Nicht schweigen

Zu den israelfeindlichen Angriffen des iranischen Staatspräsidenten

Datum:
Freitag, 11. November 2005

Zu den israelfeindlichen Angriffen des iranischen Staatspräsidenten

Gastkommentar für die Kirchenzeitung "Glaube und Leben" - November 2005

Ausgerechnet in der Zeit, in der die katholische Welt mit vielen anderen Menschen die Verabschiedung der wichtigen Konzilserklärung „Nostra aetate“, die das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen besonders zum Judentum behandelt, droht der vor wenigen Monaten gewählte Staatspräsident des Iran mit einem Auslöschen Israels von der Landkarte. Sah es nach der ersten Äußerung noch so aus, als könnte es ein freilich peinlicher Ausrutscher gewesen sein, so folgte wenige Tage oder gar Stunden später eine zweite bekräftigende Äußerung.

In den letzten Jahren schien ein kleiner Fortschritt erreicht zu sein, denn die arabischen Staaten des Nahostens haben auf solche Äußerungen, die früher fast regelmäßig vorkamen, eher verzichtet. Ob sie auch wirklich geistig davon Abstand genommen haben, steht auf einem anderen Blatt. Gemäßigte Kräfte aus dem Iran, wie der frühere Präsident Rafsandschani, haben – Gott sei Dank – deutliche Kritik geübt: „Wir brauchen keine Slogans, wir brauchen Diplomatie.“ Dass der neue Präsident jedoch dann innerhalb kürzester Zeit diese Ungeheuerlichkeit wiederholen konnte, verheißt nichts Gutes. Man kann nur hoffen, dass Mahmud Ahmadineschad sich vom Fundamentalismus dieser Art zurückzieht. Dies muss auch mit klaren Worten geschehen. Sonst ist das Bekenntnis des Teheraner Außenminister zur UN-Charta bloßes Papier und Gerede. Wenn es glaubwürdig sein soll, kommt hier der Präsident selbst nicht an einer Korrektur vorbei.

Während der zweiten Attacke hielt der Botschafter Israels in Deutschland Dr. Shimon Stein bei einer Tagung der Akademie des Bistums Aachen zum eingangs genannten Jubiläum des Konzilstextes „Nostra aetate“ ein bemerkenswertes Referat zu den Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und dem Judentum bzw. dem Staat Israel. Schlimmer hätte der neue iranische Präsident den Termin nicht treffen können. Im Augenblick, als viele Christen und Politiker, die es schon zum 8. Mai 60 Jahre nach Kriegsende getan haben, aus tiefster Überzeugung den immer noch unbegreiflichen Holocaust verabscheuten und das Werk der Versöhnung fortzusetzen sich erklärten, verstößt ein großer Staat mit einer alten Kultur gegen das elementare Lebensrecht eines benachbarten Staates und gerade Israels.

Hier dürfen die Christen nicht schweigen. Wenn sie gegenüber einer Wertung des Staates Israel vonseiten der christlichen Kirchen mit Recht meist eher etwas zurückhaltend sind, zumal die Israelis selbst hier sehr unterschiedlicher Meinung sind, so darf es kein Schweigen geben, wenn erklärt wird, dass man den „Schandfleck Israel aus der islamischen Welt“ tilgen müsse. In unserer Welt ist das Überlebensrecht der Staaten fundamental und erstrangig. Eine solche grobe Verletzung internationaler Recht darf nicht nur der UN-Sicherheitsrat verurteilen. Hier müssen alle Christen Israel beistehen, auch wenn sie da und dort gegenüber Israels Politik einzelne Fragezeichen setzen.

Es ist gut, dass es bei uns vielfältige Freiheiten gibt, auch zum Protest. Ob aber, wie am vergangenen Samstag geschehen, rund 350 Islamisten in einem antiisraelischen Aufmarsch durch Berlin ziehen können, ist sicher nicht nur eine Frage der Verwaltungsgerichte. Gerade in Deutschland nicht. Muss man dies wirklich dulden?

© Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

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