Statistische Angaben haben immer etwas sehr Ernüchterndes. Sie geben einfach Fakten wieder. Dagegen scheint kein Kraut gewachsen zu sein. So ist es eben. Dies gilt besonders dann, wenn es in regelmäßiger Wiederkehr bestimmte Meldungen z.B. des Statistischen Bundesamtes gibt.
Die Daten über eine nochmalige Steigerung der Ehescheidungen im vergangenen Jahr haben die Medien aufhorchen lassen. 38 % der Ehen wurden geschieden. In einem Landkreis des Bistums entfielen auf 100 Eheschließungen 60 Scheidungen. Familienpolitik hat gerade vor den Wahlen Konjunktur, aber leider oft abgekoppelt von der Ehe. Man kann wirklich nicht genügend tun für eine Erneuerung von Ehe und Familie.
In den letzten Tagen wurden auch die Ergebnisse hinsichtlich einer Entwicklung der Abtreibungszahlen für das erste Vierteljahr 2002 vorgelegt. Zunächst scheint sich nichts Besonderes abzuzeichnen. Die Zahlen insgesamt blieben in den letzten Jahren bei einem leichten Anstieg ziemlich konstant, nämlich: 130.471 Abbrüche im Jahr 1999, 134.609 im Jahr 2000, 134.964 im Jahr 2001. Im ersten Vierteljahr 2002 waren es rund 35.700.
Nicht wenige beruhigen sich bei diesen Zahlen. Aber es sind doch immer wieder nachdenklich stimmende Einzelergebnisse: nahezu die Hälfte der Frauen (47 %) war verheiratet; knapp Dreiviertel (72 %) waren zwischen 18 und 35 Jahren alt; 40 % der schwangeren Frauen hatte vor der Abtreibung noch keine Lebendgeburt. Es wäre also das erste Kind gewesen. Der allergrößte Teil der Eingriffe er-folgte ambulant (93 %), so dass diese eher als Bagatelle erscheinen, die die Um- und Mitwelt gar nicht recht mitbekommt.
Was mich aber am meisten beunruhigt hat, ist die Steigerung der Zahlen in einer bestimmten Altersgruppe, nämlich bei den jungen Frauen bis zu 15 Jahren. Nachdem die heutige Gesetzgebung eingeführt wurde, waren dies im Jahr 1996 bundesweit 365 Fälle (0,8 %). In den folgenden Jahren gab es einen kontinuierlichen Anstieg, der aber nun im Jahr 2001 mit 696 Fällen (0,52 %) geradezu eine Verdoppelung aufweist. Wenn man nun in Rechnung stellt - was nicht wenige Gynäkologen bestätigen -, dass auch bei dieser Altersgruppe die Einnahme einer "Pille danach" angestiegen ist, wird der Umfang des Einbruchs des Lebensschutzes auch in dieser Gruppe noch deutlicher. Schließlich ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche bei den 15 bis 18jährigen im Zeitraum von 1996 bis 2001 auch von 4.359 (3,33 %) auf 6.909 (5,12 %) gestiegen.
Diese Entwicklung beunruhigt mich ganz besonders. Sie bekundet indirekt, wie früh bereits ein intimer Verkehr beginnt und wie er offenbar schon in jungen Jahren zu so verheerenden Auswegen führt. Was für eine Erfahrung für das ganze Leben muss es sein, wenn bereits am Anfang des Umgangs mit der Sexualität sich solche Folgen einstellen!
Ich bin dankbar zu wissen, dass sich unsere Beraterinnen, aber auch die Seelsorger in den Gemeinden diskret und oft sehr hilfreich um solche Frühschwangerschaften kümmern und eine Abtreibung verhindern helfen. Erst vor wenigen Tagen hat mir ein Pfarrer von den Bemühungen um ein 15jähriges Mädchen berichten können. Viele haben zu einem guten Ende mitgeholfen.
Das Bundesverfassungsgericht hat 1993 den Gesetzgeber verpflichtet, nach einer gewissen Zeit, die leider - auch im Gesetz von 1995 - nicht präzisiert worden ist, die Wirksamkeit der Gesetzgebung im Sinne einer Senkung der Abtreibungszahlen zu überprüfen und unter Umständen nach neuen Wegen des Lebensschutzes zu suchen. Alle Hinweise darauf, dass nun 7 Jahre nach der Inkraftsetzung die Zeit allmählich reif wäre für eine solche Überprüfung, werden jedoch einstweilen in den Wind geschlagen.
Bleibt es auch dabei, wenn man diese erschütternden Zahlen, besonders bei den bis 15-jährigen Mädchen, wirklich nachdenklich betrachtet - gewiss keine nackten Zahlen!
(c) Karl Kardinal Lehmann
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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