Nüchterner Friedenseinsatz

Auf ein Wort in der Kirchenzeitung von Februar 2003

Datum:
Sonntag, 2. Februar 2003

Auf ein Wort in der Kirchenzeitung von Februar 2003

Immer wieder ist die Kirche wegen einer Stellungnahme zur Irak-Krise angefragt. Wir sind keine Politiker und keine Militärexperten. Es besteht natürlich ständig die Gefahr, dass man mehr oder weniger bewusst in solche Zusammenhänge verwickelt wird, besonders in Zeiten des Wahlkampfes. Deshalb kommt alles darauf an, dass man die ethische Grundproblematik genauer herausarbeitet.

Diese besteht nach meiner Meinung vor allem in der Drohung mit einem Krieg, der wegen der vermuteten Drohung gerechtfertigt werden könnte. Dabei hängt alles davon ab, wie man die Tatsache und vor allem das Ausmaß dieser Bedrohung konkret belegen kann. Eine Situation, die zu einer Notwehr berechtigt, setzt ja gewöhnlich einen unmittelbaren Angreifer voraus, der direkt das Leben bedroht. Dies ist hier nicht der Fall. Jedenfalls ist es für viele nicht oder noch nicht einsichtig.

 

Deswegen darf man aber die vom Irak ausgehende Gefahr gewiss nicht verharmlosen. Man denke mindestens an den Überfall auf Kuwait und die Angriffe auf die eigene Bevölkerung. Die UNO hat nicht zufällig und leichtfertig einstimmig eine grundlegende Gefährdung festgestellt. Mancher, der mit Recht für den Frieden eintritt, hat vielleicht diese reale Bedrohung bis heute nicht so recht eingeschätzt.

 

Nun erhebt sich immer mehr die Frage, ob jemand wirklich genügend Kenntnisse über die vermutete Bedrohung besitzt. Sie ist sicher nicht nur vage. Jeder, der diese Kenntnisse jedoch nicht ausreichend hat, steckt für eine letzte Entscheidung in einer Notlage. Er kann nur vermuten, dass die Bedrohung größer oder kleiner ist, als er und andere jeweils annehmen. Wie schwierig es ist, zu einem verlässlichen Wissen zu kommen, hat gerade wieder der Chef der Waffeninspekteure Hans Blix unter Beweis gestellt. Offenbar brauchen sie dringend eine gewisse Zeit, um die Situation im Irak auf den schwerwiegenden Verdacht hin ausreichend zu überprüfen.

 

Hier braucht man ein verlässliches Wissen. Da helfen weder bloße Befürchtungen noch lauwarme Beschwichtigungen. Dies sollte auch jeder, der sich zur Sache äußert, beherzigen. Es wird viel zu viel über diese grundlegende Schwierigkeit hinweggeredet. Deshalb empfiehlt es sich auch, dass jeder – wo immer er steht – sich im Blick auf eine entscheidende Festlegung Zurückhaltung auferlegt, bis er über ein ausreichendes Wissen verfügt.

 

Selbstverständlich ist mir bewusst, dass man in solchen Fragen nur sehr schwer oder oft gar nicht zu der erwünschten lupenreinen Gewissheit kommt. Warten ist notwendig, aber es darf nicht dazu benutzt werden, um andere an der Nase herumzuführen. Gesuchte Beweise können in der Zwischenzeit noch besser versteckt werden. Das Auffinden dürfte ohnehin fast schon identisch sein mit dem Finden der berühmten Stecknadel im Heuhaufen.

 

Hier bedarf es, zumal in der politischen Auseinandersetzung und besonders in Wahlkampfzeiten, aber auch in der öffentlichen Berichterstattung großer Disziplin und einer klugen Offenheit, die man freilich nicht mit Unentschiedenheit verwechseln darf. Den schmalen Weg dazwischen zu finden, ist die Kunst des Politischen und des Politikers.

 

(c) Bischof Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz