Licht in der Finsternis

Predigt im Pontifikalamt am 1. Weihnachtsfeiertag, 25. Dezember 2008, im Hohen Dom zu Mainz

Datum:
Donnerstag, 25. Dezember 2008

Predigt im Pontifikalamt am 1. Weihnachtsfeiertag, 25. Dezember 2008, im Hohen Dom zu Mainz

Predigttext: Joh 1,1-18

Verehrte, liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

Weihnachten ist ein Fest des Jubels und der Freude. Wir werden durch die drei Gottesdienste, die die Kirche seit langer Zeit (5. Jahrhundert) vom Heiligen Abend bis heute am Morgen feiert, auf einen Weg mitgenommen, der uns die Augen öffnet für die Hintergründigkeit der Weihnachtsgeschichte. Da ist am Heiligen Abend bzw. in der Heiligen Nacht die Erzählung von der Geburt Jesu, von den Hirten auf dem freien Feld und dem Engel des Herrn. Am Morgen steht die nähere Bedeutung dessen, was geschehen ist, im Vordergrund. Die Hirten und Maria beginnen zu verstehen, was sich ereignet hat. Am Tag aber kommt im dritten Gottesdienst die ganze Helle und Weite des erschienenen Lichtes zur Sprache. Wir verstehen endlich viel besser, was geschehen ist. Entsprechend sind auch die jeweiligen Texte ausgewählt. Man muss also immer wieder diesen ganzen Weg abschreiten und ihn im Herzen mitgehen, um Weihnachten wirklich zu verstehen. Vergessen wir nicht, was einer unserer großen Dichter sagte: „Wär Christus tausendmal in Bethlehem geboren, geboren und nicht in dir, du wärest auf ewiglich verloren." (Angelus Silesius)

Wir haben soeben das Evangelium dieses Gottesdienstes gehört. Es ist der so genannte Prolog des Johannesevangeliums, also ein Vorspruch mit einer Deutung des Ganzen und einem Hinblick auf das ganze Evangelium. Gott spricht sein ewiges Wesen aus in dem Wort („Logos"), wie uns besonders in der Schöpfungserzählung offenbar wird (vgl. Gen 1,3 u.ö.), das Licht in der Welt ist von Gottes Licht. Die Welt ist geschaffen worden durch dieses Wort. Und das Wort ist Fleisch geworden. Gott ist uns ganz nahe gekommen. Und er wird nie mehr aufhören, uns zu sagen und mitzuteilen, dass er da ist und die Menschen liebt.

Wir dürfen dies aber nicht einfach in eine falsche Weihnachtsstimmung hinein verharmlosen. Weihnachten wäre missverstanden, wenn man es nur von einer kuscheligen Atmosphäre her auffasst. Weil wir dies aber oft tun, lassen wir in den weihnachtlichen Texten  und in der Botschaft dieses Tages oft das, was zu diesen Stimmungen quer und in Spannung steht, eher beiseite. Wir wollen dabei selbstverständlich gerade den Frieden und die Freude von Weihnachten in ihrer ganzen Tiefe aufzeigen, nicht die gute Stimmung verderben.

Zu diesen etwas verkannten Worten gehören einige wichtige Verse im erwähnten Johannesprolog. Da geht es freilich nicht mehr nur um das traute Kommen des armen Jesuskindes in unsere Welt, was ohne Zweifel in einer Welt voller Armut und Bedrängnis unaufgebbar wichtig bleibt. Es ist hier und jetzt von der ganzen Welt die Rede. Es ist der von Gott geschaffene Raum unseres Lebens, wobei Johannes meist an die Menschenwelt denkt (vgl. 1 Joh 2,13 f.). Gott hat die Welt geschaffen und geliebt. Jesus, der aus dem Herzen des Vaters kommt (vgl. 1,18) und darum sein einziger Sohn ist, ist der Herr der Welt. Deswegen sagt der Text, dass das „Wort" (Logos) Gott war. „Im Anfang war es bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen." (1,2-4) So nahe sind die Schlüsselworte unseres menschlichen Daseins zusammen: Wort, Licht und Leben, Gott und das Wort, der Vater und der Sohn. Dies ist mit ein Grund zur Freude von Weihnachten, dass der Herr der Welt, der Herr des Lichtes und des Lebens, das Wort zu uns kommt und immer leuchtet. Von nun an wird dieses Licht auch in den schwierigsten Stunden des Menschen nicht einfach untergehen und erlöschen.

Gerade an dieser Stelle kommt aber - und dies wird meist übergangen - ein schriller Ton in dieses wohl geformte Gedicht, wahrscheinlich ist es sogar ein Lied. Es heißt: „Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst ... Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf." (1,5.9-11) Da tut sich etwas Unbegreifliches auf, geradezu ein dramatisches Geschehen. Es ist ganz und gar unverständlich, dass die Menschen die Finsternis mehr lieben als das Licht (vgl. Joh 3,19). Die Bibel gibt eine Erklärung für diesen seltsamen Sachverhalt: „Denn ihre Taten waren böse" (Joh 3,19) oder auch: „Denn seine (des Menschen) Werke waren böse" (1 Joh 3,12; vgl. Gal 5, Röm 7). Wir kennen dies aus unserem eigenen Leben: Wer etwas Schlechtes tut oder getan hat, scheut das Licht, das es an den Tag bringen könnte. Lieber verstricken wir uns oft in Lügen und betrügen uns selbst, als dass man sich der Wahrheit stellt. Nur wer diese Scheu überwindet, wird frei, um im Licht des Lebens froh zu sein. Johannes begreift dabei diese Abkehr vom Licht nicht als ein einmaliges, fernes, zurückliegendes Ereignis, vielmehr wiederholt sich die Weigerung, in den Wirkungskreis des Lichtes einzutreten, ständig, und dies bis zum heutigen Tag (vgl. dazu ausführlicher Joh 3,19-21).

So verstehen wir auch warum der Evangelist Johannes das Wort „Welt", das ja ursprünglich gleichbedeutend ist mit der geschaffenen Welt Gottes, an vielen Stellen ziemlich negativ gebraucht. So heißt es z.B.: „In der Welt habt ihr Drangsal". Jesus sagt zu Pilatus: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt." (18,36). Kurz und bündig heißt es im ersten Johannesbrief: „Die ganze Welt ist in der Gewalt des Bösen." (5,19) Die Welt im Sinne des Johannesevangeliums und der johanneischen Schriften hat also etwas Zwiespältiges, Zwielichtiges an sich, gleichsam ein doppeltes Gesicht. Sie ist als Gottes geliebte Schöpfung gut, aber zugleich ist sie schlecht als Herrschaftsbereich des Bösen. Dabei geht es nicht um Weltflucht. Wir sind in der Welt, dürfen aber nicht von der Welt sein. Johannes beschreibt sehr genau, was er mit diesem Doppelgesicht meint (vgl. 1 Joh 2,15-17). Es sind Worte, die uns vielleicht zunächst fremd erscheinen. Aber wir verstehen sie doch gerade heute wieder schnell. So ist mit dem „Begehren des Fleisches" (Gal 5,16) die menschliche Neigung gemeint, ungehemmt alles für sich in Besitz zu nehmen, jede Art von Gier: Gier nach Sex, Habgier und Machtgier, ebenso wie Eigensucht und alle Arten von Genusssucht. Dabei kommen diese Begierden und Wünsche nicht immer nur aus dem Inneren des Menschen, sondern diese werden auch von außen geweckt, wie man leicht an den Einflüsterungen in den Medien und in der Werbung sieht.

All dies benennt Johannes auch mit dem Wort Finsternis. Sie steht in natürlichem Gegensatz zum Licht (vgl. Gen 1,2 f.). Die Menschheitsgeschichte kennt das Widerspiel von Finsternis und Licht. Alle Religionen und Lebensanschauungen wissen darum. Licht hat für den Menschen etwas Beruhigendes, Beglückendes, ja Faszinierendes. Finsternis dagegen hat eine Nähe zum Unheimlichen, zu Orientierungslosigkeit, ist etwas Beängstigendes und gerät darum auch in die Nähe der Unwissenheit. Wir werden hinters Licht geführt und fürchten finstere Machenschaften. Licht und Leben gehören für die Bibel zusammen. Die Finsternis wird dabei auch leicht mit dem Tod gleichgesetzt. Die Bedeutung des Lichtes wird uns z.B. in einem bekannten Wort von Ps 36 aufgezeigt: „Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, und in deinem Licht schauen wir das Licht." (36,10) „Dem Rechtschaffenen strahlt Licht auf in der Finsternis." (Ps 112,4) So wird die Welt oft verstanden als eine große Auseinandersetzung zwischen Licht und Finsternis. Es gibt diesen dramatischen Kampf auch im Leben des Menschen.

Warum betonen wir dies an Weihnachten? Weil wir auf der einen Seite nicht die Augen schließen wollen vor dem, was tatsächlich in unserer Welt ist. So haben wir in den letzten Wochen und Monaten in der so genannten Finanz- und Wirtschaftskrise ein Wort wieder verstehen und buchstabieren gelernt, das ganz fremd geworden war. das Wort von der Gier. Der Christ ist kein Träumer und hängt nicht einfach blutlosen, fernen Idealen nach. Er schaut der Finsternis und dem Bösen in unserer Gegenwart offen ins Gesicht.

Darum kommt die Botschaft von Weihnachten erst jetzt und so ganz zur Sprache. Dies geschieht grundlegend bereits zu Beginn des Prologs, wenn es dort heißt: „Und das Licht leuchtet in der Finsternis." Auch wenn es in unserem Leben dunkel wird, ja es eine regelrechte Verfinsterung aller Hoffnung gibt, in der Gesellschaft und im Leben des Einzelnen, so bleibt die Botschaft von Weihnachten, dass das Licht auch und gerade in der Finsternis aufleuchtet. Nicht zufällig sprechen wir von einem Funken Hoffnung.

An dieser Stelle werden wir an viele wichtige Aussagen der Hl. Schrift erinnert: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern das Licht des Lebens haben." (Joh 8,12) „Solange ihr das Licht habt, glaubt an das Licht, damit ihr Söhne (und Töchter) des Lichtes werdet." (Joh 12,36) Jesus Christus ist das Licht der Welt (vgl. Joh 8,12; 9,5). Die ganze Welt wird in diesen Einflussbereich einbezogen. Dann wird man ein Sohn bzw. eine Tochter des Lichtes. Wir sollten schließlich alle durch unser Zeugnis und unseren Einsatz für die Botschaft des Evangeliums „das Licht der Welt" sein (vgl. Mt 5,14). Weil die Finsternis so mächtig ist, sind wir nicht verloren. Wenn wir Zeugnis von seinem Licht geben, können wir „Kinder Gottes" werden (vgl. Joh 1,12-18). Die Welt soll durch die Sendung Jesu in die Welt gerettet werden (vgl. ausführlicher Joh 3,14 ff.).

Dennoch durchzieht ein schmerzlicher Ton das ganze Johannesevangelium. Es bleibt für Johannes ein Rätsel, wieso die Menschen nicht bereitwillig das Licht, die Wahrheit, das Leben aufgenommen haben. Es ist geradezu ein tragisches Motiv mitten in der Botschaft vom Licht: „Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst." (1,5) In den schon zitierten Worten der späteren Verse 10-11 (die Welt erkannte ihn, die Seinen nahmen ihn nicht auf) wird dies gesteigert aufgenommen. Ja, manchmal hat es den Anschein als ob diese Erfahrung eine große Enttäuschung werden könnte, die am Ende irgendwie den Sieg davonträgt. So heißt es einmal bei Johannes fast resigniert: „Obwohl Jesus so viele Zeichen vor ihren Augen getan hatte, glaubten sie nicht an ihn." (12,37, vgl. auch Röm 10,16)

Aber Jesus zeigt uns, dass wir sehr nüchtern bleiben können in der Wahrnehmung, wie weit unsere Welt, zu der wir immer zuerst selbst gehören, erfasst ist von der Versuchung zum Bösen, gerade zur Gier. Aber wir verzweifeln deshalb nicht, weil wir wissen: „Und das Licht leuchtet in der Finsternis." Johannes geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn er sagt: „Und die Finsternis hat es (das Licht) nicht erfasst." Johannes, der gerne vielsagend, ja manchmal auch rätselhaft mit den Worten spielt, sagt hier etwas Doppeltes: Die Finsternis hat das Licht nicht erfasst, aber dasselbe griechische Wort („katalambanein") kann zugleich übersetzt werden, dass das Licht in der Nacht nicht überwältigt wird von der Finsternis (vgl. auch Joh 12,35 f.).

Dies ist die Botschaft von Weihnachten. Es wäre schade, wenn wir uns dem Trost dieser Botschaft in ihrer Tiefe und Hintergründigkeit verschließen und sie eintauschen würden nur für das Linsengericht einer oberflächlichen Grundstimmung, die uns freilich immer wieder entgegenkommt.

Dann denken wir in diesen Tagen auch nicht bloß an uns, oft wehleidig, sondern sehen die vielen Menschen, die in der Finsternis leben und nach Gerechtigkeit hungern. Die Adveniatkollekte dieses Jahres und am heutigen Tag mit dem Leitwort „Gott wohnt in ihrer Mitte" (vgl. Offb 21,3) weckt uns auf, über unsere Köpfe hinauszudenken. Und erst dann können wir heute voll Freude singen: „Aufgeleuchtet ist uns aufs neue der Tag der Erlösung. Ein großes Licht ist heute auf Erden erschienen. Kommt, ihr Völker, und betet an den Herrn, unseren Gott!" (Ruf vor dem Evangelium in der dritten Messe des ersten Weihnachtsfeiertages) Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz