brannte total ab.
Das Ende nahte, aber die Situation wurde immer bedrückender. Nun begann man auch mit der Deportation der sogenannten Mischlinge, also der Halbjuden, die vor allem nach Theresienstadt gebracht worden sind. Das Hören der Auslandssender gab etwas Hoffnung. Aber noch lag viel Unheil dazwischen. Hitler befahl am 19. März 1945, beim Rückzug alles zu vernichten und jegliches Leben auszulöschen. Am 30. April 1945 begingen Adolf Hitler und Eva Braun in Berlin Selbstmord. In der heißen Schlussphase erfolgte noch am 27. Februar der letzte und schwerste Luftangriff auf Mainz. Wir kennen die Bilder. 80 Prozent der Innenstadt wurden zerstört. Klaus Mayer und seine Mutter waren in verschiedenen Luftschutzkellern, trafen sich aber nach dem Angriff. Sie besaßen nichts mehr. Die Menschen strömten im Flammenmeer an den Rhein. Mutter Mayer und der Sohn Klaus gingen der brennenden Stadt entlang nach Bodenheim und wurden schließlich in Lörzweiler als Ausgebombte einquartiert. Später erfuhr Klaus Mayer, dass in denselben Tagen die Gestapo Mainz die Deportation jüdischer Mischlinge geplant hatte. Auf den vorbereiteten Listen fehlte der Name von Klaus Mayer. „Denn glücklicherweise war ich zu diesem Zeitpunkt nicht in Mainz, sondern in Hamburg gemeldet." (60) Ein Amtsarzt untersagte übrigens den Transport wegen der Seuchengefahr, die von den über 1200 Toten ausging.
Als Klaus Mayer noch zum Volkssturm als dem letzten Aufgebot gegen die Invasionsarmee der Amerikaner gerufen wurde, floh er im Schutz der Nacht zu einer bekannten Familie (Karl Georgen). „Während die Leute dachten, ich sei zurück nach Mainz, um wieder im Holzbetrieb zu arbeiten, hielt ich mich bei der Familie Georgen einige Tage versteckt. Wer von der SS oder der Wehrmacht, die beide noch immer vor Ort waren, aufgegriffen wurde, den erhängten sie am nächsten Baum. Bis zum letzten Augenblick wurde gemordet." (60f.)
Schließlich kam am 20. März 1945 der Tag der Befreiung. Klaus Mayer öffnete im Bauernhof in Lörzweiler die Hoftür, als die amerikanischen Panzer heranfuhren, grüßte die Panzerbesatzung und gab sich als „Halbjude" zu erkennen. „Ich war gerettet. Die Stunde der Befreiung war gekommen. - Nach zwölf Jahren der Entrechtung und Verfolgung war ich wieder ein Mensch wie die anderen." (61)
Klaus Mayer beschreibt in seinen Erinnerungen seine Beziehung zum katholischen Glauben. „Meine Mutter, eine tief gläubige Frau, wollte, dass wir ebenso wie sie selbst im Glauben Halt fänden. Da wir im jüdischen Glauben noch keinen Unterricht erhalten hatten, wandte sie sich an den katholischen Pfarrer von St. Ludwig in Darmstadt, Dekan Wilhelm Kastel. Er erteilte uns jüdischen Buben Konvertitenunterricht. Nach Abschluss der Vorbereitung empfingen mein Bruder Bernhard und ich am 5. April 1934 Taufe und Erstkommunion in der Kapelle der Englischen Fräulein. Wenige Tage später wurden wir, zusammen mit anderen, von Bischof Ludwig Maria Hugo gefirmt." (15) Die Erfahrung dieser zwölf Jahre, besonders aufgrund des Vorbildes der Mutter, führte Klaus Mayer zum Studium der Theologie und zum Beruf des katholischen Priesters. Nach dem Studium wurde er am 30. Juli 1950 in Mainz von Bischof Albert Stohr zum Priester geweiht. Die ersten Kaplansjahre führten ihn nach Bingen-Büdesheim, Seligenstadt und Oppenheim. Schließlich erhielt er seine erste Pfarrstelle Ende 1958 in Gau-Bickelheim/Rheinhessen, wo er bis zur Mitte 1965 weilte. Er nahm seine so verdienstvolle Mutter mit, die allerdings im Jahr 1962 verstarb. Dies war eine prägende Zeit für Gau-Bickelheim und auch für Klaus Mayer.
Einige Jahre darauf wurde er Pfarrer der ehemaligen Stiftskirche St. Stephan in Mainz. Die Aufgabe der Gemeinschaft von Weltpriestern in einem solchen Stift war vor allem die Feier der Liturgie in den Anliegen des Reiches. St. Stephan war Gebetsstätte des Reiches. Nach dem Tod des Erzbischofs wurde St. Stephan die Grabeskirche des hl. Willigis. Wir feiern in diesem Jahr die 1000. Wiederkehr seines Todestages am 23. Februar. Das Stift bestand bis zur Auflösung in der Säkularisation am 8. Juni 1803. Nach dem Dom ist St. Stephan, noch verstärkt durch seine Lage, der größte Kirchenbau in Mainz. Die Kirche hatte 1857 durch die Explosion des nahegelegenen Pulverturms und durch die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg (1944 und 1945) schwer gelitten. Nur die Außenmauern und Säulen waren noch vorhanden. Die knappen finanziellen Mittel ließen allerdings nur eine sehr begrenzte Wiederherstellung vor allem des gotischen Gewölbes des dreischiffigen Langhauses zu. Die Innenrestaurierung des Ostchores, des Sakramentshauses, der Steinplastiken, der Vierung und des Querhauses sowie des Kreuzganges und die durch die Firma Schott erfolgte Stiftung der Glocken sind nur einige wichtige Etappen, die ich hier nicht genauer beschreiben kann.
Als ich von 1968 bis 1971 in Mainz an der Universität lehrte und hier wohnte, hörten wir gelegentlich von möglichen Plänen des Pfarrers von St. Stephan, Marc Chagall, den Meister der Farbe und der biblischen Botschaft, zu bitten, im Ostchor der Stephanskirche mit von ihm gestalteten Kirchenfenstern ein Zeichen zu setzen. Viele beurteilten diese Pläne nicht nur als verwegen, sondern manche glaubten, es sei geradezu verrückt, an die Erfüllung dieser Wünsche zu denken. Schließlich war Chagall, ein russischer Jude, wie manche andere entschlossen und auch durch ein Gelübde gebunden, nicht mehr nach Deutschland zu kommen und die Verbindung abzubrechen. Klaus Mayer gab seine Vision nicht auf. Nach Jahren der Ungewissheit war es so weit. Der Künstler begann 1976 mit dem Entwurf für das Mittelfenster. Der 91-jährige Künstler überraschte den Pfarrer 1978 mit den Entwürfen der beiden flankierenden Fenster. Klaus Mayer fand immer wieder Sponsoren für die Aufträge. Ich brauche hier nicht die Fenster zu würdigen. Dies hat Pfr. Klaus Mayer nicht nur in den unzähligen Meditationen, sondern auch in vielen Veröffentlichungen, in denen er die Fenster deutet, überzeugend getan. Ich darf wenigstens auch kurz auf seinen „Kleinen Kunstführer zu St. Stephan" hinweisen, der in neu bearbeiteter zwölfter Auflage, erstmals farbig, mit reichen Abbildungen, im Jahr 2001 erschienen ist (vgl. auch die vier Meditations-Bildbände im Echter-Verlag, Würzburg, die auch in französischer und englischer Sprache vorliegen). Im 96. Lebensjahr hat Marc Chagall nochmals Ende 1982 überraschend die Entwürfe für die drei großen dreibahnigen Fenster im Querhaus vorgelegt. 1985 durfte die Kirchengemeinde die letzten Fenster von Marc Chagall in Empfang nehmen. Im selben Jahr verstarb Marc Chagall.
Die Fenster in St. Stephan haben durchaus eine enge Beziehung zum Leben von Msgr. Klaus Mayer. Hier trafen sich die Motive des Künstlers und des Pfarrers. Sie wollten ein Zeichen schaffen für deutsch-französische Freundschaft, für Völkerverständigung, den lebensnotwendigen Frieden. Die biblische Botschaft wollte der jüdische Künstler in einer christlichen Kirche in Deutschland gegenwärtig werden lassen. Damit sind es auch ganz besonders dichte Symbole für die jüdisch-christliche Verbundenheit und für die deutsch-jüdische Aussöhnung. Der Künstler zeigt den tiefsten Grund auf, warum Juden und Christen zusammengehören. Damit war auch der Lebensgrund von Pfr. Klaus Mayer deutlich gemacht. In den großen Fenstern ist überall dieser verbindende Grundton zwischen Israel und dem Christentum zu spüren. In ganz besonderer Weise ist es Pfr. Klaus Mayer gelungen, die Fenster in dieser Hinsicht zum Sprechen zu gewinnen.
Der Dienst in St. Stephan dauerte bis zum Jahre 1991, in dem Pfr. Mayer in den Ruhestand versetzt wurde. Er hat sich aber auch nachher unablässig um das rechte Verständnis der Bilder von Marc Chagall bemüht. Durch seine Begleitung und seine Meditationen hat er unendlich vielen Menschen von innen her die Fenster erschlossen und sie als Zeugnisse des gemeinsamen biblischen Glaubens zu verstehen gelehrt. Damit hat er zugleich der alten Stiftskirche St. Stephan, eine Gebetsstätte für den Frieden des Reiches, wieder eine erneuerte Bedeutung verliehen.
Pfr. Klaus Mayer wurde in den letzten Jahrzehnten im In- und Ausland vielfach ausgezeichnet. Er wurde im Jahr 2005 Ehrenbürger der Stadt Mainz. Ich bin ihm auch sehr dankbar, dass er für die katholische Kirche kontinuierlich und intensiv den Neubau der Synagoge begleitete. Schließlich war er durch seinen Großvater Bernhard Albert Mayer eng mit der Hauptsynagoge und dem jüdischen Glauben in Mainz verbunden. Deshalb freue ich mich ganz besonders, dass er heute von ganz anderer Seite in Mainz und Rheinhessen, wo er ein Leben lang wirkte, den Jakob-Steffan-Preis gegen Rechtsextremismus für eine starke Demokratie erhält. Ich gratuliere sehr herzlich und bedanke mich auch für das Bistum Mainz bei der Jury für diese gute Entscheidung.
Zugleich freue ich mich aber auch, dass Herr Polizeipräsident Karl-Heinz Weber den Jugendpreis verleihen wird. Es trifft sich ganz besonders, dass wir nicht nur Pfarrer Prälat Klaus Mayer für sein Leben danken und sein Lebenswerk ehren, sondern dass auch die jüngste Generation, hier die Klasse 9 V/10 der Ingelheimer Albert-Schweitzer-Schule den Jugendpreis für die Spurensuche „Jüdische Kinderschicksale aus unserer Region" erhält. Die Klasse hat bei einem Landeswettbewerb schulartübergreifend den ersten Platz belegt. Wir werden Näheres darüber hören. Herzlichen Glückwunsch! Auch an die Schüler, die Lehrerinnen und die Schule. Ich freue mich auch, dass ein Arbeitskreis des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend im Bistum Mainz sich nicht nur mit unseren Fragen beschäftigt, sondern mit dem Verein „Rheinhessen gegen Rechts" in enger Verbindung steht. Der Diözesanverband Mainz ist in den Bundesländern Hessen und Rheinland-Pfalz Mitglied im jeweiligen Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus. Ich danke Herrn Andreas Belz für seine Tätigkeit.
Klaus Mayer hat sein Erinnerungsbuch „wider das Vergessen" geschrieben. Er zitiert als Hintergrund am Ende des kleinen Buches eine tiefe Aussage der Auschwitz-Überlebenden, Erika Rothschild: „Wer seine Geschichte vergisst, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen. Wer seine Vergangenheit vergisst, ist unfähig, die Gegenwart zu verstehen und die Zukunft zu steuern." (letzte Seite „Rückschau").
Karl Kardinal Lehmann
Bischof von Mainz
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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