I. Neustrukturierung als weltkirchliche Aufgabe
II. Kooperative Pastoral als Grundkonzept im Bistum Mainz
III. Der heutige Kontext der neuen Frage nach pastoralen Einheiten
IV. Katholiken anderer Muttersprache
V. Die Bedeutung erweiterter Lebensräume und ihre Grenzen
VI. Neue Grundmodelle: Pfarrgruppe und Pfarreienverbund
VII. Eigene Elemente in der Erörterung unserer Pfarrstrukturen
VIII. Nutzen und Last der kirchlichen Gebäude
IX. Chance und Mut zur Erneuerung
X. Die nächsten Schritte in einem Netz umfassender Prioritäten
I.Neustrukturierung als weltkirchliche Aufgabe
Es ist erstaunlich, wie zur Zeit in vielen Ländern Europas eine Diskussion und Neuordnung der pastoralen Strukturen erfolgt. Manchmal scheint es wie eine Art von Mode zu sein. Aber bei näherem Zusehen erfüllen wir dabei Aufgaben von einer größeren Tiefe und auch von einer weittragenden Bedeutung. So ist es auch nicht überraschend, aber doch auch weitgehend übersehen worden, dass auch auf weltkirchlicher Ebene Aufforderungen bestehen, unsere bisherigen pastoralen Strukturen zu überprüfen. Dabei geht es nicht um eine Schmälerung der Bedeutung der Pfarrei. Papst Paul VI. hat in einer Ansprache an den römischen Klerus schon vor mehr als 40 Jahren (24. Juni 1963) mit aller Deutlichkeit gesagt: „Wir sind einfach davon überzeugt, dass diese altüberkommene und geschätzte Struktur der Pfarrei eine unverzichtbare und höchst aktuelle Sendung hat; ihr kommt es zu, die erste Gemeinschaft des christlichen Volkes zu bilden; sie versammelt das Volk und führt es in die liturgische Feier ein; sie beschützt und belebt den Glauben in den Menschen unserer Zeit; sie bietet ihnen den Unterricht über die heilbringende Lehre Christi; sie verwirklicht in der Haltung und in der Tat die demütige Liebe in den guten und brüderlichen Werken.“ Dabei erfolgt immer wieder ein Hinweis, dass „die Pfarrei nicht in erster Linie aus einer Struktur, aus einem Gebiet oder aus einem Gebäude (besteht), viel mehr ist sie ‚die Familie Gottes, als von einem Geist durchdrungene Gemeinde von Brüdern (und Schwestern)’, sie ist ‚das Haus der Pfarrfamilie, brüderlich und gastfreundlich’, die ‚Gemeinschaft der Gläubigen’. Letztlich gründet die Pfarrei in einer theologischen Gegebenheit, weil sie eucharistische Gemeinschaft ist.“
Vor diesem Hintergrund mag es herausfordernd wirken, dass die Pfarrgemeinde in erster Linie aus der Gemeinschaft der Glaubenden besteht. Damit werden freilich territoriale und andere Gesichtspunkte nicht ungebührlich ins Abseits gedrängt. Die Bischofssynode hat angesichts der Situation vieler Pfarreien „auf ihre Erneuerung gedrängt“, und zwar mit folgenden Worten: „Damit alle diese Pfarreien lebendige christliche Gemeinden werden, müssen die jeweiligen örtlichen Autoritäten dafür Sorge tragen, dass: a) die Pfarrstrukturen den Situationen mit der großen Flexibilität, die das Kirchenrecht vor allem durch die Förderung der Teilhabe der Laien an der pastoralen Verantwort gewährt, angepasst werden; b) die kleinen Basisgemeinschaften, auch lebendige Gemeinden genannt, in denen die Gläubigen einander das Wort Gottes verkündigen und im Dienst und in der Liebe tätig werden können, wachsen. Diese Gemeinden sind in Gemeinschaft mit ihren Hirten wahre Konkretisierungen der kirchlichen Communio und Zentren der Evangelisierung.“
Ein Teil dieser Gedanken erscheint im Übrigen bereits im kirchlichen Gesetzbuch von 1983, wo es in can. 374 CIC lapidar heißt: „§ 1. Jede Diözese oder andere Teilkirche ist in verschiedene Teile, d.h. Pfarreien, aufzugliedern. § 2. Um die Hirtensorge durch gemeinsames Handeln zu fördern, können mehrere benachbarte Pfarreien zu besonderen Zusammenschlüssen, z.B. zu Dekanaten, verbunden werden.“ Das kirchliche Gesetzbuch klärt an anderer Stelle konkretere Modelle (vgl. can. 517 § 1 und § 2 CIC). Wohl im Anschluss an diese Bestimmung heißt es in „Christifideles Laici“ : „Im Dienst der Erneuerung der Pfarreien und um die Wirksamkeit ihrer Initiativen besser zu sichern, sollen auch institutionalisierte Formen der Mitarbeit zwischen den verschiedenen Pfarreien eines Dekanates gefördert werden.“
Es ist überraschend, wie deutlich schon seit fast zwei Jahrzehnten diese Forderungen für die Weltkirche aufgestellt worden sind, so dass es keine Überraschung mehr ist, wenn in großer Streuweite erneuerte pastorale Strukturen eingeführt werden. Viele Diözesen haben diese Aufforderungen auf universalkirchlicher Ebene aufgegriffen und sie in Synodenbeschlüssen schrittweise verwirklicht. Wir haben zum Teil andere Formen der Realisierung gewählt. Im Bistum Mainz haben wir von 1994 in intensiver Arbeit bis 1996 eine Konsultation „Damit Gemeinde lebt...“ unter großer Beteiligung vieler Gemeinden durchgeführt und die Ergebnisse in den „Zentralen Leitlinien zur künftigen pastoralen Planung in den Pfarrgemeinden“ verbindlich verabschiedet.
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II.Kooperative Pastoral als Grundkonzept im Bistum Mainz
Ich habe schon öfter an dieses nach und nach eingelöste Erbe erinnert, das Leitsätze, Anordnungen, Aufträge und Empfehlungen enthält. Dabei wird schon zu Beginn als Anordnung festgestellt: „Kooperative Pastoral gilt als verpflichtendes Grundkonzept der Seelsorge im Bistum Mainz.“ (3.1) Vor diesem Hintergrund, der zugleich Ausgangspunkt und Ziel beschreibt, werden die einzelnen Elemente einer solchen kooperativen Pastoral formuliert. Dabei heißt es: „Jede Pfarrgemeinde soll stets den Lebensraum, zu dem die Menschen gehören, im Blick haben und bei den Planungen und Überlegungen seelsorglicher Aktivitäten berücksichtigen.“ (6.1) Dabei sollten die Pfarrverbände eine zentrale Rolle spielen. So heißt es im Sinne einer Anordnung: „Die Pfarrverbände haben im Konzept der kooperativen Pastoral im Bistum Mainz eine unersetzbare Funktion und Bedeutung und werden deshalb grundsätzlich als Strukturprinzip bekräftigt.“ (7.1) Dabei ist jedoch trotz dieser grundsätzlichen Entscheidung auch festgestellt worden: „Mängel sind jedoch nicht zu übersehen... im Übrigen müssen die Pfarrverbände auch nach ihrer Bildung von Zeit zu Zeit im Blick auf die gewandelten Lebensverhältnisse und damit auf ihre Tauglichkeit hin überprüft werden.“ (7) Dafür werden konkrete Anordnungen und Aufträge formuliert (vgl. 7.1 - 7.4). Es ist dabei deutlich geworden, dass der Pfarrverband zwar grundsätzlich als Strukturprinzip festgehalten worden ist, dass aber seine Anwendung sehr viel flexibler erfolgen muss: „Die Form und Gestalt der einzelnen Pfarrverbände wird künftig verschieden sein, um mehr der einzelnen Situation zu entsprechen. Im Einzelfall kann z.B. ein Stadtbezirk ein Pfarrverband sein, gelegentlich vielleicht sogar ein kleines Dekanat... Die Offenheit und Flexibilität der zu erneuernden Pfarrverbände darf freilich nicht mit Willkür und Beliebigkeit verwechselt werden.“ (7)
Wir haben viele Anordnungen und Aufträge der Leitsätze verwirklicht, z.B. hinsichtlich des Ehrenamtes. Im Blick auf die Erneuerung der Pfarrverbände haben wir uns etwas mehr Zeit gelassen. Wir konnten so auch Nutzen ziehen aus den eigenen Erfahrungen und den Erfahrungen anderer Diözesen. Dabei kamen wir im Verlauf der weiteren Vorbereitung zur Einsicht, vorläufig auf den Begriff „Pfarrverbände“ zu verzichten. Die notwendige Neuorientierung wäre vielleicht zu sehr an dieses Wort gebunden gewesen, das bei manchem auch eine gewisse Abwehrhaltung erzeugt. Darum mag es, mindestens vorläufig, günstiger sein, von „pastoralen Einheiten“ zu sprechen, ein Begriff, der sich international wohl schon ziemlich durchgesetzt hat. „Seelsorge-Einheiten“ – so in vielen Diözesen – ist ja die wörtliche Übersetzung.
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III.Der heutige Kontext der neuen Frage nach pastoralen Einheiten
Auch wenn die Gründe für die Bildung von solchen pastoralen Einheiten schon öfter dargelegt worden sind, so sollen die wichtigsten Gründe nochmals kurz in Erinnerung gebracht werden. Wenn man die Frage dieser neuen Seelsorgeeinheiten genauer angeht, dann muss man einige Änderungen und einige Strukturverschiebungen beachten, die sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten ergeben haben, und die vielleicht bis jetzt noch nicht genügend den Horizont abgegeben haben und abgeben, in dem wir unsere Aufgabe neu anpacken müssen. Das sind zum Teil auch etwas überraschende Punkte: Einmal hat sich die Zahl der Katholiken in unserem Bistum stark verändert. Es gibt in jedem Dekanat einen Bevölkerungszuwachs, aber die Katholikenzahl sinkt in jedem Dekanat. Die Zahl der Katholiken ist von 852.000 im Jahr 1987 auf 797.000 im Jahr 2003 gesunken; also in den 16 Jahren um ziemlich genau 55.000. Das ist eigentlich angesichts der Tatsache, dass das Rhein-Main-Gebiet ja immer noch ein sehr mobiles und auch sehr attraktives Gebiet ist, überraschend und bedarf auch noch einmal genauerer Nachforschungen, warum es zu dieser Entwicklung gekommen ist. Mitbeteiligt sind daran sicher auch statistische Methoden und Änderungen in der Erfassung, aber das kann nicht die eigentliche Differenz ausmachen.
Dann muss man sehen, dass sich die pastoralen Berufe in ihrer Zusammensetzung verschoben haben. Seit 1989 ist die Zahl der Priester von 615 auf 363 im Jahr 2002 gesunken. Das ist fast eine Halbierung in diesem Zeitraum. Gleichzeitig ist die Zahl der Diakone, der PastoralreferentInnen und der GemeindereferentInnen von 373 auf 442 gestiegen. Das heißt, wenn wir einmal die Ständigen Diakone, die ja Geistliche sind, auf die Seite der neuen pastoralen Berufe zählen dürfen, die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den neuen pastoralen hauptamtlichen Berufen die Zahl der Priester schon beträchtlich übersteigt, jedenfalls die Zahl der aktiven Priester. Wenn man alle Priester nimmt, die irgendwie noch im Einsatz sind, dann kommt man ziemlich genau auf je die Hälfte. Bei der Zahl der Priester, die in der Seelsorge mitarbeiten, und der Zahl der neuen pastoralen Berufe sind wir im Schnitt unseres Landes eher an der Spitze, weil wir sehr früh begonnen haben, die neuen pastoralen Berufe zu fördern. Das bringt natürlich auch neue Probleme der Kooperation. Hier gibt es auch Grenzen, nicht nur finanzieller Art, sondern eben auch der Einsatzmöglichkeit, jedenfalls wenn man sich an die verbindlichen Berufsbilder hält.
Man kann hier auch den Gottesdienstbesuch nicht ausklammern. Die Zahl der Gottesdienstbesucher ist von 18% im Jahr 1987 auf 12,8% im Jahr 2002, im Jahr 2003 wohl sogar auf 10,4% zurückgegangen. Das ist eine sehr beträchtliche Verminderung. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Eucharistiefeiern erheblich angestiegen. Häufig sind dann natürlich auch schlecht besuchte Gottesdienste mit relativ kleinen feiernden Gemeinden die Folge. Dies ruft dann auch manche Enttäuschung hervor. Wir müssen uns fragen, ob diese Entwicklung gut ist. Ich habe einmal ein Interview darüber gegeben, das dann zu der verkürzten Überschrift geführt hat: „Weniger Messen“. Darum geht es natürlich letzten Endes nicht. Aber es ist eine Frage gar nicht zuerst und allein wegen des Priestermangels, sondern aus diesen grundsätzlichen Überlegungen heraus, ob die Zahl der Eucharistiefeiern, ob die gewachsene Zahl dieser religiösen „Dienstleistungen“, so unbegrenzt weiter wachsen kann, ob die Entwicklung gut ist, ob man hier nicht andere Akzente setzen kann. Es ist ein weites und wichtiges Thema. Daran kann man bei den Planungsfragen nicht einfach vorbeigehen. Es muss ja nicht so sein wie in den orthodoxen Kirchen. Dort ist es so, dass in jeder orthodoxen Kirche an Sonn- und Feiertagen in der Regel ein Gottesdienst stattfindet und nicht mehr. Wer diesen Gottesdienst besuchen kann, besucht ihn, wer ihn aus guten Gründen nicht besuchen kann, weil z.B. kleine Kinder zu versorgen sind, weil Kranke und Alte zu betreuen sind, der ist entschuldigt. Das könnten wir sicher nicht so übernehmen; das wäre in unserer Gesellschaft auch nicht empfehlenswert. Das Bewusstsein dafür, dass die anderen gleichsam stellvertretend auch für die verhinderten Schwestern und Brüder den Gottesdienst besuchen, ist dort sehr kräftig entwickelt. Wie gesagt, dies ist kein Modell für uns, aber es kann uns etwas nachdenklich machen, ob die Tendenz mit den vielen Gottesdiensten, die ja gar nicht so alt ist, gut ist. Wir haben leider zu wenig Statistiken, die weit genug zurückreichen. Dies muss man jedenfalls noch einmal neu bedenken.
Gleichzeitig wird der Bedarf deutlich, neu auf Menschen zuzugehen, sie in ihren heutigen Fragen ernst zu nehmen, die Botschaft Gottes in ihre Lebensspuren hineinzubuchstabieren. Dazu braucht es neue Energie, nicht zuletzt den notwendigen missionarischen Aufbruch. Diese Energie muss unter Umständen auch anderswo eingespart werden. Anders geht das nicht. Insofern gibt es Verlagerungen und Verschiebungen, die man nicht einfach nur als faktische Entwicklungen hinnehmen muss, sondern die man sorgfältig reflektieren muss, ob man sie will, oder ob man sie unter Umständen auch etwas anders steuert.
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IV. Katholiken einer anderen Muttersprache
Es hat sich auch die Situation von Gemeinden anderer Muttersprachen anders entwickelt als zunächst gedacht. Die in Deutschland geborenen Kinder katholischer Eltern, christlicher Eltern, sprechen deutsch und sind, gerade auch wenn wir auf Italiener, Spanier, Portugiesen und zu einem guten Teil auch Kroaten schauen, integriert. Die so genannten „Gastarbeiter“ der ersten Stunde tun sich allerdings zum Teil immer noch sehr schwer und suchen die Gemeinschaft der Landsleute; deswegen sind die Gemeinden anderer Muttersprachen unbedingt notwendig. Es ist keine Frage, dass die Menschen dort eine besondere Beheimatung erfahren, eine Verwurzelung, wobei auch Sprache und Kultur bis in die Folklore hinein zusammengehören. Gerade in Situationen, wie etwa bei der Balkankrise, zeigt sich, dass eine Gemeinde wie die kroatische Gemeinde ihren Landsleuten gegenüber Trost, Hilfe und Stütze sein kann, wie sie es nicht einfach in einer gewöhnlichen Gemeinde bei uns erfahren könnten. Da braucht es auf jeden Fall diese Ergänzung. Aber für diese Diskrepanz, die natürlich auch sehr starke Spannungen erzeugt in den Familien der Katholiken anderer Muttersprache, müssen wir eine neue Antwort finden, dass nämlich auf der einen Seite die Kinder und die Jugendlichen in einem hohen Maße integriert sind, aber gerade auch die Eltern sich da sehr viel schwerer tun. So entsteht dadurch oft auch in den Familien und in den Gemeinden ein Riss.
Dieses Thema wird uns auch noch von einer anderen Seite stärker aufgezwungen: Weil uns nämlich die Herkunftsländer immer weniger Priester schicken. Wir haben heute schon erhebliche Schwierigkeiten, von Spanien und von Italien, wenn ein Priester ausfällt, Mitbrüder zu gewinnen. Ich habe große Bewunderung für Mitbrüder, die über viele Jahrzehnte ihr Heimatland verlassen und oft sich auch gar nicht so leicht tun mit den Landsleuten. Fast alle unsere Priester sind Norditaliener, fast alle Katholiken anderer Muttersprachen sind Süditaliener usw. Wer weiß, was das bedeutet, kann verstehen, dass das nicht so selbstverständlich ist, dass sich so viele immer wieder zur Verfügung stellen. Sie machen in der Regel eine wirklich hervorragende Arbeit, jedenfalls gilt das für die allermeisten. In diesem Zusammenhang darf man freilich nicht vergessen, dass die Zahl der Katholiken einer anderen Muttersprache bei uns relativ hoch ist, nämlich ca. 12%.
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V.Die Bedeutung erweiterter Lebensräume und ihre Grenzen
Schließlich müssen wir auch die Entwicklung kommunaler Neuordnungen stärker einbeziehen. Man kann jetzt besser abschätzen, was das bedeutet und was nicht. Die Strukturen sind auch bei anfänglichen Widerständen nicht zuletzt durch die jüngeren Generationen weitgehend akzeptiert und haben auch für die Zusammengehörigkeit der Menschen Bedeutung erlangt. Es zeigt sich, dass es Aufgaben gibt in diesem Zusammenhang, die in unserem Lebensgefühl weitgehend in einem größeren Verbund vollzogen werden. Wir leben in weiteren Räumen, als uns oft bewusst ist. Wir haben hier eine ganz schwierige Situation in kirchlicher Hinsicht, die wir sehr sorgfältig analysieren müssen: Auf der einen Seite können wir nicht davon absehen, dass diese Lebensräume größer, weiter, umfassender geworden sind. Schule, Rathaus und vieles andere ist nicht mehr unmittelbar am Ort. Aber die Menschen suchen gerade auch vor Ort immer noch eine Zuflucht, vor allem auch in der Eigenständigkeit und im Fortbestehen ihrer kirchlichen Gemeinde. Da, wo man sich unter Umständen längst daran gewöhnt hat, dass man in diesen erweiterten Lebensräumen wohnt und lebt, will man aber Kirche leibhaftig vor Ort behalten. Und dies ergibt oft eine große Spannung. Damit muss man sehr klug und differenziert umgehen.
Aber wir können nicht davon dispensieren, dass es Aufgaben gibt, die besser in einem größeren Verbund zu lösen sind, dass es aber auch Aufgaben gibt, die am Ort geklärt und erfüllt werden müssen. Das zeigt natürlich, dass jede größere Einheit in jedem Fall eine lebendige Substruktur und Vielfalt braucht. Dies kann nicht einfach eine Uniformität sein. Wir haben in unserem Raum sicher auch noch einmal zu bedenken, dass es viele andere Faktoren der pastoralen Zuordnung gibt. Das ist z.B. die geografische Lage: Auf der Landkarte sieht man nicht ohne weiteres, dass zwischen zwei Dörfern ein großer Berg ist, der die Gemeinden mehr oder weniger trennt, auch wenn es nur wenige Kilometer sind. Wenn Sie dort einen Pfarrverband planen, dann planen Sie ins Abstrakte hinein. Man muss auch wissen, welche Gemeinde mit der anderen gute Beziehungen pflegt, und wo es Konflikte gibt. Da gibt es ja jahrhundertealte Freundschaften und Antipathien, die man auch aus vernünftigen pastoralen Gründen zwar nicht akzeptieren, aber zumindest kennen muss, um darauf entsprechend zu reagieren. Dann zeigt sich immer mehr, wie der Ort der Schulen, der Ort des Einkaufs, die Arbeitsplätze, das gesellschaftliche Leben, die Größe eines Gesamtgebildes, kommunale Grenzen, Straßenverbindungen usw. wichtig sind für die pastorale Lebensraumentwicklung. Ich staune immer wieder, wenn man größere Firmen besucht, wie die Bevölkerungsströme zur Arbeit hin ungeheuer wichtig sind; denken Sie an die BASF oder an Hoechst, aber auch an den Frankfurter Flughafen und Boehringer in Ingelheim, Merck in Darmstadt oder Veith-Pirelli im Odenwald.
An einigen Stellen ist das, was hier an Reflexion notwendig ist, exakter versucht worden. Dies gilt vor allem für die Pastoral der Mainzer Innenstadt. Hier ist ein eigener Lebensraum, der auch eine eigene pastorale Antwort braucht. Es ist hier nicht notwendig, einzelne Maßnahmen und Strukturen zu erklären. Was wir also „Pfarrverbandsreform“ nennen, ist in Wirklichkeit ein sehr differenziertes Gebilde. Da haben wir gewiss früher sehr viel stärker mit einer monolithischen Struktur gerechnet, also einer ziemlichen Einförmigkeit in der Struktur. Jetzt sehen wir die Kontextabhängigkeit und die Bedingtheiten, die ich gerade genannt habe. Es wird also auf keinen Fall ein Einheitsmodell geben. Es gibt zweifellos verschiedene Typen, die natürlich auch nach Stadt und Land, und dort wieder zwischen größeren und kleineren Städten zu unterscheiden und einfach sehr verschieden sind. Wir wollen uns aber vor Zufälligkeiten und Beliebigkeiten möglichst hüten.
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VI.Neue Grundmodelle: Pfarrgruppe und Pfarreienverbund
Bei den Überlegungen, welche Gestalten die neuen pastoralen Einheiten gewinnen könnten, spielen vor allem zwei Typen eine eigene Rolle. Man könnte sagen, dass es eine integrative Struktur gibt, in der bisher selbstständige Gemeinden sich zusammenschließen, und zwar unter Leitung eines Pfarrers. Eine andere Form ist die kooperative Gemeinschaft, in der die einzelnen Pfarreien auf eine totale Selbstständigkeit in allen Belangen verzichten und alles gemeinsam planen und tun, was sie rationeller und effektiver gemeinsam leisten können. Es ist eine mehr lockere Form.
Den einen Typ haben wir einmal „Pfarrgruppe“ genannt, d.h.: Unter Leitung eines Pfarrers arbeiten mehrere hauptberufliche Seelsorger mit Ehrenamtlichen in mehreren Pfarreien. Jeder bekommt einen eigenen Schwerpunktauftrag, bleibt aber in der Mitverantwortung für die ganze Pfarrgruppe. In Schritten sollen sich die Pfarreien dann stärker aufeinander zu bewegen und in einem überschaubaren Zeitraum einen gemeinsamen Pfarrgemeinderat bilden. Dabei kann es durchaus für eine Zeit lang noch verschiedene Ortspfarrgemeinderäte geben und vielleicht auch noch differenzierte Strukturen. Am Anfang treffen sich bis zu einer Neuwahl die Vorstände der Pfarrgemeinderäte mit den hauptberuflichen pastoralen Mitarbeitern. Besondere Themen sind Zusammenarbeit im katechetischen Bereich, bei der Taufe, Erstkommunion, Firm- und Ehepastoral, die inhaltliche und zeitliche Abstimmung der Gottesdienste und die Erarbeitung einer Vertretungsordnung. Ziel muss es dabei sein, dass im Urlaubs- und Krankheitsfall gegenseitige Hilfe aus der Nachbarschaft möglich ist, soweit das eben geht; außerdem ist etwa an gemeinsame Veranstaltungen, wie Ferienzeiten der Kinder und Jugendlichen, gedacht. Angestrebt wird auf Dauer auch ein zentrales Pfarrbüro. In allen einzelnen Pfarreien soll es Ansprechpartner geben. Die Zahl der Pfarrzentren muss überprüft werden. Normalerweise reichen ein bis zwei Pfarrzentren, evtl. müssen vor Ort Ansprechstellen selbstständig eingerichtet werden.
In bestimmten Situationen werden Pfarreien noch einige Jahre einen eigenen Pfarrer haben. Die zukünftigen Zuordnungen werden schon in Schritten so eingeführt, wie soeben beschrieben worden ist. Davon verschieden ist der Pfarreienverbund: In anderen Situationen sind die heutigen Pfarreien so groß, dass eine Pfarrgruppe aus heutiger Sicht nicht denkbar erscheint. Dennoch sollen auch diese Pfarreien sich stärker aufeinander zu bewegen und z.B. ihre Gottesdienstformen, Gottesdienstzeiten, Veranstaltungen, Wallfahrten, Jugendfreizeiten usw. auf-einander abstimmen. In diesem Zusammenhang muss natürlich auch von der Integration der Gemeinden anderer Muttersprache die Rede sein. Ich denke hier etwa an einzelne Gottesdienstelemente in der Muttersprache; andere sind mehr additiv mit einer deutschen Pfarrei zusammenzuführen im Sinne einer gemeinsamen Nutzung von Pfarrzentren.
Wir sind uns schon lange klar, auch schon in den früheren Phasen im Konsultationsprozess „Damit Gemeinde lebt“, dass wir eine viel stärkere Verknüpfung der territorialen und der kategorialen personalen Seelsorge brauchen. Das bedeutet eben, dass wir sehr viel Personal haben, besonders in der kategorialen Seelsorge - ob das jetzt Religionslehrer, Krankenhauspfarrer oder Gefängnisseelsorger sind oder wer auch immer. Jedenfalls sind sie nicht primär an eine Pfarrei gebunden. Die Zusammenarbeit dieser verschiedenen Gruppierungen lässt immer noch zu wünschen übrig. Da haben wir viele Reibungsflächen oder unter Umständen sogar ein Fehlen, ein Ausbleiben von Kommunikation und von konkreter Kooperation. Dies alles, so denke ich, muss man noch sehr viel stärker ins Auge fassen.
Im Grunde gilt dies natürlich auch für die Gestaltung der Gottesdienstangebote. Wir sind ja in den letzten Jahrzehnten viel zu sehr fixiert auf die Eucharistiefeier allein. Die Liturgie ist und bleibt gewiss „Quelle“ und „Höhepunkt“ des christlichen Lebens und Betens; die Eucharistie hat eine herausragende Stellung, wie das Zweite Vatikanische Konzil klar gesagt hat in der Liturgiekonstitution (vgl. SC 10, bes. auch SC 47ff.), die wir vor gut 40 Jahren verabschiedet haben. Aber es bleibt eben auch zu fragen, ob es nicht eine Verarmung an Gottesdienstformen gegeben hat in dieser Zeit. Andere Gottesdienstformen kann man sehr viel besser auf den Adressaten hin ausrichten. Man ist sehr viel freier und beweglicher in der Gestaltung. Freilich ist dies auch anstrengender. Aber wir können bei einer stärkeren Förderung nicht-eucharistischer Gottesdienstformen verschiedenen Personenkreisen, einzelnen Adressaten sehr viel gerechter werden, auch in missionarischer Hinsicht. Wir können vor allen Dingen auch die pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr viel wirkungsvoller einsetzen. Eine Laienpredigt ist in dieser Gottesdienstform überhaupt kein Problem, während eine solche innerhalb der Eucharistiefeier nach geltender Rechtslage zu Konflikten führt. In diesem Sinne können die Wort-Gottes-Feiern eine echte Hilfe sein, freilich unter Beachtung der Ausführungsbestimmungen.
Sie sehen, dass damit auf Dauer auch die Rätestrukturen tangiert sind, natürlich auch die Struktur der Verwaltung, der Pfarrsekretariate usw. Wir haben hier selbstverständlich auch zu berücksichtigen, dass die Gemeinden eine gewisse Nähe brauchen zu geistlichen Zentren. Wir haben dies im Bistum auf gute Weise erreicht, dass die Klöster sehr wichtig für Einkehrtage von Pfarrgemeinderäten, aber auch für die Einkehr einzelner Mitarbeiter und Mitarbeitergruppen sind – ob das jetzt die Abtei in Engelthal ist, die Missionsbenediktiner auf dem Jakobsberg, die Dominikaner in Worms, oder was immer es – vielleicht auch außerhalb des Bistums – in einigermaßen erreichbarer Nähe für ein Geistliches Zentrum ist. Das hat sich alles sehr segensreich entwickelt.
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VII. Eigene Elemente in der Erörterung unserer Pfarrstrukturen
Ein kleiner Seitenblick auf die genannten Fragen und ihre Bewältigung in anderen Ländern scheint hilfreich. Die Franzosen haben in einer atemberaubenden Rasanz auf Diözesansynoden in vielen Diözesen die Zahl der Pfarreien drastisch reduziert, zum Teil auf die Hälfte, zum Teil sogar noch mehr. Das ist bei uns in dieser Form undenkbar. Dies hängt damit zusammen, dass die französischen Gemeinden, besonders auf dem Land, sehr viel kleiner sind als bei uns, dass sie sehr viel weniger Strukturen haben, sehr viel weniger Mitarbeiter. Der Priestermangel ist dort unvergleichlich größer, sodass vieles verwaist ist. Auf diesem Hintergrund hat man sehr radikale Konsequenzen gezogen. Man muss auch klar sehen, dass viele Pfarreien de facto nicht mehr existieren. Insofern ging dies leichter und ohne den Aufschrei, den die Auflösung auch nur einer einzigen Pfarrei bei uns oft bedeutet. Ob dies auf Dauer eine Hilfe ist oder ob es auch die Preisgabe von ländlichem Territorium bedeutet, muss sich noch zeigen. Jedenfalls sage ich dies, weil wir sicher nicht mit solchen Mitteln arbeiten können, uns aber auch nicht die Frage ersparen können, ob da oder dort Pfarreistrukturen entstanden sind, die der Revision bedürfen.
Die Pfarrstruktur ist bei uns im Bistum demgegenüber sehr verschieden. Wir haben stabile ältere Pfarrstrukturen, auch in kleineren Gemeinden, besonders in Rheinhessen. Dadurch, dass die Heimatvertriebenen ziemlich intensiv in Oberhessen aber auch im Odenwald zuzogen, gibt es dort Pfarreien, von denen wir als „Pfarreien“ sprechen, die aber im kirchenrechtlichen Sinn keine eigenständigen Pfarreien sind. Es sind dort eigentlich Pfarrrektorate, Kuratien, Filialen und dergleichen. Da ist vom Rechtlichen her gesehen eine Reduzierung der Gemeinden längst nicht so schwierig, allerdings schon in erheblichem Ausmaß – und dies ist wichtiger – vom Psychologischen her. Sonst ist es sehr schwierig, eine Pfarrei aufzuheben, wenn sie erst einmal als „Pfarrei“ errichtet ist. Wir haben jedenfalls im Bistum schon ein etwas leichtmaschigeres Netz an Pfarrstrukturen in zum Teil extremen Diasporagebieten, in denen man sich auch aus anderen Gründen fragen kann, ob man da und dort nicht auch zu einer gewissen Reduzierung kommen könnte. Unsere Nachbardiözesen, wenigstens die größeren, haben es schwerer, denn sie haben oft 1000 Pfarreien.
Das Ganze hängt gewiss auch mit finanziellen Überlegungen zusammen. Wir müssen damit rechnen, dass wir in den nächsten Jahren Mindereinnahmen verzeichnen werden. Das sind parallele und ähnliche Entwicklungen, wie sie staatlicherseits auch gegeben sind. Das beläuft sich im Schnitt zur Zeit auf etwa 15%, und dies wird sich auch so schnell nicht ändern. Dies wird so sein, ganz unabhängig von der Steuerreform, deren Konsequenzen wir im Letzten noch nicht überblicken können. Es wirken sich natürlich auch langsam Strukturen aus, die man bisher vielleicht eher nur punktuell betrachtet hat. Wir haben längst nicht mehr die hohe Zahl von Kirchenaustritten. Vor Jahren waren wir einmal an der Grenze zu 8000 Katholiken, die pro Jahr ausgetreten sind. Jetzt hat sich das so etwa zwischen 4000 und 5000 eingependelt. Aber das ist pro Jahr eine große Gemeinde. Da soll man sich nichts vormachen. Über eine Reihe von Jahren ergibt das dann doch einen erheblichen Schwund. Damit dürfen wir uns nicht einfach abfinden. Außerdem steigt die Zahl der nichtgetauften Kinder und Jugendlichen. Wenn Sie in manche Städte hineinblicken, in denen die Mobilität groß ist, ist erstaunlich, wie hoch die Zahl der Nichtchristen ist. Das sind nicht nur Ausländer mit muslimischem Glauben, sondern es sind in der Tat sehr viele Deutsche, die nicht getauft sind. Schauen sie etwa einmal nach Ingelheim und solche Städte, die eine große Mobilität haben, wie stark das dort zu spüren ist.
Dies hat natürlich schon eine Konzentration der Aufgaben als Denknotwendigkeit, aber auch als ganz reale Not zur Folge. Wir sollten freilich nicht immer nur die Schwierigkeiten beklagen, sondern wir sollten auch einmal sehen, dass sich da und dort auch die Chance ergibt, dass man unsere Aktivitäten auch im Sinne der Schwerpunkte und der Prioritäten etwas stärker profilieren und konzentrieren kann. Es kann ja durchaus auch heilsam sein, wenn man die eine oder andere Tätigkeit überprüft. Wenn man also in diese Schwierigkeiten gekommen ist, sollte man sie nicht einfach nur von der finanziellen Seite her und negativ sehen, sondern durchaus auch als einen Ansporn verstehen, das ganze pastorale Konzept zu überdenken.
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VIII.Nutzen und Last der kirchlichen Gebäude
Was wir im McKinsey-Prozess vielleicht am stärksten in dieser Hinsicht lernen mussten, ist die Frage der Belastung durch unsere Immobilien. Wir haben gesehen, dass wir ja ohnehin schon in den letzten Jahren einen großen Stau von Sanierungen vor uns herschieben, dass wir aber durch die Mindereinnahmen immer mehr gezwungen sind, den Bauetat einzuschränken und damit auch die Sanierungen. Wir sehen aber, dass aus verschiedenen Entwicklungen die Zahl der reformbedürftigen Immobilien steigt. Die Betonbauten, die vor 40 Jahren gebaut worden sind, haben einen hohen Sanierungsbedarf, sodass sich bei nicht wenigen Objekten die Frage stellt, ob man diese enormen Sanierungskosten überhaupt im Interesse des Ganzen wagen kann, oder ob man nicht besser daran tut, zur Miete überzugehen, Neubauten zu erstellen, ja, manchmal sogar auch eine Einrichtung aufzugeben. Dies bereitet uns ziemlich viel Kopfzerbrechen. Ich bin aber froh, dass wir durch den McKinsey-Prozess auf das Gewicht dieser Frage sehr stark gestoßen worden sind. Es war uns natürlich schon bewusst dadurch, dass wir viele Sanierungen immer wieder verschieben mussten. Aber jetzt müssen bei den Mindereinnahmen zweifellos etwas radikalere Wege gegangen werden. Aus den anderen Diözesen hören wir, dass man eben auch daran gehen muss, die eine oder andere Kirche unter Umständen zu schließen. Sei es, dass sie anderen Zwecken nutzbar gemacht wird, wir sprechen hier von „Umnutzung“, sei es, dass es manchmal auch besser ist, sie wird abgerissen. Auch den Gemeinden sind diese Fragen nicht erspart. Wir helfen beratend.
Wir haben in der Bischofskonferenz ein Konzept für diese Umnutzung von Kirchen beschlossen. Ich war überrascht, dass z.B. auch in der Erzdiözese Köln, wo ja - verglichen mit unserem Bistum - die Zahl der Gemeinden auf einer verhältnismäßig kleinen Fläche liegt, in den letzten Jahren 12-14 Kirchen umgenutzt worden sind. Bei uns kam das bis jetzt so gut wie nicht vor; es ist auch für die Menschen ein sehr schwieriges, psychologisches Problem. Wenn Menschen - gerade auch z.B. Heimatvertriebene - zu uns gekommen sind und mit eigener Hände Arbeit ihre eigene Kirche aufgebaut haben, neuangefangen haben unter diesen Voraussetzungen, dann bedeutet dies auch heute noch eine tiefe Bindung: Da sind die Kinder getauft worden, da haben Menschen geheiratet usw. Hier ist natürlich nicht nur der emotionale Wert, sondern auch der mit der konkreten Lebens- und Glaubensgeschichte verbundene Rang einer solchen Kirche sehr hoch. Hier darf man diesen Problemen nur mit höchster Feinfühligkeit nachgehen.
Wir werden in der nächsten Zeit dieser Aufgabe sehr viel Aufmerksamkeit schenken müssen. Wir spüren natürlich auch, dass da und dort durchaus ein Interesse besteht, das eine oder andere Gebäude, das wir entbehren können, zu übernehmen. Aber den Interessierten - und dazu zählen auch Städte und Gemeinden - fehlt letztlich selbst das Geld, sodass sich hier große Verzögerungen ergeben. Die Entscheidungen, die dann anstehen, ziehen sich sehr in die Länge. So ist das gewiss auch ziemlich unbefriedigend.
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IX.Chance und Mut zur Erneuerung
Erlauben Sie mir noch eine kurze Bemerkung: Ich glaube, man nimmt solche Entwicklungen oft notgedrungen hin, man stöhnt, man reagiert sehr pragmatisch, man reagiert da und dort auch mal bitter, da und dort mal gleichgültig. Es gibt auch vieles, was dann zur Resignation führt. Ich denke, wir sollten die Probleme struktureller und finanzieller Reformen von den anfangs genannten grundlegenden Prioritäten her sehen. Dann haben wir auch sehr viel eher die Chance, dass wir bestimmten einzelnen Maßnahmen wirklich auch etwas Positives abgewinnen können. Nicht, um uns in einer falschen Weise Pseudotrost zu geben, sondern um wirklich konstruktiv, mit Elan und auch mit einem gewissen Schwung des Glaubens nach vorne zu gehen.
Wir sind in einer ausgesprochenen Übergangssituation, aber dies dürfte eigentlich für die Kirche nichts Neues sein. Dennoch haben wir uns in vielem, wie in unserer Gesellschaft überhaupt, eben doch etwas allzu sesshaft gemacht, vielfach zu sehr eingenistet und vielleicht zu wenig bedacht, dass die Kirche nicht nur immer eine feste Bastion oder Burg ist, sondern dass die Kirche eben auch pilgernde Kirche ist, dass sie immer wieder auch einzelne Hütten abbrechen muss und dann immer wieder unterwegs ist und sich neue Aufenthalte suchen muss. Sie darf sich nicht allzu sicher sein, mit dem, was sie hat. Sie muss eher darauf blicken, was sie ist, und was sie sein soll. In diesem Sinn bin ich auch sehr dankbar, dass wir diese Fragen - Gott sei Dank - nicht allein in der Bistumsleitung, im Bischöflichen Ordinariat, behandeln müssen, sondern dass wir mit der sehr geschätzten, dankbar angenommenen Mitarbeit von so vielen Räten, auch Pfarrgemeinderäten und Verwaltungsräten auf der Ortsebene, rechnen dürfen, aber auch auf der Bistumsebene: Wenn ich von der Dekanekonferenz und dem Priesterrat, dem Pastoralrat, Katholikenrat, Ordensrat bis zum Kirchensteuerrat denke, dann können wir wirklich froh sein, dass wir gemeinsam überlegen, gemeinsam auch zu Entscheidungen kommen. Dies gilt für jetzt, aber auch im Blick auf die Zukunft.
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X.Die nächsten Schritte in einem Netz umfassender Prioritäten
Dies muss alles bis in das Detail beraten werden. Wir haben auch einige weitere Zahlen, die zum Nachdenken anregen. Wir werden im Jahr 2014 vermutlich 220 Priester in der Pastoral haben. Wir rechnen in den nächsten Jahren mit etwa 180 Seelsorgestellen, die jeweils ca. 4000-4500 Gläubige umfassen.
Aber am Ende sind mir einige Hinweise wichtiger, die für den Horizont des Ganzen bedeutsam sind. Wir wollen einen relativ engen Zeitrahmen für die Bildung der pastoralen Einheiten vorsehen. Wenn alles sehr gut geht, könnten wir dann das endgültige Konzept gegen Ende 2005 oder anfangs 2006 verabschieden. Dies mag etwas erschrecken. Aber wir dürfen auch nicht übersehen, dass wir die Gesamtaufgabe schon seit vielen Jahren kennen. Wir hatten den Konsultationsprozess „Damit Gemeinde lebt...“ von 1994-1996. Es gab bereits im Jahr 1988 und im Jahr 1990 jeweils einen Tag der Pfarrverbände. Wir haben in allen Räten immer wieder über die Notwendigkeit der Weiterarbeit an diesen Fragen gesprochen. Ich habe 1995 ein Hirtenwort zur Österlichen Bußzeit zu diesem Thema veröffentlicht. Die wichtigsten Aufsätze sind in dem schon genannten kleinen Buch „Die Zukunft der Seelsorge in den Gemeinden“ gesammelt (Mainz 1995). Die Zentralen Leitlinien sind seit 1996 veröffentlicht. Es kommt jetzt wirklich darauf an, dass wir zügig die konkreten Entscheidungen treffen. Immer wieder geht es um die Stärkung der lebendigen Mitte.
Dies müssen wir auch noch aus einem anderen Grund tun. Wir müssen von den eher formalen Strukturfragen wieder stärker zu den Inhalten der Verkündigung kommen. Wir haben in der jetzigen Situation dafür auch eine besondere Chance. Die Menschen sind angesichts vieler Unsicherheiten sensibler für die Frage, aus welchen Kräften sich unser Leben speist. Darum ist diese pastorale Planung eng verbunden mit einer neuen missionarischen Ausrichtung unserer Seelsorge. Das Bonifatius-Gedenkjahr, 1250 Jahre nach seinem Tod, hat uns dafür einige Anstöße gegeben (vgl. mein Hirtenwort „Missionarisches Zeugnis“ zur Österlichen Bußzeit 2004). Die Bischofskonferenz hat seit dem Jahr 2000, besonders seit dem Dokument „Zeit zur Aussaat“ und mit einer Reihe von Folgetexten , diesen missionarischen Aufbruch vorbereitet. Nun haben wir in einem umfangreichen Text vom Herbst 2004 „Allen Völkern Sein Heil. Die Mission der Weltkirche“ ein vertiefendes Grundsatzdokument erhalten.
Die Richtung ist damit eindeutig vorgezeichnet. Diese Ziel ist ein ganz entscheidendes Element für die künftige pastorale Planung. Wir wollen in einem grundsätzlichen Aufbruch die Sendung der Kirche über sich hinaus lebendiger gestalten. Wir wollen Menschen, die in Distanz zur Kirche gegangen sind, zu der sie gehören, und manche, die ihr den Rücken gekehrt haben, neu ansprechen. Es gehört zum Christsein und damit erst Recht zu einer Gemeinde, dass sie sich mit der entstandenen Situation nicht abfindet, sondern über sich hinausgeht, um möglichst viele zu gewinnen bzw. wieder zu gewinnen.
Ein solcher Aufbruch gelingt ja nicht einfach durch die Schaffung neuer Strukturen. Auch der missionarische Aufbruch darf nicht für sich allein betrachtet werden. Darum habe ich in den letzten Jahren immer auch grundlegende inhaltliche Prioritäten genannt. Ohne dies im Einzelnen nun zu entfalten, darf ich die Schwerpunkte der Aktivitäten nochmals nennen: 1. Die Frage nach Gott als Grund aller Bemühungen, 2. Ungeteilter Lebensschutz, 3. Ehe und Familie, 4. Generationenpakt. Mit der Vertiefung dieser Schwerpunkte muss auch eine Neuausrichtung unserer Pastoral für die nächsten ein bis zwei Jahrzehnte erfolgen. Dies bedeutet selbstverständlich keinen Bruch mit dem, was die Kirche immer getan hat und auch heute tut. Aber im Rahmen der neuen Seelsorgestrukturen und eines wirklichen missionarischen Aufbruchs müssen wir auch die Grundvollzüge des christlichen und kirchlichen Lebens vertiefen und erneuern.
Dies werden wir nicht nur in einem ersten Anlauf bewältigen. Es gibt dabei mittelfristige und auch längerfristige Ziele. Manches ist noch kaum angesprochen, wie z.B. auch die Konsequenzen für den Dienst und die Lebensform der Priester , die Erfordernisse im Blick auf die Schulen und die Bildungsarbeit, das Gewicht der Jugendarbeit und der Schulpastoral, die enge Zusammenarbeit mit der verbandlichen Caritas, aber auch die Caritas als Aufgabe des Einzelnen und als Grundvollzug der Gemeinde. Auch fehlt noch eine ausreichende Reflexion über Ort und Funktion der Orden und der geistlichen Gemeinschaften in diesem Netzwerk.
Es kommt auf den Anfang an. Dafür ist der heutige Tag (29.11.2004) für die Priester und Diakone zu Beginn eines neuen Kirchenjahres ein guter Start. Ich danke Ihnen für ihren vielfältigen Einsatz und bitte alle an den verschiedenen Orten, wo Sie wirken, und in den verschiedenen Lebensaltern um einen wirklichen Aufbruch zum Heil und Wohl der Menschen.
(c) Karl Kardinal Lehmann
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz