Verfassung, LER, Religionsunterricht
Am 26. Juni fand in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht eine öffentliche Anhörung statt zur Klage der CDU/CSU-Fraktion, evangelischer und katholischer Landeskirchen bzw. -diözesen sowie von Eltern und Jugendlichen über die Art der Einführung eines neuen Schulfachs "Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde" (=LER) im Land Brandenburg. Ich war selbst mit dem Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Manfred Kock, und anderen Bischöfen den ganzen Tag anwesend.
Es kann nun nicht darum gehen, diese Verhandlung darzustellen oder gar zu beurteilen. Das höchste Gericht in unserem Land ist sich gewiss seiner Verantwortung bewusst, wenn es nun intensiver die Beratungen fortführt. Es soll auch nicht der geringste Eindruck entstehen, auf die acht Männer und Frauen des ersten Senates würde irgendein Druck ausgeübt.
Aber ich will einige Eindrücke zur Sprache bringen, die mich im Umkreis der Anhörung, besonders auch nach der Lektüre einiger Kommentare in der Presse, nachdenklich machten:
1. Die Klage der Kirchen, vor allem der katholischen Kirche, geht in erster Linie nicht gegen das neue Fach LER überhaupt, schon gar nicht gegen die zu Grunde liegende Intention, viele Jugendliche bei der hohen Orientierungslosigkeit in Sinn- und Wertfragen und angesichts der Tatsache, dass sie keiner Kirche oder Religion angehören, mit Fragen des ethischen Verhaltens und vor allem der christlichen Religion in Kontakt zu bringen. Die Klage geht auf etwas Positives, nämlich ein Eintreten für die Einführung des schulischen Religionsunterrichtes als ordentliches Lehrfach, das – und dies ist unsere Überzeugung – gegen den Artikel VII,3 unseres Grundgesetzes den jungen Menschen in Brandenburg seit mehr als 10 Jahren vorenthalten wird. Dies ist die eigentliche Stoßrichtung, nicht ein blinder Windmühlenkampf gegen LER. Dabei haben wir allerdings Bedenken, wie der säkulare und weltanschaulich sowie religiös neutrale Staat die Inhalte eines Faches und die Ausbildung für es vorschreiben kann, wobei eine weltanschauliche und die Religion tangierende Stellungnahme, ob direkt oder indirekt, unvermeidlich ist.
2. Es dürfte wenig Schulfächer geben, die im Lauf der letzten Jahrzehnte so grundlegend in der pädagogischen und auch theologischen Perspektive neu bedacht worden sind wie der schulische Religionsunterricht. Die Anfechtung, die er oft erlitten hat, hat ihm am Ende nicht geschadet, sondern eher genützt, weil die Herausforderung positiv angenommen wurde. Viele, die über den Religionsunterricht reden, haben ein Zerrbild vor sich, ganz gleich welchen Unterricht sie früher bekommen haben. Jedenfalls sind die vielen positiven Wandlungen wenig in der Öffentlichkeit und in manchen juristischen und politischen Fachkreisen bekannt. Dabei ist die gute Akzeptanz des heutigen schulischen Religionsunterrichtes durch manche empirischen Untersuchungen nachweisbar. Die Tatsache, dass man sich vom Unterricht abmelden kann und durch diese Freiwilligkeit die Religionsfreiheit sehr betont wird, hat die Situation stabilisiert. Dabei melden sich gar nicht viele ab. Hier gibt es regelrechte Märchen.
3. Der schulische Religionsunterricht versucht am Ort und in der Atmosphäre der säkularen Schule argumentativ und dialogbereit über Religion und Kirche zu reden, wobei die eigene Glaubensüberzeugung, die ökumenische Öffnung zu anderen Kirchen und das Gespräch mit den nicht-christlichen Religionen, einschließlich der ethischen Fragestellungen, im Vordergrund stehen. Die Schüler sind mit ihren Fragen Adressat und Horizont dieses Religionsunterrichtes. Wenn die religiösen Überzeugungen konkret gelebt werden und so auch Geltung beanspruchen, brauchen sie in unserer Gesellschaft in aller Regel eine konkrete Gemeinschaft als Träger der Botschaft. Es ist aber keineswegs so, dass die – wie man manchmal etwas bösartig formuliert – "Rekrutierung des Nachwuchses" allein das Interesse der Kirchen für den Religionsunterricht darstelle. Dies ist aus vielen Gründen ein falsches Bild sowohl der Konzeption als auch der Wirklichkeit des schulischen Religionsunterrichtes. Dieser nimmt die Jugendlichen und die Kinder mit ihren Anliegen und Fragen ernst und kann darum auch alle Themen aufnehmen und behandeln, die auch LER aufgreift. Dass ein kirchlicher Religionsunterricht dabei belastet sein sollte mit Einseitigkeiten und Vorurteilen gegenüber einem im Gegenzug neutralen, objektiven LER-Fach, dies allerdings wäre eine unangemessene, religions- und kirchenkritisch beladene ideologische Annahme, die allerdings in manchen Köpfen immer noch herumgeistert.
Ich bin nach der Anhörung in Karlsruhe zuversichtlich, dass das hohe Gericht sich durch diese fälschlichen Mutmaßungen hindurch einen eigenen und unabhängigen Weg bahnt.
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz
(aus: Bistumszeitung Glaube und Leben, Juli 2001)
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz