"Männer im Aufbruch"

Datum:
Donnerstag, 10. Dezember 1998

Am 11. November 1998 fand in der Stadthalle Bonn/Bad-Godesberg eine Pressekonferenz und Präsentation der empirischen Männerstudie „Männer im Aufbruch", herausgegeben im Auftrag der Gemeinschaft der Katholischen Männer Deutschlands und der Männerarbeit der EKD von Paul M. Zulehner und Rainer Volz (mit Unterstützung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) statt. Bischof Karl Lehmann gab dazu in einem Statement eine erste Einschätzung. Der Forschungsbericht „Männer im Aufbruch. Wie Deutschlands Männer sich selbst und wie Frauen sie sehen" (Stuttgart 1998) ist im Schwabenverlag publiziert.

Der Forschungsbericht „Männer im Aufbruch. Wie Deutschlands Männer sich selbst und wie Frauen sie sehen" (Stuttgart 1998, Schwabenverlag) mit dem stattlichen Umfang von 336 Seiten, 162 Abbildungen und 127 Tabellen ist aller Beachtung wert.

 

In den letzten Jahrzehnten dominierte mit guten Gründen die sogenannte Frauenfrage. Bibliotheken wurden gefüllt mit der Frage nach der Identität der Frau. Es gab dabei nicht nur einen Nachholbedarf im Blick auf die theoretische Unterstützung der Gleichberechtigungsforderung, deren Erfüllung in der gesellschaftlichen Realität sich doch als schwieriger und zäher erwies, sondern dahinter steckte auch das Problem der Geschlechterdifferenz, die viele methodische Zugänge erlaubte. Vieles, was als naturgegeben erschien, entpuppte sich als eine Kristalisation geschichtlich und gesellschaftlich gewordener Rollen. Dies hat nicht selten dazu geführt, daß die Frage nach einer grundlegenden Eigenart, der Natur oder gar dem Wesen der Frau nur noch ironisch thematisiert wurde, weil schon die Fragestellung den Eindruck erweckte, als ob Differenzen nur aufgestellt würden, um die Frau wiederum unter das Joch neuer Unterordnung zu bringen. Da gesellschaftlich trotz aller Rede von der Gleichstellung und tatsächlich auch mancher Errungenschaften noch viel aufzuholen war, lag dieser Verdacht schwer über allen Erörterungen dieser Art. Das Wort Gleichheit, zuerst als kämpferische Parole ausgegeben, übt bis heute in weiten Teilen eine unwiderstehliche Faszinationskraft aus, die man nicht unterschätzen darf. Die Fragestellungen wurden in der Zwischenzeit gewiß durch die verschiedenen Spielarten des Feminismus differenziert, aber die grundsätzliche Stoßrichtung ist geblieben.

 

In diesem Kontext blieb die Frage nach dem Mann lange Zeit eher im Hintergrund. Die Betonung der Geschlechterdifferenz verdunkelte für viele die Gleichheit von Mann und Frau. Das übergreifend Menschliche der Geschlechter mit der notwendigen Befreiung aus allen Abhängigkeiten besaß fast eine absolute Dominanz. Lange Zeit wagte kaum jemand ernsthaft nach der Eigenart des Mannes zu fragen.

 

Im Lauf der Zeit erwies sich diese Entwicklung jedoch als fragwürdig. Die wirkliche Befreiung und Besserstellung der Frau konnte auf die Dauer - schon rein theoretisch - nicht gelingen, ohne daß die Differenz und die Beziehungen der Geschlechter untereinander neu angesetzt wurden. Bei der Überbetonung der Stellung der Frau mußte man sogar gelegentlich befüchten, daß eines Tages der unbestreitbare Erfolg der Frauenbewegung angesichts des Defizits in der Männerfrage negativ umkippt und alte Gegensätze unfruchtbar wieder auferstehen. Denn gerade auch die Unterbewertung der Frau und die Abwehr des Weiblichen mußten auch auf offene und verborgene Motive im Selbstverständnis der Männer befragt werden. Sonst wären auf die Dauer auch Begriffe wie wechselseitige Anerkennung, gleichberechtigte Person und Partnerschaft nur unvollständig zu reflektieren.

 

In dieser Situation hatte es die Männerseelsorge in den Kirchen recht schwierig. Sie konnte auf eine gewisse Tradition zurückgreifen, die aber doch nicht selten auch mit dem traditionellen Bild im Verhältnis von Mann und Frau verbunden war. Trotz aller unbestreitbaren Bemühungen und Leistungen der Männerseelsorge traten die Bemühungen um eine Männerseelsorge in der Kirche zurück und spielten in der Konzeption der Seelsorge, im Ausmaß der Veranstaltungen und auch in der Organisation der Seelsorgeämter eine relativ geringe Rolle. Dies war auch deshalb schädlich, weil damit die Versuche - entsprechend zu den Bemühungen im Blick auf die Frau -auch die neue Identität des Mannes und das erneuerte Miteinander zu formulieren, zu wenig als Aufgaben ergriffen wurden. Der gesellschaftliche Wandel hat auch der Männerseelsorge neue Maßstäbe gesetzt. Dem Mann wurden bisher auch wenig theologische, religiöse Hilfe angeboten, den Übergang von einem oft als patriarchalisch gekennzeichneten Gatten zum gleichberechtigten Ehepartner zu vollziehen und den Abbau falscher Privilegien anzunehmen. Man hat diese Lücke hinsichtlich der fundamentalen anthropologischen und theologischen Begründung gespürt. Es wurden immer wieder auch wichtige Themen behandelt: Selbstwahrnehmung, Identität und Spiritualität von Männern, Partnerschaft von Männern und Frauen in der Kirche, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Einsatzbereitschaft zum Zeugnis in Kirche und Gesellschaftl, Engagement in sozialen Diensten.

 

Dennoch blieb hier eine grundlegende Lücke. Die kirchliche Männerseelsorge allein konnte sie nicht ausfüllen. Die Katholischen Akademien haben mannigfach versucht, hier eine wichtige Aufgabe zu erfüllen (vgl. Männer. Auf der Suche nach einer neuen Identität, hrsg. von G. Fuchs, Düsseldorf 1988; Frau und Mann. Alte Rollen Neue Werte, hrsg. von E. Moltmann-Wendel, Düsseldorf 1991; Mannsbilder Entwicklung und Umbruch männlicher Identität, hrsg. von M. Blum, H. Schützeichel, Freiburg 1995, 2. Aufl.).

 

In dieser Situation ist ein grundlegender Neubeginn unerläßlich. Aber es ist nicht leicht, ihn richtig anzusetzen. Anthropologische Überlegungen stoßen auf ein ziemliches Mißtrauen. Darum war es eine erfolgversprechende Möglichkeit, mit einer „empirischen Männerstudie" zu beginnen, deren Ergebnisse nun vorgelegt werden. Dies schließt nicht aus, sondern ein, daß diese Ergebnisse von anderen Disziplinen aufgenommen und fortgeführt werden, nicht zuletzt von der Anthropologie und der Psychologie, aber auch der Praktischen Theologie in allen ihren Einzeldisziplinen. Es kann nicht meine Aufgabe sein, hier und heute die einzelnen Ergebnisse darzulegen. Dies werden im Anschluß die Herausgeber selbst besorgen. Der ganze Tag ist im übrigen der ersten Einsichtnahme in die Resultate gewidmet. Hier kann nicht mehr als ein Anfang des Anfangs geleistet werden.

 

Dennoch möchte ich wenigstens auf eine Grundperspektive zurückkommen. Es war eine theoretische Voraussetzung der Untersuchung, daß sich die „weithin kulturell geformten Eigenschaftssets wandeln, wenn sich die Geschlechterrollen ändern" (25). Dies hat sich in mancher Hinsicht bestätigt. Es gibt zweifellos stärkere Annäherungen in der Geschlechterbeziehung, jedoch verbleiben die Unterschiede zwischen den männlichen und den weiblichen Eigenschaften: „männlich ist tendenziell stark, weiblich hingegen gefühlvoll" (25). Es mag sogar manchmal so etwas wie eine „Feminisierung des Mannes" geben, obgleich ich das Wort für wenig tauglich halte. Bei näherem Zusehen gibt es jedoch noch einige weitere wichtige Einsichten. So fällt die Veränderung von Männern um so geringfügiger aus, „je mehr es in den Kernbereich der Person geht". Oberflächliche Veränderungen oder gar Behauptungen über bloße Veränderungsbereitschaft beweisen also wenig. Die Einübung einer neuen Beziehung ist also ungleich schwieriger. „Eine Balance ist zu finden zwischen dem Vorfindbaren und dem Formbaren... Die Lösung wird dann nicht die vordergründige Annäherung der weiblichen und männlichen Lebensfelder sein. Vielmehr wird sich vielleicht ein neues Miteinander herausbilden, in dem vom Ansatz her Frauen und Männer einander zunächst fremd und befremdlich sind, sie lernen, ganze Männer und ganze Frauen zu werden, um dann verhandelnd in ein spannungsgeladenes Miteinander einzutreten. Die Befremdlichkeit der Geschlechter wird dann bleiben. Vielleicht braucht es dann, weil die Geschlechter einander so fremd sind, im jeweils anderen Geschlecht etwas von der Anwesenheit des Fremden, um überhaupt miteinander in Beziehung treten zu können... Das heißt aber nicht, daß Männer weiblich und Frauen männlich zu werden haben, was deren Zerstörung herbeiführen würde. Ziel wäre, anders zu sein, und doch ein Verhältnis haben zu können, weil das Fremde in einem selbst wohnt." (27 f)

 

Hier scheint mir die Summe der unternommenen Untersuchungen zu liegen. Dies ist auch noch relativ unabhängig von der gewiß etwas problematischen Kategorie der „traditionellen" und der „neuen" Männer. Dieses so angezielte Resultat hilft zu einer neuen Fundierung der Geschlechterdifferenz. Die Ebenbürtigkeit von Mann und Frau ist dabei das Fundament, mit dem alles steht und fällt. Diese tragende Gemeinsamkeit hindert jedoch nicht, daß eine Verschiedenheit auf dem Grund dieser Gemeinsamkeit besteht, die freilich nicht eine Isolation oder gar eine neue Form der Dominanz des einen über den anderen bedeuten darf. Es geht darum, aus dieser Andersheit, ja auch Fremdheit, zu einem „spannungsgeladenen Miteinander" zu kommen. Darin und in dem damit zusammenhängenden Lernprozeß liegt das Geheimnis der Beziehung zwischen Mann und Frau und des Eros.

 

Dieses Ergebnis nimmt, ohne ausdrücklich darauf zurückzugreifen, Elemente (nicht das ganze System!) einer Theorie der Polarität zwischen den Geschlechtern auf, reichert diese jedoch an und korrigiert sie zugleich durch die Überzeugung von der Ebenbürtigkeit von Mann und Frau. Im übrigen wird das Beziehungsgefüge nicht einfach nur „natural" verstanden, sondern wird nur voll lebendig in einem differenzierten Lernprozeß, der gewiß auch nochmals in den einzelnen Lebensaltern verschieden ist (vgl. Hinweise in K. Lehmann, Glauben bezeugen, Gesellschaft gestalten, Freiburg 1993, 52 - 98).

 

Auf diesem Fundament kann die Männerseelsorge - was hier nicht gezeigt werden muß - neu aufbauen. Dies kommt auch der Frauenfrage positiv entgegen. Es ist dabei von besonderem Gewicht, daß diese Studie gemeinsam von der Männerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland sowie der Gemeinschaft der Katholischen Männer Deutschlands und zugleich von zwei kompetenten Fachleuten verantwortet wird, nämlich Paul M. Zulehner und Rainer Volz. Diese ökumenische Dimension hat hier ihren besonderen Reiz. Daß sie gleichzeitig vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wurde, zeigt das weite Interesse an dieser Fragestellung über die Kirche hinaus (vgl. die bisherigen Studien von S. Metz-Göckel, U. Müller, Der Mann. Die BRIGITTE-Studie, Weinheim 1986, W. Hollstein, Nicht Herrscher, aber kräftig. Die Zukunft der Männer, Hamburg 1988, H. Pross, Die Männer. Eine repräsentative Untersuchung über die Selbstbilder von Männern und ihre Bilder von der Frau, Reinbek bei Hamburg 1984).

 

© Bischof Karl Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz