NACHGEFRAGT

Nochmals zum Kopftuch-Streit - Gastkommentar in der KirchenZeitung

Datum:
Samstag, 14. Februar 2004

Nochmals zum Kopftuch-Streit - Gastkommentar in der KirchenZeitung

Der Bundespräsident hat die Gelegenheit ergriffen, aus Anlass des 275. Geburtstages von Lessing am 22. Januar und der Diskussion um das „Kopftuch"eine Grundsatzrede zu „Religionsfreiheit heute – Zum Verhältnis von Staat und Religion in Deutschland" zu halten. Es ist eine bemerkenswerte Rede. Beide großen Kirchen haben sie begrüßt. Sie bringt eine Reihe von Klärungen.

Gewiss bleiben auch einige Fragen. Dabei geht es hauptsächlich um die Bedeutung des Kopftuchs. Wenn man es als eine frei gewählte Kleidung und auch noch als Ausdruck eines religiösen Bekenntnisses allein betrachtet, muss man die individuelle Glaubensfreiheit stützen. Daraus kann man eine „liberale" Haltung ableiten. Gerade in dieser Hinsicht findet man in der erwähnten Rede von Bundespräsident Johannes Rau wichtige und gute Argumente.

Mit Recht hebt der Bundespräsident auf unser eigenes „System" im Verhältnis von Staat und Religion hervor, das sich von anderen Ländern unterscheidet. So wird das Kopftuch in der Türkei und in Frankreich unter Berufung auf die laizistische Staatsordnung in staatlichen Institutionen regelrecht verboten. Dabei fällt auf, dass sich die Muslime selbst ziemlich zurückhaltend verhalten. Dies hängt gewiss mit einer recht unterschiedlichen Beurteilung in den eigenen Reihen zusammen. Man kann dies besonders auch bei kleineren Strömungen im Islam gut verfolgen. Auch gibt es wohl keine einheitliche Praxis bezüglich der Kopfbedeckung. Unter den Islamkennern gibt es auch eine gemeinsame Überzeugung, im Koran gebe es keine Belege für eine Kopftuchpflicht. Diese Gründe erklären auch, warum der Islam selbst zurückhaltend ist. In diesem Sinne dürfte die Frage des Kopftuchtragens bei uns nicht so viele Probleme aufwerfen.

Aber das ist noch nicht alles. Einmal gibt es radikale islamistische Gruppen, die mit dem Kopftuchtragen gewisse Tendenzen verbinden und es, wenn irgendwie möglich, gesetzlich vorschreiben lassen möchten. Vor diesem Hintergrund ist die Forderung nach dem Kopftuchtragen nicht mehr so simpel. Ein so kundiger Islamwissenschaftler wie Professor P. Dr. Christian W. Troll SJ, der auch in islamischen Ländern gewohnt und gelehrt hat, schreibt: „Es ist schlicht zur Kenntnis zu nehmen, dass das Insistieren auf dem Tragen des Kopftuchs, sei es in muslimisch mehrheilichen Gesellschaften oder bei uns, wo sich die Muslime in der Minderheit befinden, zusammengeht mit einseitigen orthodoxen und islamistischen Koranauslegungen, rigorosen autoritär-patriarchalischen Praktiken, Gruppenzwang, insbesondere der zunehmenden Praxis, Mädchen noch vor der Pubertät zum Kopftuchtragen zu zwingen, mit der rigorosen Trennung von Männern und Frauen im gesellschaftlichen Leben, der Verweigerung der gesellschaftlichen Gleichberechtigung der Frauen und schließlich der politischen Instrumentalisierung des Kopftuchs zur Islamisierung nicht muslimischer Gesellschaften." (Stimmen der Zeit, 2004, Heft 1, S. 1 f.)

Es gibt also über die individuelle Glaubensfreiheit und Gewissensentscheidung hinaus Tendenzen zu einer eindeutigen politischen Umfunktionierung des Kopftuchs.

Erst recht wird die Sache schwierig, wenn es darum geht, das Kopftuch in staatlichen Bildungseinrichtungen und bei einem beamteten Arbeitsverhältnis auch während des Unterrichtes nicht abzulegen. Hier spielen schließlich neben dem Neutralitätsgebot des Staates die Rechte der Schüler eine Rolle, was oft im Gewicht unterschätzt wird. In der Schule stößt die Ausübung der individuellen Religionsfreiheit durch Lehrer auf Grenzen, wenn sie mit der entsprechenden Freiheit von Schülern und Eltern kollidiert, besonders auch dem elterlichen Erziehungsrecht.

Wenn das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom 24. September 2003 nach der Überzeugung vieler wenig geklärt hat, so hängt dies gewiss mit der auf der Prinzipienebene schwer zu beantwortenden Frage zusammen, wozu denn das Kopftuch dient und was es bedeutet. Es ist so gut wie unmöglich, darauf generell zu antworten. Die Bedeutung des Kopftuches kann man fast nur im konkreten Einzelfall erkennen und danach entscheiden. Man darf darum die ganze Thematik nicht nur formal-juristisch betrachten. Dann würde auch die Gefahr bestehen, dass die mögliche politische Instrumentalisierung des Kopftuchs, die gewiss nicht von vornherein und verallgemeinert angenommen werden darf, heruntergespielt und sogar ausgeklammert wird. Die Länder können sich diese Abstraktion nicht erlauben. Aber so werden die Dinge durch die Länder-Gesetzgeber nicht nur verschieden, sondern auch widersprüchlich geregelt. Mit einer lateinischen Redensart „Res venit iterum ad Dominum" muss man daher wohl sagen, die Angelegenheit kommt wohl –eines Tages gewiss wieder nach Karlsruhe.

 

© Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

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