Laudatio des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann zur Verleihung des DJK-Ethik-Preises des Sports an Dr. Markus Merk

am 29. Juni 2007 in Mainz

Datum:
Freitag, 29. Juni 2007

am 29. Juni 2007 in Mainz

Ein Jahr ist es her, dass in Deutschland die Fußball-Weltmeisterschaft ausgetragen wurde. Vermutlich denkt auch unser heute zu ehrender Preisträger gerne an die fröhliche Stimmung, die sportliche Leistungsbereitschaft und an die freundliche Gastfreundschaft zurück, die im ganzen Land zu spüren waren. Es ist sicher – gerade hier in Mainz - kein Geheimnis, dass ich auch persönlich dem Fußball seit vielen Jahren verbunden bin, freilich zuerst und lange Zeit als Aktiver. Deshalb freue ich mich sehr, heute die Laudatio auf einen der bekanntesten und geachtetsten Männer des Fußballsports halten zu dürfen: auf Herrn Dr. Markus Merk, dem wir heute den DJK-Ethik-Preis des Sports 2007 verleihen.

Die Leistungen von Dr. Markus Merk als Spielleiter in mehr als 300 Bundesligaspielen und über 70 Europapokalspielen, in fast 50 Länderspielen, seine Einsätze bei Europameisterschaften, Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen, seine Ehrungen als Weltschiedsrichter 2004 und 2005 – all das verdient höchste Anerkennung und Bewunderung.

Diese sportlichen Verdienste allein waren allerdings nicht ausschlaggebend, um Dr. Merk mit dem DJK-Ethik-Preis des Sports zu ehren. Seit 1992 wird dieser Preis an Personen verliehen, die sich durch ihr besonderes persönliches Vorbild, durch betonte Förderung des sportlich fairen Verhaltens und durch herausragende Aussagen oder Arbeiten auf dem Gebiet einer christlich orientierten Sportethik auszeichnen. Herr Dr. Markus Merk, so hat das neunköpfige Kuratorium entschieden, verkörpert diese Werte in einem hohen Maße. Nicht zuletzt durch sein herausragendes soziales Engagement übt er eine wichtige Vorbildfunktion im Blick auf die Jugend aus. Diesen besonderen Einsatz wollen wir mit dem katholischen Sportpreis heute würdigen.

Warum – so mögen einige fragen - gibt es einen katholischen Sportpreis? Kirche und Sport haben – bei aller Verschiedenheit im Selbstverständnis – vielfältige Berührungspunkte. Beide setzen sich aktiv ein für den Zusammenhalt der Gesellschaft und für die persönliche Integrität der Menschen. Beiden geht es um die Entfaltung menschlicher Anlagen, es geht um die Befähigung des Menschen, sich selbst und anderen gegenüber verantwortlich zu handeln. Beide stehen aber auch vor einer Reihe drängender gesellschaftlicher Fragen. Sie wissen sich verbunden durch gemeinsame Anliegen, wie die Integration von Ausländern und Menschen mit Behinderung, die Verhinderung von Gewalt oder die Frage nach einer Ethik des Leistungsverhaltens. Kirche und Sport sind Partner im Dienst am Menschen. Dies zeigt sich auch institutionell: Regelmäßig sind Seelsorgerinnen und Seelsorger bei sportlichen Großereignissen präsent wie auch bei vielen Initiativen im Breitensport.

Der Sport kann uns viele Alltagstugenden lehren, denen wir sonst aus dem Weg gehen: Achtung vor dem Anderen, Fairness, Gerechtigkeit, Rücksichtnahme, Beherrschung, Verzicht, Zusammenarbeit, Teamgeist. Viele Menschen haben durch den Sport eine neue Lebensqualität und Möglichkeiten der Entfaltung menschlicher Freiheit und Solidarität gefunden. Sport und Spiel gehören zum Wesen des Menschen. Wir erfahren dadurch das Leben mit all seiner Vitalität als ein Geschenk Gottes. Weil der Mensch nicht nur Leib, Seele und Geist hat, sondern Leib, Seele und Geist ist, kommt auch der Sport nicht daran vorbei, den Menschen in seiner leibseelischen Ganzheit zu sehen und die Würde des Menschen als obersten Maßstab anzuerkennen. Wo dies nicht geschieht, kann der Sport auch seine soziale Funktion nicht erfüllen.

Am Amt des Schiedsrichters, das Dr. Markus Merk seit 1988 in der Bundesliga, seit 1992 im Weltfußballverband Fifa ausübt, lässt sich das Gesagte zumindest beispielhaft konkretisieren.

Ein Schiedsrichter ist eine unparteiische Person, die ein Spiel oder einen Wettkampf überwacht. Als „Unparteiischer“ auf dem Platz muss er vor allem eines sein: „gerecht“. Gerechtigkeit ist die Grundlage für alle Aktionen als Spielleiter. Schon die klassische Theologie und Philosophie betrachtet bei der Aufzählung der Kardinaltugenden (Klugheit, Gerechtigkeit, Maß, Tapferkeit) die Klugheit als eine überall notwendige Verhaltensweise, die Gerechtigkeit jedoch als Fundament für alle anderen Formen menschlichen Zusammenlebens. Bei Thomas von Aquin begegnet uns die Gerechtigkeit als Haltung, an der ständig gearbeitet werden muss. Ihre Intention ist es, „jedem das Seine“ zukommen zu lassen. Ein hoher Anspruch, auch und gerade auf dem Spielfeld. Ganz sicher unvereinbar mit einer solchen grundsätzlichen Gleichbehandlung der Akteure sind alle Formen rassistischer Äußerungen in den Fußballstadien und ihrem Umfeld, über die leider immer wieder zu berichten ist. In vielen Veröffentlichungen über Dr. Markus Merk wird hervorgehoben, wie sehr ihm die Gerechtigkeit am Herzen liegt – und zwar auf dem Fußballplatz ebenso wie im alltäglichen Leben.

Wie jeder Mensch ist allerdings auch ein Schiedsrichter nicht vor Fehlern gefeit. Fehler sind Handlungen, die nicht beabsichtigt, nicht mit böser Absicht vollzogen werden, aber eben dennoch falsch sind. Sie zeigen die Grenzen menschlicher Wahrnehmung und Urteilsfähigkeit in einem kurzen Augenblick auf. Sie konfrontieren uns damit auch mit der eigenen Endlichkeit. Sicher wird man die allermeisten Fehlentscheidungen von Schiedsrichtern so einordnen können. Gerade weil sie recht selten sind, sind manche von ihnen gar Geschichte geworden. Dies gilt z.B. für den legendären Torpfiff des Schweizer Schiedsrichters Gottfried Dienst beim WM-Endspiel England-Deutschland in Wembley 1966.

Wichtig bleibt, sich der eigenen Fehlbarkeit und Endlichkeit bewusst zu sein, sie zu akzeptieren. Nur dann kann man aus Fehlern lernen. Sicher ist dies nicht immer leicht. Es ist auch ein fortwährender, niemals abgeschlossener Prozess. Über seine Entscheidung, Krassimir Balakow im Spiel des VfB Stuttgart gegen Bayern München im Frühjahr 1997 die Rote Karte zu geben, sagte Dr. Markus Merk später: „Die Geschichte mit Krassimir Balakow hat mir eines gezeigt: Du musst dich immer wieder selbst überprüfen. Auch wenn du ganz oben bist oder glaubst, ganz oben zu sein. Es zeigt mir, du bist nie ganz oben. Das ist das Schönste, du wirst immer wieder davon eingeholt. (…) In der Situation mit Balakow war vor allem ich schuld. Es findet ein Lernprozess statt, es muss einer stattfinden. Es findet ein Reifeprozess über Jahre bis hin zur Persönlichkeit statt. Balakow war ein Lehrbeispiel dafür, wie wichtig es ist, dass man den Weg zur Kommunikation immer wieder gehen muss, ohne sich anzubiedern. Man muss einen Weg finden, an dessen Ende steht: Nutzen stiften, davon profitieren alle Seiten. Kommunikation ist besser als Konfrontation.“ (O. Trust, M. Merk, Bewegend – Merk & More, Bombus-Verlag/München 2005, 81)

Fehler so verarbeiten zu lernen, dass sie die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit fördern – diese Einsicht und Haltung von Dr. Merk ist zweifellos vorbildlich – ganz besonders in einer Zeit, wo das Eingeständnis eigener Fehler eher als Ausdruck der Schwäche denn als Tugend ausgelegt wird.

Diese kurzen Gedanken über ethische Aspekte im Wirken des Schiedsrichters machen deutlich, wie sehr hier Werte im Spiel sind – Gerechtigkeit, Gleichheit und Gleichbehandlung, Fehlbarkeit und Endlichkeit. Werte, die sowohl in der Kirche als auch im Sport zu den Grundüberzeugungen und Grundhaltungen gehören. Natürlich gibt es auch große Unterschiede zwischen Kirche und Sport. So bleibt der Sport – selbst der Fußball – die letzte Antwort auf die Fragen des Lebens schuldig. Es gibt keinen „Fußballgott“ und Sport kann keine „Ersatzreligion“ sein – wenngleich er für viele Menschen zu so etwas geworden ist. Aber gerade angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen und Umbrüche, die verbunden sind mit einem breiten Verlust an Werten und einer wachsenden Orientierungslosigkeit, kann der Beitrag, den der Sport leistet, nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Überzeugungen und Werte müssen gelebt, ja vorgelebt werden. Es braucht Gesichter, die für sie einstehen bzw. mit ihnen in Verbindung gebracht werden. Es braucht Menschen, denen es gelingt, sportliche Leistungen mit einer ethischen Einstellung zu verbinden und den Bezug zu anderen Lebensbereichen aufrecht zu erhalten. Menschen, die in ihrem Reden und Tun Werte authentisch verkörpern. Ein solches Vorbild ist Dr. Markus Merk, und zwar nicht nur im internationalen Sport. Das, woran er glaubt und wofür er steht, lebt er auch jenseits des Fußballfeldes. So wäre die Würdigung seiner Persönlichkeit unvollständig, wenn nicht sein außerordentliches soziales Engagement zur Sprache käme.

Als junger Assistenzarzt reiste Dr. Markus Merk nach Südindien, um dort die zahnärztliche Versorgung von 2.500 Kindern in 35 Kinderheimen zu übernehmen. Dem ersten Arbeitseinsatz vor Ort folgten weitere. Das Leid der Kinder ließ ihn nicht mehr los. Mit Unterstützung seiner Frau baute er ein eigenes Projekt in Indien auf und gründete dafür 1996 die „Indienhilfe Kaiserslautern“. Mittlerweile umfasst die Initiative drei Schulen, acht kleine Waisenhäuser, ein Altenheim, ein landwirtschaftliches Ausbildungsprogramm sowie weitere Projekte.

Wie auf dem Fußballplatz, so ist auch sein Einsatz als Entwicklungshelfer vom Grundsatz der Gerechtigkeit bestimmt. Direktpatenschaften zu Kindern oder Familien in Indien lehnt er ab. Dadurch soll verhindert werden, dass vermögende Direktpaten ihren Kindern ständig Geld und Geschenke schicken, während andere leer ausgehen. Neid und Missgunst untereinander sollen vermieden werden.

Das soziale Engagement von Dr. Merk ist nicht bei der Indienhilfe stehen geblieben. Bei der Fußball-Europameisterschaft 2004 unterstützte er als Botschafter die gemeinsame Kampagne des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz und des Europäischen Fußballverbandes zum Schutz von Kindern im Krieg: „Spiel nach den Regeln“ („Play by the rules“) hieß das Motto der Kampagne zum Schutz von Kindern im Krieg. Und bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 engagierte er sich für das Projekt des Weltfußballverbandes „6 Dörfer für 2006“, durch das der Bau von sechs neuen SOS-Kinderdörfern in sechs verschiedenen Ländern ermöglicht werden sollte.

Eine Laudatio gibt aus verständlichen Gründen niemals ein vollständiges Porträt des zu Ehrenden. Zwei Bereiche seien jedoch bei aller notwendigen Kürze noch genannt, da sie aufs engste zum Menschen Markus Merk gehören. Sie sind es, die ihm, wie er selbst immer wieder sagt, innere Stärke und Orientierung vermitteln, Halt geben und Richtung weisen und damit all das ermöglichen, was sein Leben auszeichnet: seine Familie und sein christlicher Glaube.

Die Familie, das sind vor allem seine Frau Birgit und sein Sohn Benedikt. Wer so häufig unterwegs ist wie Dr. Markus Merk, braucht umso mehr die Erfahrung von Heimat und Geborgenheit, wenn er sich nicht irgendwann verlieren will. Die Familie ist für ihn eine wichtige Wurzel, eine unersetzliche Kraft- und Energiequelle. Dass sein Anspruch an die Familie hoch ist, ist Dr. Merk durchaus bewusst. Wenn er über seine Familie spricht, klingt sehr viel Dankbarkeit, Anerkennung und Wärme mit. Immer wieder betont Dr. Markus Merk ausdrücklich die positive Bedeutung seines Umfeldes: die eigene Familie, die Eltern und Geschwister und der Freundeskreis. Er weiß sich von diesem Netz sozialer Beziehungen getragen, von Menschen, die ihn so akzeptieren, wie er ist. In einer Zeit, die von Mobilität und Flexibilität geprägt ist, in der Verbindlichkeit nicht zu den allgemeinen Tugenden gehört, sind solche Grunderfahrungen alles andere als selbstverständlich, wenn auch bleibend unverzichtbar für ein gelingendes Leben. So ehren wir zwar heute den zweifachen Weltschiedsrichter Dr. Markus Merk. Aber mitgeehrt ist seine Familie, ohne die es einen Markus Merk, wie wir ihn kennen, wohl nicht gäbe. Dabei stehen Sie, verehrte Frau Merk, an erster Stelle.

Zu den wichtigen und wertvollen Grunderfahrungen, die sein Leben prägen, gehört auch der christliche Glaube, zu dem sich Dr. Markus Merk immer wieder ausdrücklich und offen bekennt: „Glaube spielt in meinem Leben eine große Rolle. Das ist für mich die Basis des Lebens, die Basis meines Handelns und die fundamentale Quelle, die mir Kraft und Energie gibt, viele Dinge machen zu können. Glaube war bei uns zu Hause etwas Ungezwungenes, etwas, was zum täglichen Leben gehörte.(…) Die Bibel war und ist für mich ein interessantes, spannendes Buch mit Geschichten, die einen Hintergrund haben, schöne Geschichten, die man vorlesen kann, die man für sich selbst lesen kann.“ (O. Trust, M. Merk, Bewegend – Merk & More, Bombus-Verlag/München 2005, S. 146).

Als er einmal gefragt wurde, welche Stelle in der Bibel er besonders mag, antwortete Dr. Merk mit dem Gleichnis vom Sämann. In diesem Gleichnis erzählt Jesus von einem Mann, der aufs Feld ging, um seinen Samen auszusäen: „Als er säte, fiel ein Teil der Körner auf den Weg; sie wurden zertreten und die Vögel des Himmels fraßen sie. Ein anderer Teil fiel auf Felsen, und als die Saat aufging, verdorrte sie, weil es ihr an Feuchtigkeit fehlte. Wieder ein anderer Teil fiel mitten in die Dornen und die Dornen wuchsen zusammen mit der Saat hoch und erstickten sie. Ein anderer Teil schließlich fiel auf guten Boden, ging auf und brachte hundertfach Frucht“ (Lk 8,4ff). Mit diesem Sämann identifiziere er sich: Wie der Sämann habe er ein Ziel und will Erfolg haben. Trotz der Erfahrung der Erfolglosigkeit gibt er nicht auf und hält unbeirrt an der eingeschlagenen Zielrichtung fest. Auch wenn es viel Kraft brauche, um verschiedene Dinge zu vermitteln, „man macht es und ist erfüllt“, so unser Preisträger.

Sehr, verehrter Herr Dr. Merk,

Sie bemühen sich engagiert um den Erhalt von Werten in unserer Gesellschaft, praktizieren geradezu vorbildlich soziales Engagement für die Armen in dieser Welt und geben bei all dem ein authentisches Zeugnis als Christ, als Zeugnis des Lebens und als Zeugnis des Wortes. Für all dies sage ich Ihnen auch persönlich ein herzliches Vergelt’s Gott und freue mich Ihnen diese verdiente Auszeichnung übergeben zu dürfen.

Ich wünsche Ihnen, verehrter Herr Dr. Merk und Ihrer Familie Gottes Segen und die Erfahrung seiner Nähe in Ihrem Leben und Wirken.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz