Nokia und kein Ende ...

Zum zwiespältigen Begriff und Phänomen ‚Globalisierung’

Datum:
Montag, 4. Februar 2008

Zum zwiespältigen Begriff und Phänomen ‚Globalisierung’

Gastkommentar in der Mainzer Kirchenzeitung "Glaube und Leben" im Februar 2008

Das Schicksal Tausender von Nokia-Mitarbeitern in Bochum und der davon abhängigen Zuarbeiter bewegt mit Recht unsere Gesellschaft. Ganze Familien hatten mehrere Angehörige unter den Beschäftigten. Das Unternehmen blühte auf dem Weltmarkt. Die Gewinne waren fast unvorstellbar. Umso tiefer ist das Entsetzen.

Die Empörung gerade der Betroffenen, die sich sicher fühlen konnten, kann man nur allzu gut verstehen. Die Symbolhandlungen mancher Politiker und Gewerkschaftler, ihr bisher benutztes Nokia-Gerät demonstrativ zurückzugeben, hat mir weniger Eindruck gemacht.

Es ist gut, wenn jetzt zwischen den finnischen Verantwortlichen und der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen nach Wegen für eine neue Zukunft gesucht wird. Aber es ist auch notwendig zu sehen, dass Ereignisse ähnlicher Art ständig geschehen und dass man viel stärker auf die Ursachen zurückgehen muss. Denn es besteht kein Zweifel, dass wir in unserem Land für nicht wenige industrielle Fertigungen, verglichen mit Ländern Osteuropas und der so genannten „Dritten Welt“, zu teuer sind. Unsere Kosten sind zu hoch. Dies heißt nicht, dass man rigoros unsere Löhne und Gehälter herunterfahren kann. Sonst reicht es für die Menschen wirklich nicht zum Leben.

Aber wir leben wirklich in einer sehr zwiespältigen Welt: Wir müssen uns echt freuen, wenn viele Menschen in weniger industrialisierten Ländern Arbeit finden und mehr und mehr am Wohlstand teilhaben. Man braucht deswegen die wachsende „Globalisierung“ nicht zu verherrlichen. Es bleiben genügend Schattenseiten. Aber wir machen ja sonst auch reichlich Gebrauch von ihren Vorteilen. Wir kaufen gerne billige Textilien und sogar Elektrogeräte, bald wahrscheinlich auch Autos, und schieben vielleicht bessere, aber teure Produkte aus unserem Land zur Seite.

Es ist schwer, diese Zwiespältigkeit der Globalisierung mit ihren positiven Wirkungen und den dunklen Rückseiten, die uns jetzt und in Zukunft wahrscheinlich noch härter treffen, überhaupt zu verstehen. Es ist ein eigentümlich widersprüchliches Phänomen, das manchem wie eine „Falle“ vorkommt: verheißungsvoll und zugleich tödlich umschlingend. Deshalb ist es auch leichter, von manchen Seiten die Globalisierung hochzupreisen oder sie einfach zu verteufeln. Wir müssen uns aber um eine gerechte und differenzierte Haltung und Beurteilung bemühen, wenn wir wirklich in einer Welt leben und darin auch die Chancen verteilen wollen.

Freilich gibt es schwerwiegende Fragen an die Entwicklung der Wirtschaft. Wird der günstigste Standort das wichtigste Prinzip aller Entscheidungen? Spielt die ethische Komponente in der Wirtschaft so gut wie keine Rolle mehr? Gibt es tatsächlich einen neuen rücksichtslosen „Superkapitalismus“ (B. Reich)?

Diese Fragen bleiben. Deswegen brauchen wir aber nicht untätig zu sein. Zweifellos kommt es nun auch darauf an, dass wir unsere Fähigkeiten, die in den Menschen schlummern, mit allen Kräften entwickeln, um auf den Märkten neue, hervorragende und überzeugende Produkte anzubieten, mit denen wir wirklich überlegen sind. Der Wettbewerb wird natürlich dadurch rasanter und härter, aber vielleicht gibt es doch auch im Lauf der Zeit eine stärkere Interessen- und Arbeitsteilung.

Auf jeden Fall wird es in Zukunft viel stärker auf eine qualitativ optimale Bildung und Ausbildung ankommen. Man wird viel öfter in der beruflichen Tätigkeit erhebliche Wandlungen bewältigen müssen. Fort- und Weiterbildung spielen eine enorme Rolle. Nur so können wir konkurrenzfähig bleiben. Dabei wird es immer – und darauf muss ein Hauptaugenmerk der Politik liegen – einzelne Menschen und Familien geben, die mannigfache Unterstützung brauchen, um nicht einfach in dieser Konkurrenz chancenlos zurückzufallen. „Fordern und fördern“ ist dafür auch heute noch ein gutes Wort. Dann werden wir zwar immer noch unter Ereignissen wie in Bochum leiden, aber wir werden sie auch besser bewältigen. Solidarität in unserem Land und weltweit braucht ein neues Denken.

(c) Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz