Zum Funktionieren unserer Gesellschaft und besonders auch der demokratischen Strukturen brauchen wir die Medien. Gerade in diesen Wochen zeigt es sich, wie unentbehrlich das Drängen nach Klärung undurchsichtiger Geschehnisse durch die Medien ist.
Freilich gibt es viele Probleme, wie die Medien vorgehen und was sie erzeugen. Vieles wird durch die Medien überhaupt erst in Szene gesetzt. Es ist nicht einfach so, dass die nackte Wirklichkeit, wenn es sie denn gibt, sichtbar und öffentlich gemacht wird. Schon die Auswahl der Themen gibt zu denken. Vieles, was nicht minder wichtig wäre, wird ausgeblendet. Wir leben wirklich in einer Mediengesellschaft, d.h. die Wirklichkeit wird uns auf weite Strecken nur durch die Vermittlung der Medien zugänglich. Darum ist es eben oft eine eigene Medien-Realität. Dies ist die eigentliche Macht.
In letzter Zeit sind trotz mancher Konzentrationsbewegungen die Vielfalt der Medien und damit auch die Zahl der Medienvertreter gewachsen. Der Wettbewerb, wer zuerst die Nase vorne hat, wird stärker. Dies hat zur Folge, dass auf weite Strecken Rücksichtslosigkeit, Sensationslüsternheit und Bedenkenlosigkeit im Steigen begriffen sind.
Menschlich ist dies alles verständlich; viele Journalisten sind einem erbarmungslosen Druck ausgesetzt. Hinzukommt der in den Medien besonders harte Wettlauf um einen zeitlichen Vorsprung des einen vor dem anderen. Die immer wieder hervorgehobene "beschleunigte Gesellschaft" (P. Glotz) verlangt gerade hier ihren Preis. Es ist keiner zu beneiden, der in dieser harten Konkurrenz arbeitet und lebt.
In diesem Sinne haben sich auch mehr und mehr die Gesetze des Marktes durchgesetzt. Wahrscheinlich lässt sich dies in unserer Gesellschaft nicht vermeiden. Aber der menschlichen Kommunikation, um die es ja geht, tut dies nicht immer gut. Der bloße Markt ist unersättlich. Alles wird je nach Interesse und nicht selten auch nach Ideologie vermarktet. Texte und Sendungen, die z.B. mehr Unterhaltung sind, werden sofort - schon vor ihrer Verbreitung - auf "news" abgeklopft. Sie müssen Neugier und Appetit wecken. Darum werden sie auch gewürzt, angeschärft und zugespitzt. Differenzierungen, auch wenn sie dringend nötig sind, verderben das Geschäft.
Die Wahrheit spielt dabei eine recht untergeordnete Rolle. Gute Nachrichtenredakteure, die angebotene Informationen auf Herz und Nieren prüfen und auf eigene Meinungsmache verzichten, werden seltener. In sehr vielen Fällen übernehmen auch als seriös geltende Medien problematische Agentur-Meldungen. Dies geschieht immer mehr auch dann ohne jede Rückkontrolle, wenn der Inhalt oder der Bezug auf eine Person fragwürdig erscheint. Wie in einer Gerüchteküche wird fast alles unbesehen einfach weitergegeben.
Man darf ja nicht romantisch sein. Es gibt unter den Bedingungen heutiger Technik und des Marktes schwer vermeidbare Bedingungen der Medienarbeit. Aber es muss doch ein Korrektiv für die Auswüchse geben. Unentbehrlich ist dafür die Anforderung an professionelle Handwerklichkeit. Sie ist immer noch das Wichtigste. Ich arbeite gerne mit solchen Leuten. Es gibt, Gott sei Dank, immer auch noch viele davon.
Es kommt aber ganz entscheidend auch auf den Endverbraucher an, den Leser, Hörer und Zuschauer. Ihre Vorlieben bestimmen nicht weniger den Markt. Aber Klatsch gehörte sicher immer schon zum Umgang des Menschen mit seinesgleichen. Medienpädagogik, die so notwendig wäre, ist für die allermeisten in vielem ein hehres Programm geblieben. Also muss man gegenüber einer gewissen Verwilderung der Sitten ein gutes Maß an Misstrauen, die Fähigkeit zur Unterscheidung der Geister und zu Kritik mitbringen. Sonst bleibt man wehrlos zu vielen Verführungen ausgesetzt.
Kirchlichen Nachrichten geht es nicht besser. Auch hier ist es gut, nicht alles zu glauben, was einem vorgesetzt wird. Bevor man sich äußert, sollte man immer die authentischen Äußerungen kennen. Wir dürfen nicht allem nachlaufen. Darum tut Gelassenheit gut.
© Karl Lehmann, Mainz
(aus: Bistumszeitung Glaube und Leben, Februar 2000)
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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