Predigt am Dreikönigstag

6. Januar 2005, im Mainzer Dom

Datum:
Donnerstag, 6. Januar 2005

6. Januar 2005, im Mainzer Dom

Liebe Schwestern und Brüder,

Wer waren die drei Sterndeuter, Könige, Weisen, Magier, oder wie wir sie nennen mögen? Wir wissen es nicht genau, aber die neueren Arbeiten haben erwiesen, dass wir nicht denken dürfen, es seien Menschen voller Aberglaube, die mit irgendwelchen wirren Fantasien aufbrechen. Es sind eher Personen, die man zur geistigen Elite der damaligen Zeit rechnen kann. Und ganz besonderes in Mesopotamien, im heutigen Irak, waren viele viele Wissenschaftler von höchster Qualität zusammen, zu denen auch diejenigen gehörten, die versuchten, die Sterne zu erforschen.

Was wir heute Astronomie und getrennt davon Astrologie nennen war damals manchmal noch in eins, aber im Grunde ging es darum, überhaupt die Welt und ihre äußersten Grenzen kennen zu lernen. Eines haben sie alle drei gemeinsam – und das zeichnet sie aus –, dass sie unentwegt fragen und uns zeigen, dass die Menschheit immer wieder unterwegs ist im Suchen, im Fragen, und dass wir uns nicht einfach zufrieden geben dürfen mit vorläufigen Antworten, die uns vertrösten, oder gar mit Götzen, die uns enttäuschen. Wir müssen alles das, was uns angeboten wird an Antworten, befragen, ob diese Antworten wirklich auch in den schwierigen Stunden unseres Lebens standhalten. Die Drei hatten einen langen Weg zurück gelegt. Die Volksfrömmigkeit hat immer wieder ausgemalt, wie dieser Weg wohl aussah. Auf jeden Fall war er beschwerlich. Die Drei konnten überhaupt nicht nach Jerusalem gelangen, ohne nicht durch große Wüsten zu gehen mit den Gefahren, die darin lauerten. Aber sie haben diesen Weg nicht gescheut. So groß war ihre Sehnsucht, die Erfüllung ihres Lebens zu finden. Sie haben alles investiert, auch ihr eigenes Leben. Nichts war ihnen zu weit, nichts war ihnen zu beschwerlich. Sie sind aufgebrochen – mit aller Konsequenz. Sie haben unentwegt gesucht, ohne genau zu wissen, ob sie wirklich an eine Station kommen, wo ihre Sehnsucht Erfüllung findet. Aber ihr Suchen war davon bestimmt, dass sie fest an ein Ziel dachten. Ihr Suchen war davon bestimmt, dass sie nicht einfach im Sinne einer Abenteuerlust aufgebrochen sind um fremdartige Dinge zu erleben oder irgendwo wieder umzukehren oder vielleicht auch stehen zu bleiben. Sie hatten ein Ziel vor Augen. Da musste es für den Menschen eine Erfüllung dieses Suchens und seiner ganzen Sehnsucht geben. Und als Vertreter einer geistigen Elite kannten die Drei ganz gewiss die Antworten der damaligen Zeit. Machen wir uns nichts vor! Die Menschen damals hatten auch verschiedene Antworten auf diese Suche nach dem Einen. Immer wieder staune ich, dass Augustinus uns, als er über die Suche des Menschen nach Glück spricht, zu seiner Zeit schon weit über 100 Antworten belegt, worin der Mensch sein Glück sucht. Dennoch bleiben Menschen auf der Suche; diese Antworten können noch nicht befriedigen.

 

Meine lieben Schwestern und Brüder!

Das steht in einem eigentümlichen Kontrast zu dem, was uns über Herodes, die Schriftgelehrten und alle, die damals in Israel wohnten, gesagt wird. Da ist ein besonderes Gegenüber: Die einen suchen und wissen nicht genau, wo die Erfüllung ist, die anderen können eigentlich alles nachlesen in der Schrift. Sie finden es in erstaunlicher Deutlichkeit mindestens gegenüber dem, was dort geschehen ist in Bethlehem, aber sie verstehen nicht. Ihr Herz brennt nicht bei dem was sie lesen. Sie werden nicht ergriffen von dem, was sie da lesen. Aber die Drei bleiben unterwegs. Sie sind treu auf ihrem Weg. Dieses Gegenüber lässt sich nun auflösen, aber ganz anders als die drei Weisen es wahrscheinlich dachten. Der Stern blieb stehen über einer Hütte, alles ist sehr unscheinbar. Es sieht zunächst nicht danach aus, als ob das nun das Ziel ihrer Wünsche wäre, als ob sie da eigentlich ankommen wollten. Da dachten sie doch sicher auch an mehr Herrlichkeit, an mehr Macht, an mehr Einsicht und Weisheit, die sie gewinnen könnten. Aber sie haben ehrlichen Herzens gesucht. Sie haben sich zugleich von diesem Stern führen lassen. Das ist auch für unser Leben wichtig: Auf einen Stern zuzugehen, dass ist unser Leben. Auf einen Stern zuzugehen, von dem wir wissen, dass er wirklich leuchtet. Es ist ein Stern, der überall in alle Winkel unseres Lebens leuchtet, und der auch dann noch erstrahlt, wenn wir ohnmächtig sind, wenn wir nicht mehr aus noch ein wissen, wenn wir leiden und sterben.

 

Auf einen Stern zugehen, das haben sie gemacht. Darum sind sie einzigartig, und darin sind sie wirklich die Vertreter einer geistigen Elite: dass sie nicht müde werden zu suchen, echte Forscher, die nicht immer wissen, was genau herauskommt. Aber sie bleiben auf der Spur. Dann kommt dieser wunderbare Satz in dem konzentriert alles zusammengefasst ist: Als der Stern stehen blieb, traten sie in das Haus ein und knieten nieder. „Wir sind gekommen, um IHN anzubeten“: Das ist – wie sie alle wissen - das Leitwort auch zum XX. Weltjugendtag in Köln im August dieses Jahr. Dass sie in diesem Kind den Herrn der Welt erkannt haben, dass sie so offen waren, dass sie das nicht einfach für unmöglich gehalten haben, wie das Herodes und die anderen getan haben, das ist Grund, sie zu verehren. Das macht sie zu Vorbildern des Suchens im Glauben. Sie bringen Geschenke, und diese sind von alters her immer wieder auch symbolisch verstanden worden: Gold, Weihrauch und Myrrhe.

 

Gold: Sie bringen das Kostbarste. Sie bringen etwas, was aller Verehrung würdig ist. Sie bringen Weihrauch: Sie bringen die Zuneigung ihres Herzens, sie bringen Anbetung, sie bringen Huldigung. Sie bringen aber auch Myrrhe. Myrrhe: das Zeichen und das Symbol des Schmerzes, des Leides. So einen langen Weg macht man nicht ohne Leiden und Schmerz. Auf manches muss man verzichten. Viele Ideale zerrinnen, man muss ständig lernen, man ist auch enttäuscht. Und doch bleiben sie auf dem Weg. Diese Dinge gehören zum Menschen. Wenn wir nicht wirklich einen wahren Gott verehren, verfallen wir den Götzen. Wenn wir nicht Ihm huldigen, dann beten wir unsere selbstgemachten absoluten Ideale an. Wenn wir glauben, wir könnten durch unsere Welt gehen ohne Leid und ohne Leiden, dann täuschen wir uns. Die drei Weisen sind große Vorbilder beim Suchen und beim Finden. Und gerade heute ist es wichtig, dass wir nicht nur das Suchen in den Vordergrund stellen, obwohl es darauf ankommt, beim Suchen auszuharren. Wir können auch sagen: Sie haben gefunden. Sie haben das einzige getan, was dem entspricht, das sie gefunden haben: Sie gehen in die Knie, sie beten an, sie huldigen.

 

Meine lieben Schwestern und Brüder!

Das bleibt – denke ich – für alle ein Vorbild des Glaubens. Und darum hat dieses Fest gerade auch in der Konkretheit der Erzählung immer wieder so viele Freunde gefunden. Wenn Weihnachten sich weitet – das Licht der Völker wird da erkennbar für alle bis an die Enden der Erde -, dann kommt es immer noch auf den Einzelnen an, wie er die Wanderschaft seines Lebens macht, wie er sucht und findet. Ich denke, dass das auch gerade in unseren Tagen eine ganz besonders wichtige Botschaft ist: Auch zu uns kommen Fremde. Wie tragisch ist es, dass Johannes im Prolog zu seinem Evangelium auch uns mahnend sagen muss: Er kam in die Welt, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Er war das Licht, aber die Finsternis hat ihn nicht erkannt. Es ist gefährlich zu glauben, als einzige erwählt zu sein, und das sozusagen für sich alleine behalten zu können. Da wird uns gezeigt, dass es so viele Suchende gibt, die auf uns zukommen, auf Ihn zukommen. Wir müssen sie nur entdecken, ihren Hunger, ihren Durst, ihre „Sehn-Sucht“ im wörtlichen Sinne. Wir sollen wissen, dass damit unsere Welt viel größer wird. Es gehören viele dazu, die auf diesem Weg sind. Gerade deshalb gibt es Mission und Aufbruch zu den Menschen, damit wir ihnen entgegen gehen, damit sie die Einladung erkennen, die da ergeht - gerade von Weihnachten her. Sie sollen nicht ewig umsonst suchen und schließlich aufgeben, sondern irgendwo Zeichen sehen, wie den Stern, der stehen bleibt.

 

Darum sollen auch wir aufbrechen. Wir spüren in diesen Tagen stärker als sonst, was es an Weihnachten bedeutet, dass Jesus Mensch geworden ist. Dass er zur ganzen Menschheitsfamilie gekommen ist. Gerade solche Katastrophen wie die aktuelle in Südasien machen uns deutlich, dass die Menschheit wirklich eins ist. In vielem ist sie uneins, in vielem hat sie Kämpfe untereinander, aber dann, wenn so etwas geschieht, dann ist es doch blitzartig möglich, dass man spürt: Wir gehören zusammen. Auch wenn sie ganz woanders wohnen, andere Sitten, andere Gebräuche, andere Religionen, andere Lebensauffassungen haben: In einem solchen Fall spielen alle diese Unterscheide keine Rolle mehr. So sollen wir zusammen gehören in der Gemeinschaft der Menschen, der ganzen Erde, Teil haben am Leid, nicht zuletzt durch die Gaben, die wir zur Linderung von Hunger und Not, aber auch zum Wiederaufbau bereit stellen.

 

Es bräuchte keine Katastrophen, um unsere Verantwortung für die ganze Menschheit sichtbar zu machen. Sie ist längst schon da, indem Jesus Mensch wurde. Aber jetzt können wir es in ganz besonderer Weise auch zeigen und können unsere Solidarität bewähren.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Den Schluss der Dreikönigsgeschichte darf man nicht weglassen. Die Drei bleiben nicht in Betlehem oder in Jerusalem, das wäre ja eigentlich am ehesten anzunehmen. Jetzt haben sie ja gefunden was sie suchten. Nein, sie kehren zurück in ihre Heimat. Sie wissen, dass sie jetzt einen Auftrag haben. Jetzt haben sie etwas gefunden, das sie auch anderen mitteilen möchten. Es soll nicht einfach nur bei ihnen bleiben. Aber sie kehren auf einem anderen Weg zurück, nicht nur, um Herodes nicht in die Hände zu fallen. Sie wollen mit ihm nichts mehr zu tun haben. Sie sind aber auch andere Menschen geworden, erneuert worden durch das Erlebte. Sie können nicht mehr die bisherigen Wege gehen. Sie gehen in ihre Heimat und verkünden dort, was sie gesehen haben. Das gilt auch für uns. Jedes Weihnachten, jedes Epiphaniefest will eine Gelegenheit sein, dass wir neu und frisch eingetaucht sind in die Wahrheit dieses Geheimnisses. Es soll tief in uns verwurzelt sein, damit wir es dann auch besser, verständlicher und glaubwürdiger anderen sagen können. Amen.

 

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort!

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz