Gastkommentar für die Mainzer Allgemeine Zeitung am Samstag, 8. Oktober 2005
Viele Selig- und Heiligsprechungen, die sich unter Papst Johannes Paul II. sehr steigerten, finden bei dieser Häufigkeit auch innerhalb der katholischen Kirche nicht immer Aufmerksamkeit. Bei Clemens August Kardinal von Galen (1878-1946), Bischof von Münster in der Zeit des Nationalsozialismus (ab 1933), darf es nicht so sein.
Gewiss kommt der Graf aus dem Oldenburger Münsterland (Burg Dinklage) aus einer Zeit, die uns sehr fremd geworden ist, aber es wäre zu billig, ihn einfach einen „Monarchisten“ oder einen „Rechtskatholiken“ zu schimpfen. Ein Seliger oder Heiliger muss nicht in allem für spätere Zeiten vorbildlich sein. Wo ist er es auf alle Fälle?
In Mainz ist es nicht unwichtig, dass Graf von Galen ein Großneffe des Mainzer Sozialbischofs Wilhelm Emmanuel von Ketteler ist. Der westfälische Adel hat in einer langen Tradition tiefe Gläubigkeit, hohes öffentliches Engagement und intensives sozialpolitisches Interesse miteinander verbunden. Dies ist das Holz, aus dem auch Clemens August, das elfte von dreizehn Kindern, geschnitzt ist.
Nach einem gründlichen Studium in Freiburg in der Schweiz und in Innsbruck wurde er bald über viele Jahre Kaplan und Pfarrer in Berlin (wie Ketteler!) und lernte auf ganz neue Weise die Diasporasituation kennen. 1929 kehrte er nach Münster zurück und wurde im September 1933 dort Bischof. Niemals hatte er eine Sympathie für den Nationalsozialismus. Er wandte sich vor allem gegen den totalitären Anspruch der Nazis, nicht zuletzt in Fragen der Erziehung. Er litt wie mancher andere Bischof dieser Zeit an der Politik des damaligen Vorsitzenden der Bischofskonferenz Kardinal Bertram (Breslau), dem Regime alle Verstöße gegen Vereinbarungen vorzurechnen („Eingabenpolitik“) und sich dadurch eine Änderung zu erhoffen. Vor großen öffentlichen Protesten zuckte von Galen jedoch wegen der Folgen für andere immer wieder zurück.
Dies änderte sich gründlich, als der Bischof im Juli/August 1941 in Münster drei flammende Reden gegen die Tötung unwerten Lebens hielt. Mit sonst in dieser Zeit nicht gekanntem Mut mischte er sich gegen das Unrecht ein und wurde zum Anwalt der Schwachen. Der rhetorisch gar nicht so begnadete Redner wurde geradezu eine prophetische Gestalt. Die Predigten wurden millionenfach von Hand abgeschrieben, auch für die Soldaten im Feld. Die Abrechnung nach dem siegreichen Krieg wurde ihm mehrfach angedroht, aber bei seiner geradezu unglaublichen Akzeptanz beim Katholischen Volk im Münsterland wagte man sich nicht an ihn heran. Er machte sich jedoch keine Illusionen.
Der „Löwe von Münster", wie man ihn später nannte, hat nicht nur gegen die Euthanasie und für das Lebensrecht aller Menschen gekämpft und vielen Menschen die Augen geöffnet für das, was unter deutscher Verantwortung geschah, sondern seine Predigten galten vor allem auch im Ausland als Zeugnisse für ein anderes Deutschland. So wurde er auch in der Tat ein Wegbereiter für ein besseres Deutschland. Diesen Freimut und diese Unerschrockenheit kann man sich nur aus der unzertrennlichen Zusammengehörigkeit einer großen Menschlichkeit und einer tiefen Gläubigkeit, verbunden mit einem unbeugsamen Rechtbewusstsein, verständlich machen. Die Gottesfurcht hat auch die unbedingte Ehrfurcht vor dem Menschen hervorgebracht. Weil er ein großer Zeuge des Widerstands und der Zivilcourage in einem totalitären Zeitalter war, bleibt er in dieser Hinsicht bis heute ein Vorbild. Sein Wahlspruch „Nicht Furcht, nicht Lob" ist auch heute noch ein gutes Motto für alle Menschen, besonders in öffentlicher Verantwortung.
Am 16. März 1946 wurde er nach der Kardinalserhebung in Rom stürmisch in Münster gefeiert, nur sechs Tage später starb er. Die Seligsprechung kann uns helfen, solche Leute auch nach 60 Jahren nicht zu vergessen.
© Karl Kardinal Lehmann
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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