Gastkommentar in der Mainzer Kirchenzeitung "Glaube und Leben" - April 2008
In unserer Mediengesellschaft gibt es immer wieder Konflikte, die raketenähnlich hochsteigen und rasch wieder am Boden zerschellen. Man fragt sich dann manchmal, welche Wirkung geblieben ist. Dies kann einem auch in den Sinn kommen, wenn man im jüdisch-christlichen Dialog an die gegenwärtige Kritik an der neuen Formulierung der Karfreitagsfürbitte denkt.
Der Sachverhalt ist einfach, aber oft nicht beachtet worden: Papst Benedikt XVI. hat im Blick auf die Gottesdienste im außerordentlichen Ritus von 1962 (missverständlich oft „tridentinisch" genannt) für die Fürbitte zugunsten des jüdischen Volkes in der Karfreitagsliturgie - im Unterschied zur erneuerten Liturgie des Jahres 1970 - einen neuen Text vorgeschrieben. Er lautet in deutscher Übersetzung: „Lasst uns auch beten für die Juden: Dass unser Gott und Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus als Retter aller Menschen erkennen." Es ist klar, dass damit die ansprechende Formulierung von 1970 nicht zurückgezogen wird und die nun veröffentlichte Fassung zweifellos nur im außerordentlichen Ritus verwendet werden kann, der gewiss am Karfreitag äußerst selten verwendet wird. Im Leben der Kirche wird also das Gebet von 1970 maßgebend bleiben. Dieses lautet unverändert im ordentlichen Ritus: „Lasst uns auch beten für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat: Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss sie führen will." Daran ändert sich absolut nichts.
Ich will keinen Zweifel lassen: Auch nach meiner Überzeugung wäre es eine bessere Lösung gewesen, nur die Fürbitte von 1970, die ja schon in lateinischer Übersetzung existierte, zu verwenden, damit nicht beide Formen gegeneinander ausgespielt werden können und in einer so heiklen Angelegenheit nur eine Aussage vorherrscht, die auch überall große Resonanz erhalten hat. Dafür ist das Thema historisch viel zu belastet.
Aber auch wenn man bedauert, dass es nun zwei verschiedene Fassungen sind, so sind viele Deutungen nicht nur Ausdruck eines Missverständnisses, sondern auch in einer Wortwahl abgefasst, die wirklich zu denken gibt: „Eiszeit", „Rückschritt", „Zumutung", „Belastung". Einige Juden haben daraufhin ihre Mitwirkung beim Osnabrücker Katholikentag im Mai zurückgezogen. Auch wenn man die Zweigleisigkeit der jetzigen Bitte bedauert, die ein eindeutiges Beten gefährdet, so sind viele massive Vorwürfe schlechthin unbegründet. Ich kann beim besten Willen z.B. keinen Aufruf auch nur zu einer indirekten Judenmission entdecken. Von der Wertschätzung des Judentums wird kein Jota zurückgenommen. Schon redet man sogar von offizieller Seite darüber, dass man „ohne Rücknahme der Karfreitagsfürbitte keine Gespräche mehr mit der katholischen Kirche führen" könne. Walter Kardinal Kasper, der auch im Vatikan für das religiöse Gespräch mit dem Judentum zuständig ist, hat zu dieser Vorhaltung das Nötige gesagt.
Es ist für mich erschreckend, wie rasch und offensichtlich uninformiert man über den Text hergefallen ist. Bei ruhiger und nüchterner Überlegung hätten manche Worte nicht fallen dürfen. Dabei meine ich nicht nur in erster Linie die jüdischen Partner, sondern es gab auch überhitzte Stellungnahmen von katholischer und evangelischer Seite. Insofern kann man Kardinal Kasper Recht geben, der davon sprach, der Unmut sei „weithin nicht rational, sondern emotional begründet". Dass dies aber überhaupt möglich ist, zeigt eben auch, wie viele Ängste und Sorgen noch unter der Decke lebendig sind, und wie sensibel man miteinander umzugehen lernen muss.
Deshalb muss man alle Teilnehmer an diesem Konflikt für die Zukunft bitten, sich künftig nicht von ersten Eindrücken hinreißen zu lassen, sondern dem Partner zu vertrauen, auch wenn einzelne Äußerungen Schwierigkeiten bereiten. Ich hätte mir die Verwendung der Fürbitte von 1970 in lateinischer Form für den außerordentlichen Ritus gewünscht, aber nicht minder wünsche ich mir, und dies auch als ein jahrzehntelanger Teilnehmer dieses Dialogs, dass man auch in einer Krise vernünftiger miteinander umgeht. Ein solcher Dialog ist nicht grenzenlos belastbar.
(c) Karl Kardinal Lehmann
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz