Wir stehen mitten in den Olympischen Winterspielen. Man kann sich der Spannung, aber auch den faszinierenden Bildern kaum entziehen.
Dahinter steht eine lange Geschichte der Freude am Spiel und am Wettbewerb. Den Namen haben auch unsere Wettkämpfe von den antiken Festspielen in Olympia, wo sie fast 1200 Jahre durchgeführt wurden (776 vor Christus – 393 nach Christus). Das alte Stadion aus dem 4. Jahrhundert vor Christi Geburt gehört zum Weltkulturerbe. Vor gut 100 Jahren hat Pierre de Coubertin die Spiele erneuert. Alle vier Jahre finden sie statt für die Jugend der Welt. Winterspiele kamen erst 1924 hinzu.
Viele Motive sind mit der Olympischen Idee verbunden. Es ist gewiss die Freude am Sich-Messen in den menschlichen Kräften und im Leistungsvermögen. Heute noch heißt eines der Leitworte der Olympischen Spiele: „Schneller, höher, stärker“ (citius altius, fortius). Wir sind selbst immer wieder Zeugen dieser manchmal unglaublichen Steigerungen. Es gehört zum Menschen, dass er sich immer wieder herausfordern lässt und die Erfahrung eines gesteigerten Könnens macht. Schon in der Antike waren die Festspiele eine Zeit des Friedens. Weil es ein göttliches Gebot war, sprach man von „Gottesfriede“. Wenigstens ein einstweiliger Burgfriede für eine bestimmte Zeit sollte es sein. So spielen Friede und Völkerverständigung ineins mit dem internationalen Gedanken eine tragende Rolle. Auch wenn es keine nationalen Vorherrschaftstendenzen geben soll, ist es auch ein Sich-Messen der Völker. Kleine und arme Nationen können im sportlichen Wettkampf gut abschneiden.
Seit jeher haben sich Tendenzen zu Missbrauch eingeschlichen. Nationalismus und Politisierung spielten eine Rolle, heute ist viel von einer Verzerrung der wahren Leistungen durch Doping und von neuen Formen finanzieller Abhängigkeit der Spiele die Rede. Der Amateur-Status mancher Teilnehmer ist in vieler Hinsicht eine Fiktion.
Trotz aller beklagenswerter Entwicklungen bleibt die Olympische Idee auch für uns normale Menschen, die wir keine Sportskanonen sind, anregend für unser eigenes Leben. Der Sport zeigt uns, dass in uns immer noch mehr steckt, als wir gedacht haben. Es muss nicht immer schneller, höher und stärker sein im Sinne physischer Kraftanstrengung, aber in uns stecken mehr Fähigkeiten, als wir uns zunächst zutrauen: mehr Geduld und Langmut, mehr Vertrauen und Treue, mehr Zivilcourage und Einsatzbereitschaft für andere, ja auch mehr Hoffnung und Liebe. Auch der Glaube hat sich das Bild von Kampf und Wettstreit zu Eigen gemacht. Das Leben ist in der Tat ein Kampf. Dies gilt in vieler Hinsicht. Wir alle streben nach Erfolg und Gelingen. „Und wer an einem Wettkampf teilnimmt, erhält den Siegeskranz nur, wenn er nach den Regeln kämpft“ (2 Tim 2,5). Dazu gehören Solidarität, Gerechtigkeit und Fairplay. Dies fällt uns oft schwer. Der Hebräerbrief spricht darum auch von einem „Kampf des Leidens“ (10,32) und vom ständigen Widerstand im „Kampf gegen die Sünde“ (12,4). Zum Wettkampf und zum Laufen gehört, dass man das Ziel im Auge behält. „Wisst ihr nicht, dass die Läufer im Stadion zwar alle laufen, aber dass nur einer den Siegespreis gewinnt? Lauft so, dass ihr ihn gewinnt... Darum laufe ich nicht wie einer, der ziellos läuft“ (1 Kor 9,24 f).
„Lasst uns mit Ausdauer in den Wettkampf laufen, der uns aufgetragen ist und dabei auf Jesus blicken, den Urheber und Vollender des Glaubens.“ (Hebr 12,1f). Jeder Wettstreit ruft den Christen und allen Menschen, die ihr Ziel erreichen wollen, zu: „Kämpfe den guten Kampf des Glaubens, ergreife das ewige Leben, zu dem du berufen worden bist.“ (1 Tim 6,12)
Olympia hatte immer schon etwas mit dem Tempel und so auch mit dem Glauben an einen unverbrüchlichen Sinn des Lebens zu tun.
© Karl Kardinal Lehmann
Es gilt das gesprochene Wort
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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