Nur der Domblick?

Ein Mainzer Problem als Beispiel für eine kulturpolitische Diskussion

Datum:
Dienstag, 7. Juni 2011

Ein Mainzer Problem als Beispiel für eine kulturpolitische Diskussion

Gastkommentar des Bischofs von Mainz für die Kirchenzeitung "Glaube und Leben"

In der Innenstadt von Mainz, näherhin in der Ludwigstraße, ist ein großer Einkaufskomplex geplant. Zwei Konzepte ringen miteinander. Eine Entscheidung soll in den nächsten Monaten fallen. Es geht um eine große Investition von ungefähr € 300 Mio.

Der ehemalige und der jetzige Wirtschaftsdezernent haben auch die Mainzer Bistumsleitung informiert. Es war ein sehr sachliches und offenes Gespräch, um die Motive, die Chancen, das Ausmaß und die verschiedenen Wege der Planung kennenzulernen, immer auch im Kontext der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt Mainz und ihres Umlandes. Manche Fragen blieben, aber es ist auch noch vieles zur Gestaltung offen. Es war ein faires Gespräch mit einer Einladung zum Mitdenken, zumal auch möglicherweise Grundbesitz kirchlicher Institutionen in unmittelbarer Nähe mitbetroffen sein kann.

Nun platzte schon seit längerer Zeit in die Diskussion um grundsätzliche Planungen des Komplexes und vor allem auch um Alternativen die Frage, ob - vom Schillerplatz her gesehen - der Blick auf den nahen Dom freigehalten werden soll. Es gab rasche Antworten von berufener und weniger berufener Seite mit den zu erwartenden gegensätzlichen Grundhaltungen: der Domblick ist belanglos - der Domblick muss unbedingt erhalten werden. Positionen prallten aufeinander, offenbar auch z. T. politisch motiviert. Die Kirche hielt sich bewusst zurück.

Es gibt jetzt aber einzelne Positionen, die nun eine solche Zurückhaltung nicht mehr empfehlen. Die Frage sei belanglos. Auf den Domblick komme es überhaupt nicht an. Er sei nicht so alt, sei im Sommer durch das Laub der Bäume auch gar nicht frei. Zwischen den Zeilen wurde auch angedeutet, der freie Domblick sei ja vor allem ein Interesse der Kirche. Eine Karikatur in der Mainzer Rhein-Zeitung mit dem bigott-frommen Bischof und Vertreterinnen des Dombauvereins formulierte es so: Eure Sorgen möchte ich einmal haben. Danke für die Steilvorlage!

Ja, was ist denn wirklich die Sorge? Ich fand die isolierte Frage nur nach dem Domblick, gleichsam über die Dächer hinweg, von Anfang an naiv und verfehlt. Es geht doch nicht nur um eine interessante oder vernachlässigenswerte Perspektive für Touristen. Auch darf die Frage, ob der Dom für jemanden aufgrund seiner positiven Glaubensüberzeugung oder seiner eher skeptisch-negativen Grundeinstellung zur Kirche wichtig und von Wert ist oder eben nicht, wirklich keine Rolle spielen. Es geht um die Konzeption des künftigen Bildes der Innenstadt. Viele Menschen sind im Blick auf die konkreten Planungen offen und tolerant, aber sie wollen im Zentrum der Stadt keinen übermächtigen Klotz, der alles überragt und sich gar noch zu einem gigantischen Konsumtempel aufspreizt. Mainz hat im Unterschied zu manchen anderen Städten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nach dem Krieg wenige größere Bausünden begangen. Der Verzicht auf kolossale Imponiergebäude, gerade auch im Zentrum, hat die Innenstadt von Mainz für viele - auch von auswärts - liebenswert erhalten.

Wenn etwas Neues gebaut wird, ist die städtebaulich-ästhetische Verträglichkeit mit dem, was seit langem zu Mainz gehört, ein erstrangiges Gebot. Die Anbindung eines solchen Einkaufskomplexes an die Altstadt und die Verzahnung mit den angrenzenden Gebäuden, ob neu oder alt, ist eigentlich selbstverständlich. Hier geht es um den Erhalt und die Pflege nicht nur der Kultur und Geschichte der Stadt, sondern auch um ihre Menschenfreundlichkeit, zu der auch Überschaubarkeit und Gemütlichkeit im guten Mainzer Sinn gehören. Deswegen gibt es hier auch Grenzen der Kommerzialisierung und der Ökonomisierung des Stadtinnern.

Darum geht es im Kern. Der „Domblick" allein ist dafür eine letztlich unzureichende und verengte Fragestellung. Aber für viele Menschen ist die Frage nach ihm ein „Test", ob bei der hauptsächlich wirtschaftlich orientierten neuen Planung genügend Sensibilität waltet für andere Belange, die vor allem von der Kultur und der Geschichte, der Tradition und der Ästhetik bestimmt sind, am Ende gewiss auch von der Stellung des Domes im Gesamtbild der Mainzer Innenstadt.

Eine solche umfassende Diskussion und ein Zugehen aufeinander sind jetzt dringend notwendig. Jetzt muss das Bürgertum das Wort haben. Der Streit um den „Domblick" kann nichts anderes als ein erstes, am Ende ganz unzureichendes Stichwort sein. Es geht um mehr.

Als Bischof halte ich mich seit bald drei Jahrzehnten in Fragen der Politik und besonders der Kommunalpolitik zurück. Dies gilt besonders auch (nicht nur!) darum, weil wir im Bistum noch mehrere andere Städte haben. Die Kirche ist für alle da. Aber die derzeitige Diskussion in Mainz stellt eine exemplarische Situation dar im Ringen um den Ausgleich von Tradition und Innovation in unseren Städten. Da möchte ich auch als Ehrenbürger der Stadt, in der ich gerne wohne und mich wohl fühle, nicht schweigen. Alle Bürger sind selbstverständlich dazu aufgerufen.

(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz