Predigt am Gründonnerstag

24. März 2005, im Mainzer Dom

Datum:
Donnerstag, 24. März 2005

24. März 2005, im Mainzer Dom

Die Eucharistie gehört zu den Dingen, die tiefgehend sind, und uns doch oft auf einfache Weise Dinge erkennen lassen. Es gibt einzelne Worte im Neuen Testament, die eigentlich alles dazu sagen, und es gibt zugleich tiefreichende Symbole, die uns dies anschaulich machen durch das Wort und über es hinaus. Das Wort „hingeben,“ „drangeben“, „verraten werden“, „sein Leben hingeben für andere“gehört in diesen Bereich. Da kann man alles hineinsehen, was Jesus geschehen ist. Auch andere kleine Wörter wie „für euch“, „für alle“ oder das Wort von der „Eucharistie“ selbst, dem großen Dank, sind fähig, die große Liebe Jesu zur Sprache zu bringen.

Ich werde an diesem Abend einmal drei uns sehr vertrauten Bildern und Symbolen um diesen Ursprung des Herrenmahles, wie es im Neuen Testament schon heißt, etwas nachgehen. Die Eucharistie ist ein Opfer. Ein Begriff, der in der Geschichte der Religionen ungeheuer viele Facetten hat. Denken wir an das gräuliche Geschehen, dass es Menschenopfer gab – gar nicht so selten. Selbst bei uns in der germanischen Religion haben wir Spuren bis ins 10. und 11. Jahrhundert, das so etwas immer wieder geschehen ist – auch Tieropfer. Wenn man glaubte, dass man eine große Zahl von Opfern braucht, um Gott zu versöhnen. Je größer die Opfer, so glaubte man, umso mehr sei Gott versöhnt. Es gab Opfer, die wir kaum verstehen, vor denen wir erschaudern – wie bei Isaak und seinem Vater Abraham. Aber wir denken auch an das Opfer Jesu.

Der Hebräerbrief, ein ganz tiefes theologisches Dokument des Neuen Testaments, das viel zu wenig bekannt ist, sagt uns, dass Jesus alle diese Opfer abgelöst hat in dem einen Lebensopfer, das er ein für alle Mal erbracht hat. Er hat alle diese schlimmen Opfer in der Geschichte der Religion mit allen Missverständnissen zu Ende gebracht. Und er hat es zu Ende gebracht, indem er uns aufgezeigt hat, was eigentlich ein Opfer ist. Ein Opfer kann es letzten Endes nur geben, wenn wir uns nicht selbst raushalten; nicht einfach nur etwas geben, dann Gott zufrieden zu stellen. Wenn wir uns nicht mitgeben, wenn wir nicht selbst eingehen auf das Opfer, dann ist es höchst fragwürdig. Darum ist Opfer Hingabe des eigenen Lebens für Gott und für andere. Jesus hat uns dies in der reinsten und höchsten Form vorgelebt. Ein für alle Mal, so sagt der Hebräerbrief in dem griechischen Wort „hepax“: Es geschah einmal, ohne Wiederholung, auch kein Messopfer ist einfach eine Wiederholung. Es ist ein für alle Mal, was da geschehen ist, einmalig, das hat Gültigkeit für immer. Und darum sollen wir uns seiner immer wieder lebendig erinnern, sollen es wieder frisch durch das Gedächtnis Wirklichkeit werden lassen unter uns in der Heiligen Messe. Aber es bleibt bei der Einmaligkeit, die nicht vergangen ist, so wie es ein für alle Mal geschehen ist.

Das ist – denke ich – der bleibende Ursprung. Da sitzt das tiefste Lebensgeheimnis des Herrn. Und es hat auch immer wieder Bedeutung für uns und für unser Leben. Wir können eigentlich nicht leben, wenn wir nicht immer wieder die Bereitschaft mitbringen, uns hineinzugeben in die Gemeinschaft, auch in schwierige Situation, von denen wir wissen, dass wir Federn lassen müssen, dass wir wirklich uns selbst drangeben müssen. Da, wo wir nicht immer wissen, ob wir recht verstanden werden, wo wir auch ausgenützt werden können bis zum Verrat, sollen wir uns hingeben. Dazu gehört auch das recht Verständnis des Verzichtes. Zum menschlichen Leben gehört es, dass wir auch einmal zurücktreten können und nicht immer wieder vordrängen, dass wir auch wissen, dass wir nicht alle Möglichkeiten des Lebens genießen können, dass wir uns immer wieder entscheiden müssen und in unserer Entscheidung treu bleiben. Das heißt auch, dass wir auf viele andere Möglichkeiten, von denen wir oft träumen, verzichten müssen. Große Denker sagen uns: Der Verzicht nimmt nicht, er gibt. Er macht uns sogar stark, stärker als wir denken. Darum – auch wenn es weh tut – brauchen wir immer wieder Verzicht und Opfer.

Ein zweites sehr tiefes Bild, auch tief verwurzeln in der Geschichte der Religionen, ist das Mahl. Bilder ergänzen sich, sie brauchen einander. Aber ein Bild sagt etwas unter einer bestimmten Perspektive sehr bestimmt und sehr genau und sehr herausfordernd. Das ist beim Opfer so und auch beim Mahl. Wir sprechen auch vom Mahlopfer sprechen oder vom Opfermahl – dort kommt dann beides zusammen. Das Mahl bedeutet zunächst einmal, dass Menschen zusammenkommen, dass sie in Frieden zusammenkommen, dass sie wirklich Gemeinschaft wollen, dass sie sich bei diesem Mal auch einbringen. Auch wenn es beim Mahl eine Tischordnung gibt, so sind doch alle Genossen am Tisch gleich. Sie haben Zutritt, sie sind dabei, sie werden nicht ausgeschlossen. Jesus möchte uns, indem er uns einlädt zu seinem Mahl zu kommen, in diese Gemeinschaft hineinholen, damit wir unsere Unterschiede, die uns oft so stark beschäftigen, und die uns gegeneinander aufbringen, zurückstellen und auch die Armen und die Bedrängten zu diesem Mahl holen. Daran sehen wir, wie tiefgreifend dieses Mahl ist, indem er sich uns hingibt. Es sind nicht irgendwelche Speisen, die bedeutungslos wären. Die großen, reichen Gaben von Wein und Brot, diese leuchtenden Gaben der Schöpfung, sind Zeichen für Christus selbst. Deswegen ist jedes Mahl auch wirklich ein Ereignis der Solidarität, dass wir füreinander eintreten, dass wir uns gegenseitig verpflichtet sind, dass wir nicht einfach danach wieder auseinanderlaufen, als ob nichts gewesen wäre, dass daraus eine viel tiefere Gemeinschaft folgt.

Das dritte Bild ist die Fußwaschung. Johannes, der große Theologe, spricht zwar viel und tief im bekannten sechsten Kapitel von der Eucharistie, aber er berichtet uns als einziger von den vier Evangelisten nicht über die Einsetzung der Eucharistie an diesem Gründonnerstag-Abend, am Abend vor dem Leiden des Herrn. An dieser Stelle, so dürfen wir annehmen, berichtet er uns bewusst von der Fußwaschung, die die anderen nicht erzählen. Natürlich will Johannes nicht die Eucharistie einfach ersetzen, aber er zeigt uns mit der Fußwaschung im Zusammenhang auch der anderen Aussagen über die heilige Eucharistie, worum es im tiefsten Grund der Eucharistie geht, wo sie ihren Platz hat im Lebensgeheimnis Jesu. Die Fußwaschung ist ein Sklavendienst. Wenn Menschen von den schmutzigen, staubigen Straßen, in denen auch Dreck liegt, schmutziges Wasser fließt, in ein Haus kommen und ein gemeinsames Mahl halten wollen, dann war es fester Brauch, dass man dem Gast die Füße wusch. Aber das war der niedrigste Dienst, den kein Herr und keine Herrin je verrichtet hätte. Es war der Dienst der niedrigsten Sklaven, ganz unten, tief am Ende der Leiter einer Karriere. Da ist nichts mehr zu holen, da ist nur etwas zu geben. Es ist ein Dienst, bei dem man sich nicht scheut, sich mit dem Kot und Dreck der Welt zu beschäftigen. So hat sich Jesus allem, was ihm entgegen gekommen ist, was er sozusagen aufgelesen hat an Elend, angenommen. So begibt er sich auch selbst zur Fußwaschung. Der Herr der Welt macht sich zum niedrigsten Sklaven. Nichts ist ihm fremd. Auch nicht der Dreck der Straße. Schon gar nicht das Elend der Menschen innen und außen.

Die Eucharistie wäre nicht verständlich ohne diesen ganz einfachen tiefen Dienst am Menschen. Das ist Diakonia, Knechtsdienst, Caritas im Lateinischen. Da dürfen wir uns auch nicht scheuen, wenn wir uns einmal die Hände schmutzig machen müssen, wenn wir mit den Wunden der Menschen zu tun haben. Wir sollen uns nicht scheuen, in ihre Nähe zu kommen, sonst könnten wir sie nicht verbinden, sonst könnten wir sie nicht trösten. Darum reicht diese Fußwaschung in dieser ganz drastischen Symbolik tief hinein in den Ursprung der Eucharistie. Das ist nichts anders als das, was der Herr im Abendmalsaal an den Jüngern und in jeder Messe an uns tut.

Meine lieben Schwestern und Brüder, anfangs habe ich gesagt: Tiefe Dinge können bisweilen sehr einfache Zeichen haben. Ich denke, in den Worten, mit denen wir die Eucharistie umschreiben und mit diesen großen Bildern, die in allen Kulturen und Religionen zu finden sind und hier besonders ausdrucksstark werden, können wir rasch verstehen was gemeint ist. Wir wissen auch ganz genau, dass das tief in unser Leben hineinreicht. Deswegen darf es nicht einfach bei dem Ursprung des Geheimnisses der Eucharistie im Leiden des Herrn bleiben. Dies ist ganz gewiss einmalig, ein für alle Mal. Aber es ist doch so, dass wir immer wieder Eucharistie feiern dürfen, unsere Zeit danach gliedern, unsere Zeit danach verstehen, Tag für Tag und ganz besonders Sonntag für Sonntag. Die Eucharistie ist das Sakrament, das ganz tief in unsere Zeit und unsere Geschichte hineinreicht, so wie wir hinabsteigen in das Geheimnis des Menschen, in jedem Opfer, beim Mahl, in der Fußwaschung. Wir nennen das in der Sprache der Bibel: Das ist das Gedächtnis. Wir feiern das Gedächtnis des Leidens und Sterbens, aber auch des Auferstehens des Herrn. Das heißt nicht, dass wir nur einfach zurückdenken an etwas, das einmal gewesen und vergangen ist, - und sozusagen das Heft zumachen. Für den Orientalen, auch noch tief ins Neue Testament hinein, bedeutet das etwas, was einmal gegründet worden ist und eine solche Bedeutung hat, dass es immer wieder frische Wirklichkeit werden kann, ohne dass es einfach noch einmal wiederholt würde. Es gibt keine Wiederholung von Golgotha, es gibt keine Wiederholung des Kreuzesopfers. Am Gründonnerstag steigen wir hinab in diese Tiefe. Der Herr schenkt uns dieses Sakrament der großen Liebe - hinein in jeden Tag – und wir spüren, was das für uns täglich heißt. Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz