Die Kirchen haben stets die Einhaltung des Sonntags in Erinnerung gebracht. Dabei ging es immer wieder um den Segen, den der Sonntag in vielen Dimensionen dem Einzelnen, der Familie, den Freundeskreisen, den Vereinen und der Gesellschaft überhaupt bringt. Man hat sich in letzter Zeit oft auf die "Sonntagskultur" berufen. Dies alles ist in vielen Aufrufen und Erklärungen immer wieder zur Sprache gekommen.
Dabei ist gewiss auch das Sonntagsgebot erwähnt worden, nach dem der Mensch am 7. Tag ruhen und Gott die Ehre geben soll. Ohne diesen strikt religiösen, d.h. von Gott selbst kommenden Anspruch lässt sich im Leben des Einzelnen und auch in der Gesellschaft die "Heiligung" dieses Tages nicht gewährleisten. Man hat dabei nicht gerne von der "Sonntagspflicht" gesprochen. Sie war wohl auch mit im Spiel, aber nicht selten blieb sie etwas unverbindlich im Zusammenhang der allgemeinen "Sonntagskultur". Man wollte nicht ein einzelnes Gebot hervorheben. Man wollte nicht durch seine Einschärfung "gesetzlich" erscheinen. Man wollte auch an dieser Stelle keinen ökumenischen Streit vom Zaun brechen. Man verließ sich lieber auf die Kraft einer erneuten werbenden Einladung zum Sonntag.
Es war nicht falsch, die Wertschätzung für den Sonntag so wiederzugewinnen. Aber heute kann man deutlicher erkennen, dass man dabei doch entschiedener und klarer von der Notwendigkeit der Teilnahme am sonntäglichen Gottesdienstes sprechen muss. Im gemeinsamen Gottesdienst gipfelt der "Tag des Herrn". Er ist Erinnerung an den Sinn der Schöpfung, Gegenwart des auferstandenen Herrn in der Eucharistiefeier und ein Zeugnis christlicher Zukunftserwartung. Hier allein gründet die Wertung des Sonntags als Tag der Feier und der Ruhe. Ohne diese Verwurzelung erscheint der Gottesdienst als eine Art Anhängsel, als eine besonders fromme Zutat zum Sonntag.
Man hat vielleicht früher manchmal die "Sonntags-pflicht" zu isoliert als vereinzeltes Gebot verstanden. Vielen Theologen erschien es auch als unpassend, die einzigartige Bedeutung des Sonntags für das christliche Leben auf die Ebene eines Gebotes und der gesetzlichen Erfüllung einer Pflicht - wie sie meinen - herabzuwürdigen. Wir Menschen brauchen in unserem individuellen, aber auch in unserem gemeinschaftlichen Leben verlässliche Orientierungen und gute Gewohnheiten. Sie dürfen nicht einfach von Lust und Laune abhängig sein. Wir sind ja immer findig, unsere Ausnahmen zu begründen. Das "Gebot" mahnt und erinnert uns, diesen persönlichen Neigungen keinen unerlaubten Vorrang zu geben.
Es besteht kein Zweifel, dass die Gesellschaft durch den Lebensstil die christliche Feier des Sonntags wenig stützt. Jede menschliche Gemeinschaft lebt jedoch nicht nur von guten Absichten, sondern besonders auch von den konkreten Zusammenkünften. So bezeugen wir im Gottesdienst unseren Glauben auch voreinander, werden darin für unser Leben gestützt und getragen, bekennen uns auch öffentlich zu Gott und Jesus Christus.
Die regelmäßige Teilnahme am Gottesdienst ist darum eben auch Ausdruck unserer Dankbarkeit vor Gott und auch ein Zeichen der Verantwortung, die wir für unsere Gemeinde übernehmen. Wer regelmäßig ohne erhebliche Gründe dem Gottesdienst fernbleibt, muss sich fragen, ob sich darin nicht Undankbarkeit, Gleichgültigkeit oder Ablehnung gegenüber Gott und der Kirche zum Ausdruck bringen. Es ist eben nicht zufällig, dass zahlreiche Umfragen und Analysen der letzten Jahrzehnte im ganzen bestätigen: Der Gottesdienstbesuch ist und bleibt durchaus ein verlässlicher Gradmesser für die Beteiligung des Christen auch in anderen Bereichen des christlichen Lebens und der Gemeinde.
Genauere Beobachtungen zeigen, dass das Bewusstsein der Christen für diese Zusammenhänge schwächer geworden ist. Viele haben sich schon lange vom regelmäßigen Gottesdienst zurückgezogen. Aber auch im Kernbereich der sonst aktiven Mitchristen gibt es Einbrüche. Dies alles führt zu einer schleichenden Lockerung der konkreten Bindung. Dies hat viele Gründe. Aber es ist längst Zeit dafür, dass wir bei der Rede über den Sonntag den Gottesdienst und auch den rechten Sinn des Sonntagsgebotes stärker in die Mitte rücken.
Copyright: Bischof Karl Lehmann, Mainz
(aus: Bistumszeitung Glaube und Leben, Mai 2000)
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz